Mehr Demut wagen

Sozialdemokratie Eine Personaldebatte macht noch keinen Frühling. Die SPD braucht einen Plan für die Zeit nach der Volkspartei
Ob Andrea Nahles die SPD in eine bessere Zukunft führen kann, ist mehr als zweifelhaft
Ob Andrea Nahles die SPD in eine bessere Zukunft führen kann, ist mehr als zweifelhaft

Foto: Tobias Schwarz/AFP/Getty Images

Bloß keine Personaldebatte, so lautete bisher die Losung der SPD-Führung. Jetzt sind die Spiele eröffnet. Am Montagabend ging die Parteichefin und Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles in die Offensive. In der ZDF-Sendung mit dem rein zufällig sehr treffenden Titel „Was nun?“ verkündete sie, dass die Neuwahl der Fraktionsspitze vorgezogen wird, vom ursprünglich vorgesehen Termin im September auf den kommenden Dienstag. Putschgerüchte gegen Nahles sorgten schon in der Woche vor den Wahlen für Schlagzeilen. Mit ihrem Schachzug hat die SPD-Vorsitzende jene, die sich als Kandidaten für den Fraktionsvorsitz ins Gespräch brachten oder gebracht wurden, überrumpelt.

Martin Schulz zum Beispiel. Im Interview mit der Zeit zeigte sich der Ex-Parteichef und frühere Kanzlerkandidat arg empört darüber, nun unter Zugzwang gesetzt zu werden. „Wir sollten Ruhe bewahren und die richtigen Entscheidungen zur richtigen Zeit treffen“, sagte Schulz.

Und dann befand er, das Erscheinungsbild seiner Partei sei mutlos. „Uns fehlt die Bereitschaft, uns die Kapitalisten einmal richtig vorzuknöpfen – meinetwegen auch mal populistisch zu sein.“ Immerhin ist es Schulz in diesem Interview gelungen, das Dilemma der Genossen prägnant auf den Punkt zu bringen. Das Klagen über Mutlosigkeit und der fehlende Mut, selbst den Hut in den Ring zu werfen. Die verbalradikale Klassenkampfrhetorik von Protagonisten, bei denen man sich nicht einmal im Traum vorstellen kann, wie es ausschaut, wenn sie sich die Vertreter des Kapitals vorknöpfen. Andrea Nahles geht mit ihrer Flucht nach vorn zwar ein Risiko ein, verliert sie den Fraktionsvorsitz dürfte auch ihr Parteivorsitz alsbald in Frage gestellt werden, aber das Personaltableau, das für mögliche Posten im Gespräch ist, gibt keinen Anlass für Optimismus. Gegenwärtig dürfte der SPD eine Personaldebatte tatsächlich nicht viel nützen. Die Spiele sind eröffnet, aber die Signale weisen eher auf eine Fortsetzung des Trauerspiels. Die Partei ist nicht nur personell, sondern vor allem programmatisch und strategisch ausgebrannt. Das haben die Reaktionen von SPD-Spitzenpolitikern auf die von Juso-Chef Kevin Kühnert angestoßene Debatte über Vergesellschaftung noch einmal deutlich vor Augen geführt.

Immerhin quälen sie das Publikum inzwischen nicht mehr mit dem Mantra: Zurück zur Sacharbeit. Aber sind Formeln wie „Ruhe bewahren“ oder das Warten auf die „richtige Zeit“ ein Fortschritt? 15, 8 Prozent bei der Europa-Wahl, erstmals nach 73 Jahren in Bremen nur noch zweitstärkste Kraft und im Jahr davor die Niederlagen in Bayern und Hessen, auf was will man da noch warten? Auf die Landtagswahlen in Ostdeutschland, die nicht nur das Tal der Tränen, sondern auch die Angst vor einem Abschied von der Großen Koalition eher noch größer machen dürften? Das von der SPD-Führung verkündete Projekt, mit der Union zu regieren und zugleich einen Neuanfang und die politische Profilierung voranzutreiben, ist gescheitert. Der Slogan „SPD erneuern“ war nicht mehr als ein Hashtag. Ein Plan für die Zeit nach der Großen Koalition ist nicht erkennbar. Statt beständig um sich selbst zu kreisen und damit letztlich den Nimbus der Union als ewiger Regierungspartei zu stützen, könnte sie sich mal mit der Rolle des Juniorpartners in einem Linksbündnis beschäftigen.

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