Die Lücke in der inneren Sicherheit

Frauenhass Was tut das Innenministerium im Hinblick auf Gewalt gegen Frauen? Bislang zeigt man sich nur „offen“ für ein gut dokumentiertes und großes Problem
Ausgabe 09/2021
Die Gewalt gegen Frauen schafft es oft nur im November bundesweit in die Schlagzeilen, zum „Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen“
Die Gewalt gegen Frauen schafft es oft nur im November bundesweit in die Schlagzeilen, zum „Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen“

Foto: Indranil Mukherjee/AFP/Getty Images

Es gab eine gewisse Diskrepanz, als die Tagesthemen voriges Jahr über den Internationalen Frauentag berichteten. Erste Station: Proteste gegen Femizide in Mexiko. Danach ein Schwenk nach Istanbul, wo gegen häusliche Gewalt demonstriert wurde. Und dann die Bundesrepublik, da widmete man sich Kundgebungen von Katholikinnen, die den Zugang von Frauen zu Weiheämtern forderten und die Abschaffung des Zwangszölibats. Letzteres verbucht man eher nicht als klassisches Sujet des Frauentags. Zumindest folgte noch ein Beitrag zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie, sehr diskret wurde der Alltagssexismus gestreift. Frauenmorde, häusliche Gewalt, Hate Speech im Netz mit sexistischen Beleidigungen und Vergewaltigungsandrohungen? Fehlanzeige.

Die Gewalt gegen Frauen schafft es oft nur im November bundesweit in die Schlagzeilen, zum „Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen“. Es ist der Monat, in dem auch die Jahresstatistik zur Partnerschaftsgewalt präsentiert wird, ein Job der Bundesfamilienministerin und des BKA-Chefs. Es geht um Mord, Totschlag, Vergewaltigung, sexuelle Nötigung, Freiheitsberaubung, also eigentlich um Sicherheitspolitik. 141.792 Fälle registrierte die Polizei 2019, betroffen waren zu 81 Prozent Frauen. Seit 2015 steigen die Zahlen. Jeden dritten Tag wird eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet. Alle 45 Minuten wird eine Frau im häuslichen Umfeld Opfer einer vollendeten oder versuchten gefährlichen Körperverletzung. Weil es aus Angst und Scham oft nicht zur Anzeige kommt, dürfte die Dunkelziffer hoch sein.

Seit Corona ist diese Gewalt kein Nischenthema mehr. Die Sorge, dass sie im Zuge des Lockdown zunimmt, ist ebenso präsent wie die Skandalisierung, dass es an Plätzen in Frauenhäusern mangelt. Mitte Februar kam der Spiegel mit der Titelstory „Feindbild Frau“. Spätestens danach fragte man sich: Was macht eigentlich Innenminister Horst Seehofer? Die Titelgeschichte ist eine Tour de Force über Antifeminismus als rechtsextremes Motiv von Anders Breivik bis zu den Attentätern von Halle und Hanau. Es geht um die Manosphere im Netz als „Superspreader von Frauenhass“ und die vor allem von rechts betriebene Strategie, politisch aktive Frauen mit sexualisierter Gewaltandrohung mundtot zu machen. Man begreift, wie digitale und analoge Gewalt zusammenwirken, vom Mail-Postfach bis zum Briefkasten. Oder wenn gewalttätige Männer die Partnerin per GPS orten, wie von Frauenhäusern und Frauennotrufen berichtet wird.

Seit Schweden 2014 die Losung einer feministischen Außen- und Sicherheitspolitik ausgab, ist das auch hierzulande Thema. Was ausgeblendet wird, ist die Frage: Funktioniert unsere innere Sicherheitsarchitektur für Frauen? Im Netz, auf der Straße und in den eigenen vier Wänden? Antisemitismus, Rassismus und Antifeminismus sind zentrale Bestandteile rechtsextremer Weltanschauung. Expert*innen warnen schon lange, der Antifeminus wirke als „Einstiegsdroge“ für extrem rechtes Gedankengut. Die Sicherheitsbehörden schenkten dem lange wenig Beachtung. Was ebenfalls von Justiz und Sicherheitspolitik oft ignoriert wird, ist die Tatsache, dass Frauen von Hate Speech häufiger und anders betroffen sind, als Männer. Es ist höchste Zeit, dass man sich auch hierzulande fragt, ob Gewalt gegen Frauen ausgeübt wird, weil sie Frauen sind. Noch allzu oft wird in Medien verharmlosend von „Eifersuchtsdrama“ oder „Beziehungstat“ gesprochen, wenn es darum geht, dass eine Frau getötet oder schwer verletzt wurde. Es gibt nicht einmal eine separate polizeiliche Erfassung frauenfeindlicher Straftaten. Zumindest danach wurden zuletzt Forderungen lauter, auch von Frauen aus den Unionsparteien. Seehofer sagt inzwischen, er sei dafür „offen“. Und es wurde eine Dunkelfeldstudie zur Partnerschaftsgewalt angekündigt. Hoffentlich endet sie nicht so wie die Sache mit der Rassismusstudie zur Polizei.

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