Liebesgrüße aus Hannover

Niedersachsen Die Landtagswahl könnte nicht nur für die Kanzlerin gefährlich werden, sondern auch für die Zöglinge von Gerhard Schröder
Ausgabe 40/2017

In Berlin hat die Zeit des Ausharrens begonnen. Bis zur Landtagswahl in Niedersachsen wird die Sondierung für eine Jamaika-Koalition wohl kaum beginnen, schließlich wollen weder CDU, FDP noch Grüne potenzielle Wähler verprellen. Angesichts der Wahlschlappe der Union ist nicht davon auszugehen, dass Angela Merkel dieser Landtagswahl gelassen entgegenblickt. Wie nervös die Kanzlerin ist, zeigte sich bei ihrem Auftritt in Hildesheim, bei dem sie eigentlich Wahlkampfhilfe für den CDU-Spitzenkandidaten Bernd Althusmann leisten sollte. Merkel machte den Eindruck, als würde sie vor allem für sich selbst kämpfen. Ungewohnt angeschlagen wirkte sie am Rednerpult, nur drei Tage nach der Bundestagswahl blieb ihr kaum etwas anderes übrig, als sich zum Debakel zu äußern. Allein die Vagheit, mit der sie sich zu „Hausaufgaben“ äußerte, die nun für die CDU anstünden, erinnerte noch an die Kanzlerin, die man bisher gewohnt war.

Verliert die CDU in Niedersachsen, schwächt das nicht nur Merkels Stellung in der Partei, die seit der Bundestagswahl ohnehin angekratzt ist, sondern auch ihre Position bei den Verhandlungen mit CSU, FDP und Grünen. Als Althusmann in Hildesheim gegen seinen Lieblingsfeind, den grünen Landwirtschaftsminister Christian Meyer, stichelte, war es die Kanzlerin, die prompt seine Äußerungen relativierte. So dürfte sich der CDU-Spitzenkandidat, der Niedersachsens rot-grüne Landesregierung ablösen möchte, die prominente Wahlkampfhilfe aus Berlin wohl kaum vorgestellt haben. Dabei schlägt Althusmann inzwischen selbst für seine Verhältnisse vergleichsweise milde Töne an, wenn es um die Grünen geht, schließlich könnte ihm in Niedersachsen das Gleiche blühen wie Merkel im Bund.

Sumpfland, kein Jamaika

Dass bereits in zehn Tagen und nicht wie vorgesehen erst im Januar der neue Landtag in Hannover gewählt wird, ist Elke Twesten geschuldet. Die grüne Landtagsabgeordnete verkündete Anfang August ihren Wechsel zur CDU-Fraktion und nahm der von SPD-Ministerpräsident Stephan Weil geführten Regierung damit die parlamentarische Mehrheit. Weil rief Neuwahlen aus und Niedersachsens CDU zeigte sich siegessicher. Ihre Umfragewerte lagen bei 40 Prozent, ein Machtwechsel zu Schwarz-Gelb schien zum Greifen nah. Kurz vor der Wahl zeichnet sich nun zwischen CDU und SPD ein sehr knappes Rennen ab, die CDU liegt nur noch bei 35 Prozent, die SPD erreicht in aktuellen Umfragen 34 Prozent, die Grünen sind drittstärkste Kraft. „Rot-Grün ist in Niedersachsen die Wunschkonstellation“, sagt Anja Piel, die Spitzenkandidatin der Grünen. Auf den Wahlplakaten wirbt ihre Partei nur für die Zweitstimme und in Veranstaltungen offensiv für eine Fortsetzung dieser Koalition. Für Zuversicht sorgt bei Piel nicht nur „die positive Resonanz, die Niedersachsens Grüne bei Gesprächen an den Wahlständen erhalten“, sondern auch die jüngste Erhebung von Infratest dimap, die zu dem Ergebnis kommt, dass die Zufriedenheit der Bevölkerung mit der amtierenden rot-grünen Regierung in den Tagen nach der Bundestagswahl noch einmal gestiegen ist. Am Samstag haben die Grünen auf ihrem Länderrat für die Aufnahme von Sondierungsgesprächen mit CSU, CDU und FDP gestimmt. „Ich freue mich, dass eine große und gemischte Gruppe sondieren wird“, sagt sie. Dass Jürgen Trittin, der Niedersachsens Spitzenkandidat für die Bundestagswahl war, zu jenen gehören wird, die im Bund verhandeln sollen, begrüßt sie sehr. „In Niedersachsen gibt es für uns Grüne aber keinen Anlass, über Jamaika nachzudenken“, sagt Piel. „Zur CDU haben wir eine große Ferne, nicht nur, wenn es um Verschärfungen in der Asylpolitik geht.“ Die grüne Fraktionsvorsitzende kritisiert, dass Althusmann bei der Inklusion eine „Atempause“ fordert, ihre Partei setzt stattdessen auf eine Fortsetzung des Ausbaus der Sozialarbeit an Schulen und mehr Fachkräfte, die die Lehrer unterstützen sollen. Bei den Themen Agrar- und Energiewende, Mobilität und Zukunft der Autoindustrie würden sich ohnehin Gräben zwischen CDU, FDP und Grünen auftun. Mit dem Wendland und Gorleben gilt Niedersachsen als Wiege der Grünen, traditionell umkämpft ist das zweitgrößte Flächenland der Republik aber zwischen CDU und SPD. Von 1990 bis 2003 regierten Gerhard Schröder und sein Gefolge, danach bis 2013 Christian Wulff und David McAllister. „Niedersachsen-Sumpf“ und „Maschsee-Mafia“ waren Begriffe, die diese Zeit prägten. Obwohl Schröder und Wulff sich Carsten Maschmeyer als Freund teilten, ist das Bundesland nicht zum Terrain für eine Große Koalition geworden. Althusmann orientiert sich im Wahlkampf ohnehin mehr am benachbarten Nordrhein-Westfalen. Dort stilisierten CDU und FDP das Land als failed state und attackierten Innenminister Ralf Jäger (SPD) und die grüne Kultusministerin Sylvia Löhrmann. Althusmann beschwört das „rot-grüne Chaos“, wenn er über Bildung und Sicherheit spricht. Ob die Strategie aufgeht, ist fraglich. Für Niedersachsens SPD-Innenminister Boris Pistorius findet selbst Thomas de Maizière warme Worte und dass Althusmann in seiner Zeit als Kultusminister unter McAllister prophylaktisch gegen den Lehrermangel agiert hätte, kann man nicht behaupten.

Die CDU kämpft gegen Socken

Der Dieselskandal bei VW scheint bei der CDU als Wahlkampfschlager ausgedient zu haben. Vermutlich sollte die Kritik an Weils Krisenmanagement vor allem als Ablenkungsmanöver für Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt dienen. In der Schlussphase des Wahlkampfs greift Althusmann auf die Rote-Socken-Kampagne zurück. Seit Tagen fordert er Weil auf, sich von der Linken zu distanzieren, der der Wiedereinzug in den Landtag gelingen könnte. Es war das einzige Thema, bei dem Merkel in Hildesheim enthusiastisch einstimmte. Das könnte man auch als Anzeichen von Panik werten. Im Saarland, wo das Wahljahr seinen Anfang nahm, verfolgte die CDU angesichts des kurzen Aufschwungs der SPD die gleiche Strategie. Um die Gelassenheit der Genossen im Bund dürfte es trotz ihrer Entscheidung für den Gang in die Opposition allerdings ebenfalls nicht gut bestellt sein. Verliert die SPD die Landtagswahl, wäre es für Martin Schulz die fünfte Niederlage in Folge. Eine Empfehlung für die Wiederwahl zum Parteivorsitzenden wäre das nicht. Thomas Oppermann, Sigmar Gabriel und Hubertus Heil begannen ihre Karriere in Schröders niedersächsischer Kaderschmiede. Manchmal endet auch alles, wie es begann.

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