Die Meute der Mörder

Terrorismus Rechte Extremisten radikalisieren sich im Netz. Ein Sammelband beschreibt die Szene
Ausgabe 11/2020
Tatort Hanau, kurz nach dem rechtsterroristischen Anschlag vom Februar 2020
Tatort Hanau, kurz nach dem rechtsterroristischen Anschlag vom Februar 2020

Foto: Thomas Lohnes/AFP/Getty Images

Der Attentäter von Halle streamte seine Tat live im Internet, sprachlich und visuell inszeniert wie ein Computerspiel. Paramilitärisch gekleidet, mit einer Handykamera am Helm, die dafür sorgte, dass die Zuschauer die Perspektive des Schützen einnahmen. Teile seiner selbst gebastelten Waffen stellte er mit einem 3-D-Drucker her. „Niemand erwartet die Internet-SS“, feixte der Täter. Stephan B. repräsentiert einen neuen Typus des Rechtsterroristen. Auch der Täter von Christchurch inszenierte das Töten als Live-Event. Von der „Gamification“ des Terrors, bei dessen Highscore es um echte Todesopfer geht, spricht der Soziologe Roland Sieber im Sammelband Rechte Egoshooter. Von der virtuellen Hetze im Netz zum Livestream-Attentat. Als Vorbild dieses neuen Typus gilt der Rechtsterrorist Anders Breivik. Das Morden habe er mit einem Egoshooter geübt, sagte er vor Gericht.

Die Autorinnen und Autoren beschreiben die Mechanismen der Radikalisierung im Netz, sie gehen den Spuren global vernetzter Rechtsterroristen nach, die von einem internationalen rechtsextremen Publikum aus Computerspielern und Nutzern einschlägiger Foren bejubelt werden wollen und bejubelt werden. Die Liveübertragung, über die bereits Breivik nachdachte, ist inzwischen Teil des Tatplans. Christchurch, Halle, der Angriff auf Einwanderer in El Paso, bei all diesen Anschlägen kündigten die Mörder ihre Tat online auf sogenannten Imageboards wie 8chan oder Mecuga an, in denen anonym Bilder geteilt und kommentiert werden. Dieser Tätertypus ist geprägt von einer sozial abgestumpften und zynischen Internet-Subkultur, schreiben die beiden Herausgeber Jean-Philipp Baeck und Andreas Speit. Der Band stellt aber auch klar, dass man das Bedienen von Schusswaffen nicht an der Tastatur erlernt. Ein Sportschützendasein oder die Bundeswehrausbildung ist fast immer Bestandteil der Täterbiografien.

„Einsamer Wolf“ und „führerloser Widerstand“, so lauten klassische Beschreibungen für rechten Terror. Der „einsame Wolf“ schreitet eventuell allein zur Tat, von „Einsamkeit“ kann in Zeiten des Internets allerdings keine Rede sein. Und auch das Mantra vom „Einzeltäter“, das konservative Innenpolitiker jahrzehntelang nach jedem rechtsextremen Anschlag runterbeteten, ist eine Schimäre, von der sie erst seit dem Mordanschlag auf den CDU-Politiker Walter Lübcke langsam abrücken.

Der Beitrag der Journalistin Andrea Röpke liefert eine lange Chronologie des Rechtsterrorismus in der Bundesrepublik und der Versuche von Vertretern der Sicherheitsbehörden, das Problem kleinzureden. Überraschend ist das nicht, eine vor zwei Jahren vorgelegte Studie zeigt, bis Anfang der 1960er waren zahlreiche Mitarbeiter des Bonner Innenministeriums ehemalige Mitglieder der NSDAP. Bis 1989 folgte die Sicherheitspolitik der Bundesrepublik der Logik des Kalten Kriegs, im Zentrum stand die Abwehr des Kommunismus, nicht die Gefahr des Rechtsextremismus.

Polizei auf Stand-by

Röpke weist darauf hin, dass auch die virtuellen Kontakte des NSU weitgehend unbeleuchtet blieben, obwohl sich Uwe Mundlos fast täglich mit Gesprächspartnern mittels der Software Teamspeak austauschte.

Diese gewollte Ignoranz staatlicher Stellen hat dafür gesorgt, dass sämtliche Facetten des Rechtsterrorismus unterbelichtet blieben. Egal ob er von klassischen Vertretern, deren politisches Umfeld die Neonazi-Kameradschaft von nebenan und der rechte Parteiaufmarsch ist, ausgeht. Oder vom neuen Typus des Rechtsterroristen, der seine Taten im Internet vorbereitet, sich mit Gleichgesinnten in sozialen Medien oder Chatprogrammen austauscht, wo auch potenzielle Nachahmer zu Taten angestachelt werden. Der Attentäter, der 2016 den rassistischen Mordanschlag im Münchner Olympia-Einkaufszentrum verübte, chattete zuvor mit Breivik-Fans. Er passt ebenso wie Stephan B. ins Profil des neuen Typus des Rechtsterroristen. Das LKA brauchte geschlagene drei Jahre, um die Tat offiziell als rechtspolitisch motivierte Kriminalität einzustufen.

In der Subkultur im Netz, in der solche Täter politisch beheimatet sind, tummeln sich antisemitische Verschwörungsideologen, Alt-Right-Anhänger, Sympathisanten der Identitären Bewegung und Antifeministen, die ihren Hass auf Frauen ausleben. Der Misogynie des neuen Tätertypus, der oft mit den Codes der sogenannten Incels spielt, die sich als „unfreiwillig im Zölibat lebende Männer“ bezeichnen, geht Veronika Kracher nach. Während Andreas Speit anhand von Zitaten aus Breiviks Manifest über Gender Studies und Kultur-Marxismus eindrucksvoll vorführt, wie ähnlich die Töne klingen, die rechte Politiker heute anstimmen. Es hört sich an wie Wolfsgeheul.

Info

Rechte Egoshooter. Von der virtuellen Hetze zum Livestream-Attentat Andreas Speit, Jean-Philipp Baeck (Hg.) Ch. Links Verlag 2020, 208 S., 18 €

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