„Eine absurde Strategie“

Interview Die Bundeswehr wird immer teurer. Das ist weder sicherheitspolitisch noch haushälterisch zu verantworten, sagt Matthias Höhn
Ausgabe 06/2019

Seit ein Prüfbericht des Bundesrechnungshofs die Berateraffäre ins Rollen gebracht hat, fragt man sich: Wer trifft denn im Bundesverteidigungsministerium eigentlich die Entscheidungen? Ursula von der Leyen (CDU) als Ministerin, oder Unternehmensberater? Matthias Höhn (Linke) gehört dem Bundestags-Untersuchungsausschuss an, der für Aufklärung sorgen will.

der Freitag: Herr Höhn, beim zweiten Anlauf hat es geklappt, ein Untersuchungsausschuss durchleuchtet die Berateraffäre im Verteidigungsministerium. Der erste Antrag wurde von Union und SPD als zu weitgehend abgelehnt. Können Sie nun weit weniger überprüfen, als Sie eigentlich wollten?

Matthias Höhn: Nein, wenn man das, was wir jetzt auf den Weg gebracht haben, mit dem vergleicht, was zuvor blockiert worden war, sind die Unterschiede marginal. Dieses Tänzchen hätte uns die Koalition ersparen können.

Welchen Fragen wird der Untersuchungsausschuss nachgehen?

Der Bundesrechnungshof hat nicht umsonst darauf hingewiesen, dass es hier um die Unabhängigkeit des Staates geht. Wir müssen uns mit der Frage beschäftigen, welche Rolle externe Berater in der Bundeswehr spielen und wie sie die Abläufe im Verteidigungsministerium und in den jeweiligen Behörden beeinflussen. Das ist die politische Dimension. Bei der Auftragsvergabe wurden massiv Regeln verletzt, das wird ein zentrales Thema für uns sein. Und es geht darum, zu klären, inwiefern ein materieller Schaden für die öffentliche Hand entstanden ist.

Um welche Summen geht es?

Die Zahlen, die genannt werden, schwanken. Ende vergangenen Jahres gab es laufende Verträge in Höhe von 207 Millionen Euro im Geschäftsbereich des Verteidigungsministeriums für Beratung und Unterstützung. Das gibt auch einen Einblick in die Tagessätze, die da gezahlt werden, sie bewegen sich im vierstelligen Bereich. Externe Berater verdienen da schnell mal mehr als die Ministerin im Monat. Seit 2006 hat die Bundesregierung über 1,2 Milliarden Euro an Beraterfirmen gezahlt.

Ursula von der Leyen präsentiert sich bei Bundeswehrskandalen stets als Aufklärerin, wie sieht das in diesem Fall aus?

Ich habe schon vor einigen Wochen im Bundestag gesagt, wenn wir über das Thema externe Beratung sprechen, dann ist sie nicht die Spitze der Aufklärung, sondern die Spitze des Problems, in ihrer Zeit stieg der Einfluss der Externen rasant. Ende letzten Jahres hatten wir zwei Sondersitzungen im Verteidigungsausschuss, um einen Untersuchungsausschuss möglichst zu vermeiden. Aber leider hat das Verteidigungsministerium unsere Fragen bei Weitem nicht so beantworten können oder wollen, wie wir uns das gewünscht hätten. Das Ministerium konnte zum Teil nicht einmal Auskunft darüber geben, wer bestimmte Entscheidungen für bestimmte Auftragsvergaben getroffen hat. Die ehemalige Staatssekretärin Katrin Suder hat sich geweigert, in den Verteidigungsausschuss zu kommen, aus meiner Sicht spricht das Bände.

Die Ministerin hat Katrin Suder, die vorher Managerin bei McKinsey war, 2014 zur Rüstungsstaatssekretärin berufen.

Das war eine bewusste Entscheidung von Ursula von der Leyen. Die ehemalige Staatssekretärin ist über viele Jahre eine Schlüsselfigur bei den Entscheidungsprozessen im Verteidigungsministerium gewesen.

Angetreten ist Ursula von der Leyen als Reformerin einer maroden Bundeswehr.

Der Zustand der Bundeswehr war nicht gut, als sie das Amt übernommen hat, das ist richtig. Allerdings ist er fünf Jahre später nicht wirklich besser, trotzdem wurden Hunderte von Millionen ausgegeben für private Beratung von außen. Fast alle Großprojekte bei der Rüstungsbeschaffung kommen später als geplant und werden Milliarden teurer als gedacht. Und oft werden sie in einem Zustand angeliefert, der unter der Quote der Einsatzbereitschaft des alten Materials liegt.

Zur Person

Matthias Höhn, Jahrgang 1975, ist sicherheitspolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag. Er ist Mitglied im Verteidigungsausschuss und Vorsitzender des Unterausschusses für Abrüstung

Schlechter als das alte Material? Wie kann das sein?

Das bereitet mir auch Kopfzerbrechen. Im Beschaffungsmanagement haben wir anscheinend eine Vertragssituation seitens des Ministeriums und der Bundeswehr mit den Rüstungsunternehmen, wo im Grunde alles denkbar ist. Aufträge werden zu Ende geführt, egal wie lange es dauert und wie viel sie kosten. Das hat mittlerweile eine Form von Selbstbedienungsmentalität.

Bei der Sanierung des Marine-Segelschiffs Gorch Fock lautet das Minimalziel inzwischen: Schwimmfähigkeit.

Die Gorch Fock ist beispielhaft für das, was ich eben beschrieben habe. Angefangen wurde mit einem Kostenrahmen von zehn Millionen Euro, jetzt rechnet man mit 135 Millionen. Das kann man niemandem außerhalb des Bundestages erklären. Zwingend für die Ausbildung in der Marine wird sie nicht gebraucht, man sollte einen Schlussstrich ziehen und dieses Projekt beenden, die Kosten sind nicht zu rechtfertigen. Keine angebliche Tradition ist 135 Millionen wert.

Der Wehrbeauftragte nennt im Jahresbericht neben Mängeln bei Panzern und Tankern auch fehlende Schutzwesten und Helme. An Geldmangel dürfte es eigentlich nicht liegen, oder?

Der Verteidigungsetat ist so hoch wie nie, es sind über 43 Milliarden Euro für dieses Jahr, so viel hatte noch keiner vor Ursula von der Leyen. Und er soll in den nächsten Jahren, das ist bereits fest vereinbart, noch einmal um die Hälfte, auf über 60 Milliarden Euro steigen – das wären dann 1,5 Prozent vom BIP. Nach wie vor gibt es die politische Zielstellung, auf zwei Prozent des BIP zu gehen, dann lägen wir bei 85 Milliarden Euro und hätten einen größeren Etat als Russland. Sicherheitspolitisch ist das eine absurde Strategie und auch haushälterisch nicht zu verantworten.

Auslandseinsätze und Rückbesinnung auf die Landes- und Bündnisverteidigung, das ist die Agenda für die Bundeswehr.

Es wirft ein Licht auf das aktuelle Verständnis deutscher Außenpolitik, das gerne mit der Formulierung verbunden wird, man müsse mehr Verantwortung übernehmen, und dabei geht es fast immer um mehr militärische Verantwortung. Wie unsinnig das ist, zeigt der Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr – seit 18 Jahren. Was die Bündnis- und Landesverteidigung betrifft, da gehört Ursula von der Leyen gemeinsam mit den Bündnispartnern der NATO zu denjenigen, die die Konfrontationspolitik innerhalb Europas vorantreiben. Ende vorigen Jahres hatten wir in Norwegen mit 40.000 Soldaten die größte NATO-Übung seit Jahrzehnten, um Russland abzuschrecken.

Russland hatte kurz zuvor auch ein großes Manöver abgehalten.

Das stimmt. Und das ist genauso falsch. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir aus dieser Konfrontationssituation nicht mit wechselseitigen Provokationen herauskommen, stattdessen müssen wir uns auf die Entspannungspolitik zurückbesinnen.

Bewaffnete Drohnen sind auch ein Teil der Aufrüstungsspirale.

Der Einsatz bewaffneter Drohnen, der weltweit stattfindet, steht in einem massiven Widerspruch zu völkerrechtlichen Regelungen. Was wir brauchen, ist darüber hinaus eine internationale Verständigung über die Ächtung autonomer Waffensysteme, die steht bis heute aus. Stattdessen erleben wir, dass Verträge im Rüstungs- und im Rüstungskontrollbereich fallen gelassen werden und neue Regelungen kaum hinzukommen.

Ein Beispiel ist der INF-Vertrag. Wie bewerten Sie die Reaktionen der Bundesregierung?

Absolut unzureichend. Fällt der INF-Vertrag, wäre das eine massive Verschlechterung der Sicherheit in Europa. Und es zeigt sich, wie grotesk es ist, dass sich die Bundesregierung bis heute weigert, dem Atomwaffenverbotsvertrag beizutreten. Die EU muss alles tun, um den INF-Vertrag zwischen den USA und Russland doch noch zu erhalten. Und die EU sollte parallel Verhandlungen mit Russland aufnehmen über ein atomwaffenfreies Europa.

Kommen wir von den äußeren zu inneren Bedrohungen. Eine aktuelle Recherche der „taz“ zeigt ein rechtsextremes Netzwerk, bei dem Personen von KSK und MAD eine Rolle spielen. Wie steht es um die Aufklärungsarbeit des Verteidigungsministeriums im konkreten Fall?

Es ist zwiespältig. Aus dem Ministerium gibt es die klare Ansage, dass Rechtsextreme in der Bundeswehr nichts zu suchen haben, was begrüßenswert ist. Zugleich stehen wir vor dem Problem, dass es nachgewiesenermaßen Rechtsextreme in der Bundeswehr gibt, darüber haben wir erst vor Kurzem im Verteidigungsausschuss gesprochen. Wir haben Fälle, wo Munition aufgefunden wurde, wo sich auf den sogenannten Tag X vorbereitet wurde, wo Listen erstellt worden sind, mit Namen von prominenten Politikern und Politikerinnen. Von Netzwerken möchte das Ministerium aber nicht sprechen. Das ist bestenfalls naiv.

Dabei erhöht doch allein die militärische Ausbildung das Potenzial für Rechtsterrorismus.

Im Bereich der Bundeswehr haben wir es mit hochausgebildeten Personen zu tun, die Zugang zu Waffen und Munition haben, das muss also mit Hochdruck verfolgt werden. Im Moment hat man den Eindruck, dass nur zugegeben wird, woran man nicht mehr vorbeikommt, zum Beispiel wenn bereits der Generalbundesanwalt ermittelt.

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