Friedrich Merz empfängt in der Bundespressekonferenz, Jens Spahn schreibt einen Gastbeitrag für die FAZ. Der Auftritt des einen wirkt wie eine von langer Hand vorbereitete Choreographie, der Artikel des anderen liest sich wie ein Bewerbungsschreiben, das – kurz bevor um 24 Uhr die Abgabefrist endet – aus Satzbausteinen und gängigen Floskeln hektisch zusammenkopiert wurde. Um die Fallhöhe noch größer zu machen: Angela Merkel schrieb 1999 in der FAZ mit ihrem gezielten Affront gegen Helmut Kohl CDU-Geschichte. Der Horizont im Beitrag von Jens Spahn umreißt in weiten Teilen nicht mehr als das letzte halbe Jahr: der Streit mit der CSU, die schlechten Wahlergebnisse in Bayern und Hessen, die Wahlerfolge der Grünen.
Storytelling? Fehlanzeige
Für den Einstieg setzt Spahn auf das klassische Narrativ vom Niedergang, damit er sich am Schluss als Retter der Partei empfehlen kann. Jeder Leser weiß, Heldengeschichten leben von dem, was dazwischen passiert. Irrungen und Wirrungen, Läuterungen, Ereignisse, die den Protagonisten in eine Krise stürzen könnten, das Nachdenkliche, das programmatische Appelle erst wirkmächtig macht. Stoff dafür hätte die Figur Spahn durchaus zu bieten. Die Bilder mit ihm und Österreichs Kanzler Sebastian Kurz und seine Treffen mit US-Botschafter Richard Grenell haben schließlich die Frage aufgeworfen, wie weit „der Hoffnungsträger der Konservativen“, als der er bis zur Wiederauferstehung von Merz unangefochten galt, für den Machterhalt politisch gehen würde. „Die Zeiten des reflexhaften Links-Rechts-Schemas sind eh vorbei“, mit dieser lapidaren Bemerkung umschifft Spahn im Gastbeitrag das Thema. Im Nachhinein wirkt da der Verzicht von Friedrich Merz auf den Ludwig-Erhard-Preis geradezu wie ein genialer strategischer Schachzug. Der Vorsitzende der Ludwig-Erhard-Stiftung ist Roland Tichy und mit dem wollte Merz, sehr schlagzeilenträchtig, nicht auf einer Bühne stehen.
Inspiriert von Lindners Clip
Spahn überrascht stattdessen mit einer Zahl. 40 Prozent – an diese Marke soll die CDU bei Wahlen künftig wieder heranreichen, natürlich mit ihm als Parteichef und Kanzler. Das ruft Erinnerungen an Jürgen Möllemann hervor, an das 18-Prozent-Projekt und den Wahlkampf von 2002, in dem die FDP auf eine Kombination aus „Guidomobil“ und Rechtspopulismus setzte. Seither lautet die eiserne Devise im politischen Wettbewerbsbetrieb: bloß keine Zahlen nennen, die nicht in unmittelbarer Reichweite liegen. Im Fall des Scheiterns erleichtert das die Krisenkommunikation nämlich ungemein.
Eindeutig FDP-inspiriert ist das Bewerbungsvideo für den CDU-Parteivorsitz, das Jens Spahn am Donnerstagnachmittag auf Facebook postete. Schnelle Schnitte, Stadtarchitektur als Kulisse, unterlegt mit hämmernden Beat und in jedem Bild: Jens Spahn. Das erinnert an Christian Lindners Selbstinszenierung als Wahlkämpfer in Nordrhein-Westfalen. Mit dem Unterschied, dass Lindners Clip in Bedeutungsschwere signalisierendem Schwarz-Weiß daherkam und dramaturgisch wesentlich ausgefeilter wirkte. Im direkten Vergleich wird auch offensichtlich, der FDP-Parteichef ist der talentiertere Schauspieler. In Spahns Video flackert – nur kurz und ganz verschwommen im Vorbeigehen – die Gestalt von Friedrich Merz auf. Dieses Bild bringt das Dilemma, dass die Kandidatur von Spahn und Merz für all jene bedeutet, die der Kanzlerschaft von Angela Merkel möglichst schnell ein Ende bereiten wollen, auf den Punkt. Beide konkurrieren bei der Wahl für den Parteivorsitz um die Stimmen der Wirtschaftsliberalen und der Konservativen in der CDU. Und das erhöht die Chancen für Merkels Wunschkandidatin Annegret Kramp-Karrenbauer.
Bei seinem Auftritt in der Bundespressekonferenz braucht Merz nicht einmal eine halbe Stunde um zu zeigen, dass er immer noch der ist, der er schon immer war: der Traumkandidat des Kapitals. Als Erfinder der „deutschen Leitkultur“ kann er bei dieser Veranstaltung locker darauf verzichten, lautstark unter Beweis zu stellen, dass er die Klaviatur des Konservatismus ebenfalls spielend beherrscht. Da reicht schon der knappe Verweis auf nationale Identität und traditionelle Werte. Spahns Bewerbungsschreiben in der FAZ gerät da weitaus weniger dezent staatsmännisch, er arbeitet sich am Richtungsstreit in der Union ab, kürt die Grünen zum politischen Hauptgegner, denen er „Populismus von links“ vorwirft und inszeniert sich als Vertreter von Law-and-Order. Taktisch nicht sehr geschickt, wenn man Parteichef der CDU werden möchte, präsentiert er sich als derjenige, der die Versöhnung mit der CSU voranbringen könnte. Wenige Monate vor den Europa-Wahlen müsste der Flirt der Schwesterpartei mit dem Autokraten Viktor Orbán, dem auch dessen offen rechtsextreme Politik in Ungarn nichts anzuhaben scheint, selbst den größten Kritikern von Angela Merkel innerhalb der CDU Bauchschmerzen bereiten. Die Frage ist, ob Jens Spahn sich mit seiner stümperhaften Bewerbung schon selbst aus dem Rennen um den Parteivorsitz genommen hat. Für Annegret Kramp-Karrenbauer wären zwei Gegner besser als einer. Für alle, die den Sozialstaat brauchen, auch.
Kommentare 17
Wolfgang Schäuble ist ein cleverer Stratege. Wenn er jetzt Merz "fördert", dann kann das auch ein Versuch sein, ihn aus dem Weg zu räumen.
Die wahren, aussichtsreichen Kandidaten werden nicht in die Anfangsphase eines Bewerbungsprozesses geschickt, wo sie leicht ausbrennen können.
Laschet oder Karrenbauer wären sicher die breiter akzeptierten Kandidaten. Die beiden anderen erscheinen mir eher wie Hinterzimmer Favoriten.
An welches Publikum adressiert Herr Spahn dieses Video? An die Delegierten der CDU, welche über den Posten der Parteiführung abstimmen sollen, welche die miesen Wahlergebnisse in Bayern und Hessen zugelassen haben? Dieser Herr ist ein Stümper!
Auch hier ist wieder die unten dran gehängte Umfrage interessant: Merz ist der eindeutige Favorit. Ähnlich ist es bei einer Focus-Umfrage.
Noch mal zwei Tage Merzhype, und Blackrock wird von mehr als 50 % der Teilnehmenden als CDU-Häuptling gewünscht. Schulzzug Schnecke dagegen.
>>Die wahren, aussichtsreichen Kandidaten werden nicht in die Anfangsphase eines Bewerbungsprozesses geschickt, wo sie leicht ausbrennen können.<<
Merz ist allerdings kein naiver Neuling der sich verheizen lässt. Eher schon verheizt er Andere. Ausserdem stehen Billionen hinter ihm.
es mit spahn zu sagen:
akk, spahn +merz stehen nicht für den persönlichkeits-mangel in der CDU:
sie sind bereits die antwort der union auf den personal-mangel!
Milliarden wären auch schon viel. Aber, lässt sich unsere Republik so einfach im Sturm einnehmen wie eine Bananenrepublik?
Ich kann´s kaum glauben. Das käme tatsächlich einer Kulturrevolution gleich.
|| Das ist alles gut so. ||
Sie hauen mal wieder kräfig auf den Karton.
Was bliebe uns nach dem Untergang von SPD & CDU?
»Die Umfrage ist mal wieder komplett gaga ... Wen interessiert denn das?«
Um die Antwort kurz zu machen: die Auswerter (also Civey als aufsteigender Stern auf dem neuen Markt für Internetumfragen), den Freitag (dessen Verlag mit Sicherheit in irgendeiner Weise von der Kooperation mit Civey profitiert) und die Datenwirtschaft insgesamt (die per se ein Interesse hat, politisches Interesse in derlei Kanäle zu binden).
Korruptös wird diese wirtschaftsliberale Dreieinigkeit da, wo die politische Agenda von derlei Spins bestimmt wird – wie es aktuell wieder der Fall ist. Seit Monaten geben die großen Medien den Spin in die Runde: »Merkel hat fertig« (vor einem Jahr war es: »Schulz hat fertig«). Nun werden sie alle gehypt und durch die Arena getrieben: Merz, Spahn, KK; und die zweite/dritte Reihe hat sicher auch was zu sagen. Sicher wackelt da nicht nur der mediale Schwanz mit den (kandidierenden) Hunden. Die Hunde (um in dem Bild zu bleiben) sollen ja auch irgendwas liefern – saftige Schlagzeilen für den Medienzirkus, vielleicht auch weniger Mindestlohn, weniger Pflege und weniger Sozialklimbim für Bertelsmann, die ausgedünnten Verlage und die privatisierten Ex-Post-Unternehmen. Ein inhaltlicher Mehrwert – abgesehen von der Klärung der Frage, ob die Union knallhart wirtschaftsliberal, konservativ-seehoferisch oder mit mittigem Touch wie gehabt (KK) in die nächste Runde geht – ist bei alldem kaum zu erkennen.
>>Milliarden wären auch schon viel.<<
Bei Blackrock und HSBC klimpern die in der Portokasse herum.
>>Aber, lässt sich unsere Republik so einfach im Sturm einnehmen wie eine Bananenrepublik?<<
Für das Agenda-2010-Regime war es kein Problem. Und nachdem die Auswirkungen der Agenda 2010 von der Mehrheit als normal akzeptiert sind ist der nächste Verschärfungsschritt fällig. Nur dass die „S“PD ihn nicht mehr vollziehen kann, diesmal müssen die C-Parteien selber ran. Die Grünen werden natürlich wieder dabei sein, soweit wiederholt sich die Geschichte doch.
Die quasi untereinander aufgeteilten Politik-Richtungen unter den Kandidaten erwecken den Eindruck, als wollten Kandidaten eher Wählerstimmen jeweils von der AfD, der SPD und den Grünen abjagen. Das steht in einem Dissens dazu, dass die CDU als eine Volkspartei gelten will einerseits. Andererseits haben alle CDU-Kritiker von Frau Angela Merkel nicht berücksichtigt, dass viele Menschen eine Partei wegen Persönlichkeiten, die für sie sympathisch sind, wählen. Als Beispiel wäre der Sieg Schröders gegen den Stoiber zu nennen. Allein wegen der subjektiv wahrnehmbaren Sympathie hat Herr Stoiber damals verloren. Nach sehr vielen Jahren Kanzlerschaft könnte die Anzahl der Wähler, die CDU vor allem wegen Frau Merkel immer wieder gewählt haben, mindestens bei mehreren Millionen liegen. Somit sollten die Christendemokraten keine unrealistischen 40% Richtwährte anstreben, sondern viel mehr darum kämpfen, dass sie die 30% Marke bei der Bundestagswahl 2021 überhaupt erreichen. Einige CDU Politiker warnen schon jetzt, davon abzusehen, noch weiter nach rechts zu rücken. Da kann man ihnen nur recht geben. Die CSU wird bei vielen Menschen nicht mehr als Volkspartei wahrgenommen, sondern als eine rechte Partei wie AfD. Deswegen laufen der CSU mit jeder Wahl immer mehr Wähler weg.
Welcome back, FOTZENFRITZ!
Hm, trotz grosser Wahlverluste stellt sich die CDU mit solch einer breiten Brust auf? Ich kann nicht nachvollziehen, dass das alles so einfach sein sollte.
Dass plötzlich, im Sturzflug aus den Wolken, dieser Merz erscheint: "Hallo, mein Name ist Merz mit e, ich war mal weg und bin wieder da": Das kann ich mir nur so erklären, dass Blackrockr, HSBC und Co. einen stärkeren Zugriff auf die BRD planen. Zum Beispiel könnten sie daran interssiert sein, die Bevölkerung gesetzlich ausschliesslich und endgültig für den Ausgleich von Spekulationsverlusten haftbar zu machen, ohne jede Einschränkung. Und natürlich für die zügige Privatisierung von Allem, was nicht bei 3 auf den Bäumen ist. Abgeltungssteuer auf 15 % senken, dafür Mehrwertsteuer noch mal weiter rauf. Solche Reformen stehen an um die Krise des Kaputtalismus noch ein bisserl hinauszuzögern.
Der eloquente und irgendwie alert wirkende Merz ist die geeignete Gallionsfigur dafür.
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Erinnern wir uns doch mal an die Hetzkampagne gegen Arbeitslose zur Einführung der Hartzgesetze: Man sagt den Leuten einfach: "Deine wahren Ausbeuter sind die Arbeitslosen. Wir werden sie zum Arbeiten zwingen, denn wer nicht arbeitet soll auch nicht essen und der Lohn kann für das faule Pack gar niedrig genug sein: Dann wird es Dir, hart arbeitender Leistungträger, besser gehen!" Damit war grossangelegtem Widerstand, wie z. B. 1920 gegen den Kapp/Lüttwitz-Putsch, vorgebeugt worden.
Später änderten Andere die Kampagne nur durch ein Wort: "Dein wahrer Ausbeuter ist der Kriegsflüchtling!"
Und heute? "Deine Ausbeuter sind diejenigen, die Deine Wohltäter, nämlich die grossen Investoren madig machen wollen. Sie verfolgen dunkle Ziele, die sie nicht offenbaren. Deutsche Leistungsträger: Steht soldidarisch zusammen zum Schutze der Investoren, what ever ist takes!" Es wird nicht genau so gesagt werden, sondern mehr psychologisch wattiert & kandiert, aber darauf läuft es hinaus.
So ein Engel, plötzlich vom Himmel heruntergeschwoben, ist doch dafür ideal.
ja , würde-volle thron-folger, designierte unions-präsidenten
sollte man warnen vor -->hinterfotzigen schmäh-namen,
die hinter dem breiten rücken der eliten-darsteller kursieren.
ist nicht schon beklagenswert genug,
daß die prädikate --> "hochwohlgeboren(magnificus)","exzellenz",
für herren von stand/rang
trotz mehrerer aufsichts-rats-platz-besetzungen
verweigert wird. skandal.
die heutigen pöbel-herren gehören: gezüchtigt!
Ihre Worte klingen sehr ernüchternd, ich möchte beihnahe ausrufen: sooo einfach kann die Sache doch nicht sein! Vermutlich haben Sie aber recht. Ich wünschte, es wäre nicht so.
>>Schlicht und einfach weil sich der Blackrocker demokratisch nicht verkaufen lässt.<<
Warum? Viele Leute wollen doch, dass "die Wirtschaft brummt" und hoffen dass genug für sie downtrickled. Darauf können Reklamestrategien aufbauen, für Werbeagenturen keine schwere Aufgabe.
Beim Wirtschaftskanzler Schröder hat nicht so doll getrickelt, aber der war halt SPD, während ein Kanzler Merz doch endlich mal der Richtige mit der richtigen Erfahrung in der richtigen Partei am richtigen Ort ist. Falls gewünscht, hab ich das geeignete Wahlprogramm mit den richtigen Schlüsselbegriffen als Gerüst in zwei Stunden fertig. Das kann hier wahrscheinlich jede/r, man muss sich ja nur vorstellen, man hätte einen Finanzmarktmanager als Messias zu verkaufen und bekäme das attraktiv bezahlt. Die Zielgruppe ist nicht die FC, sondern Leute, die alles über Fussball, Autos, Kosmetik/Klamotten und Urlaubsdomizile wissen und über den Rest nichts.
>>Noch nicht raus, ob Merz' frühes Auftreten richtig sein wird.<<
Er ist exakt zu dem Zeitpunkt aufgetreten, als die Vorsitzende ihren Rücktritt ankündigte. Keinen Tag früher. Und ich bin sicher: Er wird exakt an dem Tag, dem ein/e Kanzlerin-Nachfolger/in zur Debatte steht, als Kanzlerkandidat auf der Matte stehen, keinen Tag früher und keinen Tag später: "Überfällige Reformen anpacken, zupacken, Ärmel aufkrempeln, Gürtel enger schnallen, in die Hände spucken, LeistungLeistungLeidsdung..."
Und die Grünen würden sekundieren: "Wenn wir im Umwelt- und Klimaschutz etwas erreichen wollen müssen wir die grossen Investoren mit ins Boot holen!" Wer das Boot steuert und wer rudern darf ist ja egal.
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Die Linke hätte eine Chance, wenn sie sorgfältig recherchierte Berichte über Aktivitäten der Grossinvestoren veröffentlicht. Wenn man nichts auslässt und nichts beschönigt wird das richtig unappetitlich.