Die Mehrheit der Deutschen schätzt die Demokratie und begrüßt die Aufnahme von Geflüchteten. Angesichts der Erfolge von Rechtspopulisten in ganz Europa kann man sich dennoch nicht entspannt zurücklehnen. Denn das ist leider nur eines von vielen Ergebnissen der Studie „Gespaltene Mitte – Feindselige Zustände“ der Friedrich-Ebert-Stiftung. Der Titel deutet bereits an, dass von Zuversicht auch hierzulande keine Rede sein kann. Zur Mehrheit gesellt sich nämlich eine nicht mehr als klein zu bezeichnende Minderheit, die sich immer stärker radikalisiert. Jeder dritte Teilnehmer, der im Sommer von Wissenschaftlern der Universität Bielefeld für die Studie befragt wurde, sagte, in Deutschland lebten zu viele Ausländer. Zu spüren bekommen die Ressentiments vor allem Muslime und Asylbewerber.
Zunehmend gewaltbereit
Alarmierend ist die Zunahme der Gewaltakzeptanz, die die Bielefelder Konflikt- und Gewaltforscher bei ihren Umfragen feststellten. Eine „protestbereite Gruppe“ von sieben Prozent hegt nicht nur Sympathien für rechtsextremes Gedankengut und gibt sich offen demokratiefeindlich, bei ihr ist auch eine signifikant hohe Gewaltbereitschaft anzutreffen. Dass diese Gruppe ihren Worten auch Taten folgen lässt, zeigt sich an Angriffen und Brandanschlägen auf Asylbewerberunterkünfte. 2015 verzeichnete die Bundesrepublik einen traurigen Rekord, aktuelle Statistiken des BKA legen nahe, dass für dieses Jahr eine ähnlich hohe Anzahl solcher Straftaten droht. Bei den Sympathisanten der AfD sind menschenfeindliche und rassistische Einstellungen besonders häufig anzutreffen, eine Überraschung ist das nicht. Die AfD ist in den vergangenen beiden Jahren weiter nach rechts gerückt und ihre Anhänger haben diesen Schritt mitgemacht.Von ihnen äußerten sich fast 74 Prozent abwertend über Asylbewerber. Die Haltungen gegenüber Geflüchteten hängen übrigens weniger vom Einkommen oder anderen soziodemographischen Merkmalen ab, sondern vor allem von der politischen Überzeugung. Dazu passt, dass mehr als 69 Prozent der AfD-Anhänger abfällig über Arbeitslose sprachen, insgesamt waren es 49 Prozent der Teilnehmer der „Mitte“-Studie, die keinerlei Empathie für Bezieher von Hartz-IV zustande brachten. Zur weit verbreiteten Annahme, dass Rechtspopulisten ihre Wählerklientel vor allem in den Reihen der ökonomisch Abgehängten rekrutieren, passt das nicht.
Die Neue Rechte
Im Vergleich zur Vorgängerstudie von 2014 hat sich die Zustimmung zu rechtsextremen Aussagen bei den Befragten aus den ostdeutschen Bundesländern verdoppelt, im Rest der Republik bleibt sie auf stabilen Niveau. Im Hinblick auf das Ausmaß zwischen 2006 und 2012 verzeichnen die Forscher einen deutlich Rückgang. Stattdessen befindet sich die Neue Rechte im Aufwind. Zum ersten Mal wurde in der Mitte-Studie die Verbreitung neu-rechter Einstellungen erhoben.
Angesichts der Ergebnisse, welche die AfD bei Wahlen erzielt, ist das naheliegend. Stünde zurzeit in Sachsen eine Wahl an, würde sie laut einer aktuellen Umfrage des MDR mit 25 Prozent zweitstärkste Kraft, während die SPD auf zwölf Prozent kommen würde.
„Wer die AfD verstehen will, muss die Junge Freiheit lesen“, hat Partei-Vize Alexander Gauland einmal gesagt. Die nationalkonservative Wochenzeitung ist das Leitmedium der Neuen Rechten. Von Reichsbürgern bis zu „Identitären“, die mit ihren Guerilla-Aktionen als popkultureller Arm der Bewegung firmieren, vereint die Neue Rechte eine schillernde Mischung. Am Dienstag kündigte Bundesinnenminister Thomas de Maizière an, dass der Verfassungsschutz die Reichsbürger bundesweit ins Visier nehmen wird. Allein in Bayern soll es Innenminister Joachim Herrmann zufolge 1.700 von ihnen geben, 340 sind Waffenbesitzer.
Als Vordenker der Neuen Rechten gilt Götz Kubitschek, er gründete das „Institut für Staatspolitik“, bei diesem ultrarechten Think Tank sind AfD-Politiker wie Björn Höcke gern gesehene Gäste. Vertreter der Neuen Rechten beherrschen zwar die bürgerliche Attitüde, für eine harmlose Spielart des Konservatismus stehen sie aber nicht. Mit Begriffen wie „Identität“ und „Widerstand“ transportieren sie eine nationalistisch-völkische Ideologie, Rassismus tarnt sich bei ihnen als unverdächtig klingender „Ethnopluralismus“. Die Neue Rechte vertritt nationalchauvinistische Positionen, sie fordert den Austritt aus der EU, sie ist demokratiefeindlich und hat ein Faible für autokratische Herrscher und für Verschwörungsmythen wie die Annahme einer Unterwanderung durch den Islam. Der Kampf gegen die „Lügenpresse“ und die „Meinungsdiktatur“ gehört ebenso zu ihrem Repertoire wie der Angriff auf das politische Establishment, das sie als korrupt und illegitim bezeichnet. Pegida lässt grüßen, Donald Trump ebenfalls.
Europa wählt
Mittlerweile sind die Themen der Neuen Rechten in der Mitte der Gesellschaft angekommen, wie die Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung belegt. 28 Prozent der Deutschen vertreten neurechte Einstellungen, 40 Prozent aller Befragten meinen, die deutsche Gesellschaft werde vom Islam unterwandert. Bei den Anhängern der AfD sind es 84 Prozent, die ein neurechtes Weltbild haben.
In anderen europäischen Ländern ist die Situation noch alarmierender. Wenige Tage vor der deutschen „Mitte“-Studie veröffentliche das britische Meinungsforschungsinstitut YouGov eine Untersuchung zur Größe der Anhängerschaft autoritärer Populisten in Europa. Schweden, Deutschland, Spanien und Litauen gehören zu den Schlusslichtern, in Polen sind 78 Prozent der Wähler empfänglich für populistische Ideen, in Frankreich 63 Prozent und in den Niederlanden 55 Prozent. Die Umfragen für die britische Studie fanden im September statt, zwei Monate vor der Wahl von Trump. Zu seinen ersten Gratulanten gehörten Geert Wilders und Marine Le Pen. Im März wählen die Niederlande ein neues Parlament, wenige Wochen später findet die Präsidentschaftswahl in Frankreich statt, im Herbst folgt die Bundestagswahl. Die aktuellen Studien sind mehr als Alarmsignale, sie sind ein Weckruf.
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