Der Freitag: AfD-Parteitage sind oft von Machtkämpfen geprägt, man denkt an Frauke Petry oder Bernd Lucke. Die Vertreter der extremen Rechten haben dabei eigentlich jedes Mal an Einfluss gewonnen. Voriges Wochenende fand das Kyffhäusertreffen des völkischen Flügels statt. Welche Signale wurden da gesendet?
Alexander Häusler: Das Kyffhäusertreffen hat den Rechtsruck der AfD, der seit der Gründung der Partei kontinuierlich voranschreitet, noch einmal deutlich bestätigt. Der Thüringer Rechtsaußenpolitiker Björn Höcke wurde da wie eine Art Messias gefeiert. Als die Moderation ihn dort – halb ironisch, halb ernsthaft – als möglichen „neuen Parteivorsitzenden“ ankündigte, gab es tosenden Applaus. Die AfD bestand immer aus drei Flügeln, einem nationalliberalen, einem nationalkonservativen und einem radikal rechten Flügel. Die Parteivorsitzenden Alexander Gauland und Jörg Meuthen, die auch beim Kyffhäusertreffen dabei waren, haben deutlich eine pro-Höcke-Position bekundet.
Das heißt, der Flügel um Höcke ist in der Offensive?
Das deutet sich zumindest so an. Bisher ging man davon aus, dass der völkisch nationalistische Flügel etwa ein Drittel der AfD-Mitglieder hinter sich versammeln kann, inzwischen scheint sich das zugunsten dieser Rechtsaußen-Formation zu verschieben. Und es zeugt natürlich auch von einem neuen Machtbewusstsein, dass dieser Flügel jetzt angekündigt hat, die eigene Programmatik auch auf den Westen der Republik auszudehnen.
Was bedeutet das?
Man muss sich in Erinnerung rufen, dass die Zustimmung, die die AfD in den ostdeutschen Bundesländern bekommen hat, maßgeblich dadurch zustande gekommen ist, dass man sich gegen die wirtschaftspolitischen Positionen von AfD-Gründern wie Bernd Lucke oder Hans-Olaf Henkel gerichtet hat. Der radikal rechte Flügel hat in den ostdeutschen Landesverbänden auf die soziale Frage gesetzt und sie völkisch aufgeladen. Wenn dieser Flügel auf dem Parteitag einen entsprechenden Antrag stellt, könnte es spannend werden.
Zur Person
Alexander Häusler, Jahrgang 1963, ist Sozialwissenschaftler und wissenschaftlicher Mitarbeiter des Forschungsschwerpunktes »Rechtsextremismus und Neonazismus« der Hochschule Düsseldorf. Im März erschien das von ihm herausgegebene Buch Völkisch-autoritärer Populismus: Der Rechtsruck in Deutschland und die AfD
Den Nationalliberalen, die auf Marktradikalismus setzen, kann das nicht gefallen.
Ja, bei der Wirtschafts- und Sozialpolitik gibt es innerhalb der AfD ein großes Konfliktpotenzial und bislang ist dieses Thema auf den Parteitagen auch immer eher ausgeklammert worden. Aus meiner Sicht ist die AfD eine Partei, die da schon wegen der ideologischen Ausrichtung der unterschiedlichen Flügel schwer auf eine gemeinsame Position kommen dürfte.
„Sozial ohne rot zu werden“, lautet die Losung von Höcke...
Das erinnert an die Politik der Nazis, Höcke und seine Mitstreiter besetzen die soziale Frage völkisch und nationalistisch. Und nun versuchen sie, diese Form der Agitation zum programmatischen und propagandistischen Gesamtkonzept der AfD zu machen.
Alexander Gauland hat neulich den Nationalsozialismus relativiert und die Nazis als „Vogelschiss in der Geschichte“ bezeichnet. Provokation oder Programmatik?
Diesen Mechanismus kennen wir ja schon seit der Gründungsphase der AfD, zuerst wird verbal ein Tabubruch begangen, anschließend rudert man zurück und inszeniert sich als falsch verstandenes Opfer. Um das einzuordnen, muss man sich den Kontext anschauen, in dem dieser Satz gesagt wurde. Gauland hat eine Rede beim Bundeskongress der Jungen Alternative gehalten. Bei dieser Veranstaltung wurden nicht nur Forderungen wie die Zerschlagung Europas beschlossen, sondern auch, dass alle drei Strophen des Deutschlandliedes an Schulen gesungen werden dürfen. Und in einem solchen Zusammenhang kann man davon ausgehen, dass das kein Versprecher war, sondern in eine weltanschauliche Sicht passt.
Kann man den Nachwuchs der Partei dem völkischen Flügel zuordnen?
Nicht in Gänze, aber in Bezug auf die AfD steht die Jugendorganisation noch deutlicher radikal rechts als die Gesamtpartei. Viele sind oder waren im Burschenschaftsmilieu aktiv, aber es gibt auch Schnittmengen zu radikal rechten Organisationen wie dem „Institut für Staatspolitik“ oder der Identitären Bewegung.
Götz Kubitschek, der Gründer des Instituts für Staatspolitik setzt in Anlehnung an den italienischen Marxisten Antonio Gramsci auf die Eroberung der Diskurshegemonie. Inzwischen spricht Bayerns Ministerpräsident von „Asyltourismus“.
Als rechts von der CSU die Republikaner aufgestiegen sind, hat die CSU-Spitze darauf reagiert wie sie jetzt auf die AfD reagiert. Sie setzt auf rechte Parolen, in der Hoffnung die Wechselwähler zurückzugewinnen. Man kann sagen, dass dabei der gegenteilige Effekt eintritt. Mittlerweile ist Vokabular, das diskriminierend und ausgrenzend ist, nicht mehr auf den rechten Rand und die AfD beschränkt, sondern hat Einzug in den parlamentarischen Diskurs gehalten. Was da stattfindet, ist eine Normalisierung von rechtem Vokabular. Mit Gramscis Hegemonietheorie hat das nicht viel zu tun – das ist vielmehr Ausdruck einer erfolgreichen rechtspopulistischen Öffentlichkeitsstrategie, die mit Stilmitteln des kontinuierlichen rechten Tabubruchs bei gleichzeitiger Einnahme einer Opferstellung funktioniert – frei nach dem Motto „Wir werden ausgegrenzt, nur weil wir es wagen, die Wahrheit zu sagen“.
Erinnert Sie das an die Asyldebatte der frühen neunziger Jahre?
Die Täter der rassistischen Pogromwelle konnten sich damals durch den öffentlichen Diskurs bestätigt fühlen. Die aktuelle Debatte über den Umgang mit Zuwanderung weist da erschreckende Ähnlichkeiten auf. Aber der Unterschied zur Situation in den neunziger Jahren ist, dass wir jetzt eine Partei haben, die deutlich völkisch, nationalistisch und radikal rechts positioniert ist und daraus in einem Ausmaß parteipolitischen Profit schlagen kann, wie es bisher in der Geschichte der Bundesrepublik unbekannt war. Solche Zustimmungswerte wie die AfD haben die Republikaner nicht im mindesten erreichen können. Und das ruft nicht nur Erinnerungen an die neunziger Jahre hervor, sondern auch an Weimarer Verhältnisse, zumindest wenn man sich anschaut, was bei Veranstaltungen wie dem Kyffhäusertreffen passiert.
Inwiefern?
Was Höcke und seine Anhänger da machen, ist ein völkisch nationalistisches Aufstands- und Erhebungsversprechen. Und das kann durchaus einen bedrohlichen Charakter bekommen.
Die AfD hat vor drei Monaten ihr Kooperationsverbot mit Pegida fallen gelassen.
Höcke versteht die AfD als Bewegungspartei, die nicht nur in den Parlamenten, sondern auch auf der Straße Politik machen will. Was auf der Straße zum Ausdruck kommt, ist eine Mobilisierung gegen Minderheiten, Geflüchtete und Andersdenkende. Wenn man sich die Parolen anhört, muss man deutlich sagen, dass sie einen protofaschistischen Charakter haben.
In Italien wollte Matteo Salvini von der rechtsextremen Lega Sinti und Roma zählen lassen, die AfD hat im sächsischen Landtag eine Anfrage gestellt, die das gleiche Ziel hatte. Nächstes Jahr stehen die Europaparlamentswahl und die Landtagswahl an.
Es gibt die These, dass die Landtagswahl in Sachsen eine Art Blaupause werden kann für eine realpolitische Gestaltbarkeit von AfD-Positionen. Im Europaparlament haben wir aktuell schon eine starke Rechtsaußen-Fraktion, die sich mit den Neuwahlen – auch bedingt durch den Austritt Großbritanniens – im rechten Feld noch einmal neu sortieren wird. Die AfD wird dort für die anderen rechten Parteien ein wichtiger Ansprechpartner sein, schon allein weil Deutschland in der EU ein großer Player ist und inzwischen eine Rechtsaußen-Partei im Bundestag sitzt. Vorbild für die AfD ist Österreichs FPÖ, und das gilt nicht nur für den völkischen Flügel der AfD, sondern für die Gesamtpartei.
Rechtspopulismus, Rechtsextremismus, welche Bezeichnung passt zur AfD?
Über den Begriff des Rechtspopulismus gibt es in der Tat große Debatten, nicht nur in Wissenschaft und Forschung, sondern auch in der Öffentlichkeit. Manche lehnen den Begriff ab, mit dem Argument, dass er die extrem rechten Positionen, die in der AfD zum Ausdruck kommen, verharmlost. In der öffentlichen Wahrnehmung wirken Rechtspopulisten „weicher gespült“ oder zumindest nicht ganz so gefährlich wie Rechtsextreme. Ich halte das für falsch. Rechtspopulismus sehe ich in erster Linie als eine ganz spezifische Form der Agitation und Propaganda, mit einem bestimmten Freund-Feind-Bild und einem „Wir“-Angebot. Das heißt, es können sowohl rechtskonservative als auch ganz radikal rechtsfundierte Parteien rechtspopulistisch auftreten. Die AfD ist eine rechtspopulistisch agitierende Partei, die in ihrer Positionierung auf einer Rechts-Links-Skala immer deutlicher in das rechtsradikale Feld gerückt ist. Ich würde die AfD als eine Partei des völkisch-autoritären Populismus charakterisieren.
In linken Debatten hört man gerade oft, das Rechts-Links-Schema ist veraltet, es gehe um den Kampf von „unten gegen oben“.
Das ist originär neurechter Jargon, der da aufgegriffen wird. Es ist die Neue Rechte, die diese Parole ausgibt, um mit dieser Form einer Querfront-Strategie die soziale Frage von rechts zu besetzen. Gerade der fehlende Antagonismus zwischen rechts und links innerhalb des demokratischen Rahmens führt dazu, dass Menschen auf diese rechtspopulistische Agitation reinfallen. Und zwar im Kontext von Politikverdrossenheit und sozialen Abstiegsängsten. Deshalb ist es gerade jetzt wichtig, einen polarisierten Diskurs und eine verschärfte Auseinandersetzung über rechte und linke Vorstellungen von einer gerechteren Zukunft zu führen.
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