Man sollte wachsam sein, wenn in politischen Debatten Gefühle ins Spiel gebracht werden. „Kraft ihrer seelischen Eigenart ist die Frau in weit höherem Maße als der Mann gefühlsmäßigen Einflüssen unterworfen und in der von Gefühlen unbeeinflussten objektiven Aufnahme und Beurteilung von Tatbeständen behindert.“ Mit dieser Begründung versuchte 1921 der deutsche Richtertag Juristinnen vom Richteramt auszuschließen und damit die weibliche Konkurrenz wegzubeißen. Es war ein vertrautes Muster, auf das rekurriert wurde, wenn es um den Zutritt von Frauen zu höheren Ämtern ging. Im Kaiserreich wurde die Dichotomie von Gefühl und Rationalität als Argument ins Feld geführt, um Frauen das Universitäts
;tsstudium, das Wahlrecht und den Eintritt ins Parlament zu verweigern. Als „natürliche“ Betätigungsfelder der Frau wurden Haushalt und Kindererziehung festgezurrt.Diese Spielart des Antifeminismus hat sich tief in den politischen Betrieb eingeschrieben. Spuren davon begegnen einem immer noch in fast jedem Porträt über Spitzenpolitikerinnen. Mädchen, Mutti, Physikerin der Macht, schwarze Witwe, Sphinx, eiserne Kanzlerin: Das klingt schillernd, mit dem eher zurückhaltenden öffentlichen Auftritt von Angela Merkel lassen sich solche Charakterisierungen nur schwer in Verbindung bringen. Überraschend ist das nicht, abgesehen vom Hinweis auf Merkels wissenschaftliche Ausbildung sind es Stereotype. Emotional oder kühl distanziert, um diese beiden polarisierenden Adjektive kreist die Wahrnehmung von Politikerinnen und die Interpretation ihres Führungsstils. Margaret Thatcher war Großbritanniens „eiserne Lady“, US-Demokratin Hillary Clinton die „kühle Strategin“. Bei Merkel lässt sich nachverfolgen, wie mit jedem ihrer Karriereschritte die Betriebstemperatur der typologischen Beschreibungen sinkt. Anfangs war sie „Kohls naives Mädchen“, nachdem sie symbolisch den „Vatermord“ begangen hatte, porträtierte sie der Spiegel-Autor Alexander Osang bereits als „das eiserne Mädchen“.Ihre Körper werden kritisiertInzwischen schwankt man spöttisch zwischen „Mutti“ und beinharter Machtpolitikerin. Diese Klischees funktionieren unabhängig von der Politik, für die Frauen stehen und die politische Ausrichtung ihrer Partei. Ein Blick auf die Attribute, mit denen Sahra Wagenknecht apostrophiert wird, führt das deutlich vor Augen. Klug, aber kühl, unnahbar, distanziert; der Check ihrer Körpersprache – kerzengerader Rücken, hochgerecktes Kinn –, solche Beobachtungen findet man von der taz bis zur FAZ in jedem Porträt der Fraktionschefin der Linkspartei. Je größer das Machtbewusstsein einer Politikerin eingeschätzt wird, desto häufiger hört man, es mangele ihr an Warmherzigkeit oder der gewissen Lässigkeit, die eine charismatische Politikerpersönlichkeit erst vollende. Dazu gesellt sich die Fixierung auf ikonografische Details: die Handtasche, die Raute, die Rosa-Luxemburg-Gedächtnisfrisur.Placeholder infobox-1Mit der Zuspitzung auf Gefühligkeit oder Kälte geht eine Limitierung des Verhaltensrepertoires einher. Man kann sich kaum vorstellen, dass es anerkennend goutiert worden wäre, hätte Merkel wie ihr Amtsvorgänger von der SPD, Gerhard Schröder, am Zaun des Kanzleramts gerüttelt und gebrüllt: „Ich will hier rein!“ Das bräsige Beleidigtsein, auf das Helmut Kohl in seiner Amtszeit setzte, wäre für sie vermutlich keine Option gewesen, und wenn sie sich auf das verbale Duell mit Horst Seehofer, der sich als CSU-Chef bis zur „letzten Patrone“ gegen Zuwanderung wehren wollte, eingelassen hätte, wäre die Verstörung wohl groß gewesen. Schaut man sich an, wie Heide Simonis, die in Schleswig-Holstein die erste Ministerpräsidentin der Republik war, charakterisiert wurde, sind kaum Fortschritte zu verzeichnen. „Volksnah, fröhlich, etwas vorlaut“, eine „schrille Figur mit der besonderen Neigung zu Hüten und Ringen“ – die mediale Darstellung irrlichtert zwischen Göre und einer Landesmutter, der es an der gebotenen weiblichen Bescheidenheit mangelt. Als Simonis nach zwölf Jahren unfreiwillig aus dem Amt scheiden musste, weil ein anonymer Abweichler ihre Wiederwahl zur Ministerpräsidentin sabotierte, verpasste man ihr den Spitznamen „Pattex-Heidi“: Sie klebe am Posten und habe einen Hang zur Macht. Die SPD-Politikerin Manuela Schwesig wurde zu Beginn ihrer Laufbahn „Küsten-Barbie“ getauft, Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen „Flinten-Uschi“. Das klingt nach Soap und nicht nach politischer Bühne. Als Claudia Roth noch Parteichefin war, schrieb Moritz von Uslar in der Zeit, sie sei bei den Grünen für exakt zwei Disziplinen zuständig, „das Hochfahren von Gefühlen und die gute Laune“. Seit Jahrzehnten haftet ihr das Emblem „Nervensäge“ an.Karl Lauterbach lobte die Entscheidung, seine Genossin Andrea Nahles zur Fraktionschefin zu küren, und fügte begründend hinzu, Nahles habe das Emotionale deutlich heruntergefahren. Dabei wird in den Medien gerade lautstark nach emotionalen Volksvertretern verlangt. Seit dem Erfolg der AfD hört man, die Politik müsse die Gefühle der Menschen ernst nehmen. Dabei geht es aber nicht um eine Aufwertung von Gefühlen, sondern um die Rehabilitierung von Wut. Es wird gegen Migranten und „Gender-Wahn“ protestiert. Es ist ein fatales Signal, wenn der Ex-SPD-Chef darauf mit einem Essay reagiert, in dem er sich fragt, ob die Emanzipation von Frauen dysfunktionale Familien hervorbringe. Es ist ein emotional turn, der sich um Empathie für die Gefühle von Männern dreht.
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