Kein Sozialstaat mit dieser CDU

Erwerbslosigkeit Die Union blockiert eine Reform der Hartz-IV-Gesetze mit Parolen von Vorgestern
Ausgabe 02/2021
Der Gesetzgeber muss Hartz IV reformieren. Auf den Vorstoß, den Hubertus Heil nun gemacht hat, folgte prompt der Widerstand der Union
Der Gesetzgeber muss Hartz IV reformieren. Auf den Vorstoß, den Hubertus Heil nun gemacht hat, folgte prompt der Widerstand der Union

Foto: Christian Spicker/Imago Images

Als die Bundesregierung das Kurzarbeitergeld verlängerte, sorgte sich Friedrich Merz vor allem um die Absenkung der Arbeitsmoral. In einer Zeit, in der hierzulande so viele wie noch nie mit diesem Kriseninstrument vor dem Jobverlust geschützt werden, fällt einem Anwärter für den CDU-Parteivorsitz nichts Bessere s ein, als davor zu warnen, dass sich die Menschen an ein „Leben ohne Arbeit“ gewöhnen könnten.

Das erinnert fatal an die Parole „Es gibt kein Recht auf Faulheit“, mit der die bürokratische Schikane von Hartz-IV-Betroffenen begründet wird. Nach einem Sozialstaat, der seinen Bürgerinnen und Bürgern auf Augenhöhe begegnet, klingt das nicht. Das ist Rohrstock-Pädagogik, mit der man für Einschüchterung sorgt. Dieser Strategie setzte das Bundesverfassungsgericht mit seinem Sanktionsurteil zumindest gewisse Grenzen. Der Gesetzgeber muss Hartz IV reformieren. Auf den Vorstoß, den Hubertus Heil nun gemacht hat, folgte prompt der Widerstand der Union. Zur Entschärfung von Hartz IV verzichtet der SPD-Arbeitsminister in seinem Gesetzentwurf für die ersten zwei Bezugsjahre auf die Überprüfung der Wohnungsgröße. Vermögen von bis zu 60.000 Euro sollen in dieser Zeit ebenfalls nicht angetastet werden. Ein Überraschungscoup waren diese Vorschläge für die CDU wahrlich nicht. Beide Prüfungen hat die Große Koalition in der Corona-Krise ausgesetzt. Vor allem Solo-Selbstständige sollen damit aufgefangen werden, die Regelung gilt bis März. Mit einer Verbesserung der Weiterbildung will Heil auch den Druck verringern, jeden noch so schlechten Job annehmen zu müssen. Die schrillen Töne, die Peter Weiß, arbeitspolitischer Sprecher der Unionsfraktion, daraufhin anschlug, irritieren. Am Grundsatz „Fördern und Fordern“ werde die Union nicht rütteln. Die „schleichende Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens“ sei nicht drin, denn dadurch würde Arbeit abgewertet. Was für ein Unsinn! Abgewertet wird Arbeit durch schlechte Bezahlung und miese Verträge. Selbst wirtschaftsnahe Ökonomen loben die SPD-Pläne, vor allem mit Blick auf die Abstiegsangst der Mittelschicht. Vielleicht ist die hysterisch anmutende Reaktion der CDU auf einen Vorstoß, der weder einen vollständigen Sanktionsverzicht noch höhere Regelsätze in Aussicht stellt, einer Nervosität geschuldet, denn ihre Narrative verfangen gerade immer weniger.

Leistungsgerechtigkeit? Davon kann nicht die Rede sein, wenn systemrelevante Berufe schlecht entlohnt werden. Appelle an Eigenverantwortung? Zünden nicht, wenn ganze Branchen Berufsverbot haben. Keine Vermögensabgabe? Obwohl Armin Laschet beim Parteichefbewerber-Talk die Schere zwischen Arm und Reich kleinredete, beweisen Studien, wie sie sich in der Pandemie weiter spreizt. Die Corona-Politik zielt vor allem aufs Privatleben, während man sich bei Arbeitgebern mit Appellen zum Homeoffice begnügt. Die Schlange vor dem Glühweinstand wird zum Skandal hochgejazzt, um die vor der Stechuhr schert man sich nicht. Bis tief in die von der CDU umworbene sogenannte Mitte der Gesellschaft sorgt das für Unmut.

In Sachen Sozialstaatspolitik ist mit der CDU wenig zu machen, bei der Armutsbekämpfung geht schlicht nichts. Das hat sie mit der stoischen Weigerung, in milliardenschwere Hilfspakete den von Sozialverbänden geforderten Corona-Zuschlag auf Hartz IV reinzunehmen, unmissverständlich klargemacht. Unter Grün-Rot-Rot würden die Chancen auf soziale Sicherheit besser stehen, Linkspartei und Grüne gehen bei ihren Reformvorschlägen für die Grundsicherung wesentlich weiter als die SPD. Hauptaufgabe der nächsten Bundesregierung wird die Bewältigung der wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Corona-Krise sein. Aber die Zeichen stehen auf Schwarz-Grün. Ob es dabei bleibt, hängt auch davon ab, mit welcher Parteispitze die CDU in den Wahlkampf zieht. Sobald rechnerisch mal die Möglichkeit für ein Mitte-links-Bündnis aufflackerte, setzte die CDU stets auf markige Sprüche à la „Freiheit statt Sozialismus“. Spätestens seit Corona funzt dieser Schlachtruf so gar nicht mehr.

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