Erste Demonstrationen sind unterwegs, Stadtteilinitiativen haben Banner entworfen, Protestgruppen ihre Forderungen beraten, oder Steinhaufen markiert. Die Polizei hat die Wasserwerfer aufgetankt: In Hamburg ist Gipfeltreffen, in Hamburg ist Protest. Wer in Ruhe Elbphilharmonie und Michel besuchen will, sollte vielleicht für einen Zeitraum planen, in dem die Grundrechte wieder gelten. Kann man zumindest nach dem Gespräch mit dem Soziologen Simon Teune denken.
der Freitag: Gipfelproteste gab es vor allem bei den G7- und G8-Treffen der mächtigsten Industriestaaten. Warum sorgt jetzt G20 für eine so große Mobilisierung?
Simon Teune: Das Treffen der G20 gilt einigen tatsächlich als der „bessere“ Gipfel, weil auch die Schwellenländer beteiligt sind. Bei der Mobilisierung zu diesem Gipfel spielt nicht nur der ungerechte Welthandel eine Rolle, sondern auch, dass Trump, Erdoğan und Putin anreisen, die für die Ausweitung autoritärer Politk stehen. Das Treffen ist also auch eine symbolische Gelegenheit, Solidarität mit denen zu zeigen, die unmittelbar von dieser Politik betroffen sind. Trumps Ankündigung, aus dem Klimaabkommen auszusteigen, ist ein weiterer Mosaikstein. Es kommt einiges zusammen, wogegen Menschen auf die Straße gehen.
Als der Veranstaltungsort bekannt wurde, fragten sich viele, wie man auf diese Wahnsinnsidee kommen konnte.
Das hat sich die Hamburger Polizei wahrscheinlich auch gefragt. Wenn man einen solchen Gipfel in unmittelbarer Nähe zur Roten Flora plant, ist das eine symbolische Herausforderung. Auch wenn man sich nicht mit der Konfliktlage in Hamburg auskennt, ist es eine Eskalation mit Ansage. Spätestens seit dem G8-Gipfel 2001 in Genua war klar, dass solche Veranstaltungen in Innenstädten auf massiven Widerstand stoßen. Warum die Planer diese Erkenntnis in den Wind geschlagen haben, ist mir schleierhaft. Wenn Hamburgs Innensenator ein „Festival der Demokratie“ ankündigt, ist er ahnungslos oder täuscht die Öffentlichkeit bewusst.
Zur Person
Simon Teune erforscht am Zentrum für Technik und Gesellschaft der TU Berlin den Protest sozialer Bewegungen. Den Soziologen interessieren, wie die kulturellen und politischen Einbettungen Widerstand beeinflussen
Foto: Ulrich Dahl/TU Berlin
Vertragen sich Sicherheitskonzept und Demokratie?
Ich finde es unredlich zu behaupten, die Sicherheit habe zwar oberste Priorität, aber man werde zugleich Grundrechten ihren Platz einräumen. Das entspricht nicht den Erfahrungen von vergangenen G7- und G8-Veranstaltungen. Wenn man einen Gipfel in der Hamburger Innenstadt durchdrücken will, sind massive Grundrechtseinschränkungen eingeplant.
Hamburg verwandelt sich in eine Festung, im gesamten Stadtgebiet gibt es Sperrzonen für Demonstrationen.
Im Grunde genommen ist die Frage doch, ob die Versammlungsfreiheit hierzulande nur als ein Grundrecht zweiter Klasse angesehen wird. Als Verfügungsmasse, mit der man umgehen kann, wie es gerade passt. Da fehlt eine klare Positionierung. Allerdings ist es natürlich eine klare Positionierung, wenn es für leitende Beamte kein Karrierehindernis ist, wenn sie wiederholt Grundrechte einschränken.
Stellt sich nicht schon allein wegen des Polizeiaufgebots die Frage nach dem Sinn solcher Veranstaltungen?
Bei den Gipfeln sind bis zu 20.000 Polizisten und andere Kräfte im Einsatz, die einen Zaun bewachen. Wenn man sich jetzt die Situation in Hamburg anguckt, stellt sich die Frage, wie man diesen Aufwand, die Einschränkungen für die Bevölkerung und die systematischen Grundrechtsverletzungen, in Kauf nehmen kann.
Angeblich werden in Hamburg bis zu 100.000 Demonstranten erwartet.
Für Heiligendamm konnte man sich über alle Spektren hinweg auf einen gemeinsamen Aufruf und eine gemeinsame Protestchoreografie einigen. In Hamburg ist der Protest allerdings stärker aufgefächert – vor allem, weil es zwei Großdemonstrationen gibt. Es gibt eine starke autonome Mobilisierung – angesichts der großen linken Hamburger Szene keine Überraschung. Wer letztendlich wann auf die Straße geht, hängt von der Mobilisierungsfähigkeit der einzelnen Spektren ab und vom Aufwand, den sie betreiben. Zur G8-Demonstration in Rostock waren auch 100.000 Demonstranten angekündigt, es waren dann vielleicht 60.000.
Hat sich bei den Demonstrationen inzwischen Routine eingeschlichen?
Ein Gipfel ist eine symbolische Inszenierung, die mit einer symbolischen Inszenierung beantwortet wird. Es ist ein Repertoire, das jedes Mal neu eingeübt und geringfügig verändert wird. Gipfelproteste haben über die Zeit eine Bildsprache entwickelt, die sich größtenteils wiederholt. Es gibt die Auseinandersetzungen mit der Polizei, es gibt eine große Demonstration, Aktionen zivilen Ungehorsams, es wird ein Gegengipfel veranstaltet.
Staatliche Repression und gewaltbereite Demonstranten sind auch Klassiker.
Sie beherrschen auch die öffentliche Wahrnehmung. Wir haben gerade eine Analyse zur Berichterstattung über Demonstrationen gemacht. Das Ergebnis ist ziemlich eindeutig: Wenn es darum geht, Botschaften unterzubringen, ist die Konfrontation mit der Polizei nicht das Mittel der Wahl. Man bekommt viel Aufmerksamkeit, aber es setzt sich niemand mehr damit auseinander, was man politisch fordert. In Heiligendamm wurde im Vorfeld viel darüber berichtet, aus welchen Gründen die Menschen protestieren wollen, es gab eine Auseinandersetzung mit der Kritik an solchen Gipfeln, aber in dem Moment, als in Rostock die Steine flogen, war das alles weggefegt.
Andererseits sind die Massenblockaden von Heiligendamm zum Vorbild für andere Demonstrationen geworden, oder?
Ja, beim Konzept der Massenblockade haben sich damals gewaltfreie Anti-Atom-Aktivisten und postautonome Gruppen zusammengetan. Das hat danach nicht nur auf die Proteste im Wendland zurückgewirkt, sondern auch den breiten Blockaden gegen Naziaufmärsche den Boden bereitet.
Kann man sagen, dass in den vergangenen Jahren die Akzeptanz für zivilen Ungehorsam gestiegen ist?
Ja. Das lässt sich auch daran ablesen, dass größere, etablierte Akteure solche Protestformen unterstützen, wie die Gewerkschaften im Fall der Dresdner Blockaden. Und natürlich hat es auch eine symbolische Wirkung, wenn sich der Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse von Polizisten von der Straße weg begleiten lässt.
Wird das Bild vom „linken Chaoten“ benutzt, um Grundrechtsverletzungen zu rechtfertigen?
Demonstrationsverbote, massenhafte Gewahrsamnahmen, aber auch Polizeigewalt werden im Prinzip immer mit dem Argument begründet, unter den Demonstrierenden gebe es einen Anteil, der von sich aus die Auseinandersetzung mit der Polizei suche. Es gibt da aus polizeitaktischen Gründen keine Motivation, zu differenzieren. Dass das von Beobachtern, insbesondere von Journalisten, einfach so übernommen wird, ist aber höchst problematisch. Es fehlt ein kritischer Blick auf die Arbeit der Polizei. Und eine Emphase für die Versammlungsfreiheit.
In Genua wurde der 23-jährige Demonstrant Carlo Giuliani erschossen, die Polizei hat Protestteilnehmer systematisch misshandelt.
Ja, da wurde die Polizeigewalt tatsächlich sichtbar. Es gab zwar eine lange juristische Aufarbeitung, aber die Betroffenen wurden letztlich alleingelassen.
Genua gilt als Geburtsstunde der globalisierungskritischen Bewegung. Erleben wir im Moment die Wiederauferstehung von Attac?
Das Attac-Netzwerk war ja nicht verschwunden, die Gründergeneration ist Mitte der 2000er Jahre abgewandert. Sven Giegold ist bei den Grünen, Sabine Leidig bei der Linkspartei, Felix Kolb bei Campact. Als Infrastruktur, um Themen zu setzen und unterschiedliche Milieus in Kontakt zu bringen, ist Attac sicher nach wie vor wichtig. Seit der Euro-Krise blicken die Protestbewegungen auf die Austeritätspolitik, nur hat sich Attac nicht stark positionieren können.
Und die Globalisierungskritik wird gerade von rechts übernommen?
Rechte Globalisierungskritiker gab es schon immer, aber sie waren nicht besonders sichtbar. Das hat sich mit dem Brexit, der Wahl von Donald Trump und dem Erstarken der rechtspopulistischen Bewegungen in Europa geändert.
Bei den Protesten gegen TTIP wurde das offensichtlich.
Ich finde, darauf haben die Organisatoren der Anti-TTIP-Demonstration in Berlin mit dem Ausschluss der AfD aber angemessen reagiert. Und G20 dürfte die AfD-Anhänger angesichts der Teilnahme von Sympathieträgern wie Putin und Trump kaum zum Protest bewegen.
Ihr Institut führt bei Großdemonstrationen regelmäßig Befragungen durch. Fahren Sie auch nach Hamburg?
Ja, wir werden bei den Demonstrationen am 2. und am 8. Juli Teilnehmer befragen. Die zweite Demonstration ist sicher spannender, weil da viel vom Verlauf im Vorfeld abhängt: Wie verhält sich die Polizei, was passiert auf der autonomen Demonstration? Fürchten sich die Menschen dorthin zu gehen oder gehen sie erst recht auf die Straße, weil Demonstrierende ungerecht behandelt wurden? Wir wissen wenig über die Hamburger, die spontan dazukommen. Vor Heiligendamm haben groß angelegten Hausdurchsuchungen zu einer Welle der Solidarisierung geführt und viele haben sich erst nach diesen Polizeiaktionen entschieden, zur Demonstration zu fahren.
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