Heimat muss sich wieder lohnen

GroKo Union und SPD haben sich auf einen Koalitionsvertrag geeinigt. Die Verlierer standen schon vorher fest: Erwerbslose, Flüchtlinge und Martin Schulz
Das Glas ist halbleer
Das Glas ist halbleer

Foto: Carsten Koall/Getty Images

Wenn sich drei Wahlverlierer zusammentun, muss man nicht mit Mut rechnen. Den Blick nach vorne haben Union und SPD schon bei den Sondierungen vermieden und diesem Kurs sind sie bei den Koalitionsverhandlungen treu geblieben. Klimaschutz, Pflegekollaps, Altersarmut, da sind in den vergangenen Tagen keine nachhaltigen Maßnahmen hinzugekommen. Der Koalitionsvertrag funktioniert nach dem Gießkannenprinzip, für fast jeden ist etwas dabei. Die Rüstungskonzerne und die Autoindustrie werden weiter florieren, Familien mit Eigenkapital will man den Traum vom Eigenheim ermöglichen, die bisher unwirksame Mietpreisbremse soll ein bisschen effektiver werden und den darbenden Durchschnittsverdienern kommen ein paar Linderungen zuteil, nur für Erwerbslose und Geflüchtete hat man wenig übrig.

Eigentlich wollte die SPD für den Ausstieg aus der Zwei-Klassen-Medizin und die Abschaffung sachgrundloser Befristungen bei Arbeitsverträgen kämpfen, bis es „quietscht“. Herausgekommen ist bei der Befristung eine Verkürzung von zwei auf eineinhalb Jahre, die geforderte Angleichung der Arzthonorare wandert zur Überprüfung in eine Kommission. Man kann beinahe den Eindruck gewinnen, dass die SPD bei den GroKo-Verhandlungen ihr Engagement vor allem auf die Vergabe von Posten konzentriert hat. Da ist ihr ein echter Coup gelungen, gleich sechs Ministerien wandern in die Zuständigkeit der SPD, darunter auch das Schlüsselressort Finanzen. Damit kann sie ihre Mitglieder, die bis Anfang März über das endgültige Zustandekommen dieser GroKo abstimmen, sicher mehr überzeugen, als mit den Inhalten des Koalitionsvertrags. Olaf Scholz soll nicht nur Finanzminister, sondern auch Vizekanzler werden. Der CDU wird der Aderlass vermutlich schwer gefallen sein, ein Trostpflaster könnte für sie sein, dass mit Scholz ein Verfechter der Agenda 2010 übernimmt, der etwaigen sozialdemokratischen Umverteilungsfantasien gänzlich unverdächtig ist. Für SPD-Verhältnisse hat man sich auch überraschend elegant des Parteichefs entledigt. Martin Schulz soll Außenminister werden, Andrea Nahles soll den Parteivorsitz übernehmen.

Offenbart hat sich die Schwäche der CDU, das Wahlergebnis der SPD rechtfertigt jedenfalls nicht die großzügige Zuteilung an Posten. Die Angst vor einer Minderheitsregierung und eine Schwesterpartei, die angesichts der anstehenden Landtagswahlen in Bayern auf eine Trophäe pochte, hat Angela Merkel zu „schmerzhaften Zugeständnissen“ gezwungen, die die CDU beide Schlüsselressorts gekostet hat. Die Innenministerium liegt nun in der Hand der CSU, erweitert wurde sein Zuschnitt um „Heimat“ und „Bauen“. Heimatministerium, das klingt nach George Bush und lässt die Herzen jener, die auf Law-and-Order und eine von der AfD inspirierte Abschiebepolitik setzen, höher schlagen. Es ist eine Konzession an die Anhängerschaft der AfD und der Versuch, die Wähler, die man an sie verloren hat, zurückzuholen. Ob es der CSU damit gelingt, dass es irgendwann keine Partei rechts von ihr gibt, ist fraglich.

Besorgniserregend dürfte diese Zuschnittserweiterung nicht nur für die linken Oppositionsparteien im Bundestag sein, die sich auf eine Neuauflage der Debatte um die deutsche Leitkultur gefasst machen müssen, sondern auch für die linke außerparlamentarische Opposition. Die CSU nimmt sie schon lange verstärkt unter dem Stichwort „Linksextremismus“ ins Visier, immer wieder haben CSU-Politiker nach den G20-Protesten lautstark die Schließung der Roten Flora verlangt. Beim Parteitag im Dezember beantragte der Nachwuchs von der Jungen Union die Einstufung der Antifa als Terrororganisation und einen härteren Umgang mit Ökoaktivisten. Bisher war das Getöse aus dem fernen Bayern, das Risiko für die Kriminalisierung linken Protests ist mit einem Bundesinnenminister von der CSU auf jeden Fall größer geworden.

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