Ein „neuer Joschka“, eine „neue Petra Kelly“, der mediale Trend zur ikonografischen Überfrachtung macht auch vor den Grünen nicht halt. Die Partei hat mit Robert Habeck und Annalena Baerbock seit dem Wochenende ein neues Führungsduo, das nun als politisches Traumpaar der Republik gefeiert wird. Im wirklichen Leben verband den regierungsfreudigen Kosovo-Kriegsbefürworter Joschka Fischer und die Friedensaktivistin Petra Kelly, die die Grünen als „Anti-Parteien-Partei“ etablieren wollte, nicht allzu viel. Fischers Aufstieg in der Partei begann mit Kellys Abstieg. Die Rückbesinnung auf die Anfänge der Grünen passt zwar zu Habecks Plänen, aus ihnen eine attraktive Bewegungspartei zu machen, aber ansonsten stand die Bundesdelegiertenkonferenz in Hannover eher für einen Abschied von früheren Grundsätzen.
Bisher galt bei der Besetzung von Führungsposten die Flügellogik, mit Habeck und Baerbock bilden nun zwei Realo-Vertreter die Doppelspitze. Das eherne Prinzip der Trennung zwischen Amt und Mandat, das den frühen Grünen nicht nur als Instrument gegen die Anhäufung von Ämtern, sondern auch als Waffe gegen die verachtete Personalisierung von Politik galt, wurde für Habeck aus dem Weg geräumt, in Hannover wurde die Satzung entsprechend geändert. Habeck wird in den kommenden acht Monaten zwei Jobs bestreiten, als Bundesvorsitzender der Grünen und als Umweltminister der Kieler Jamaika-Koalition. Dass Habeck die Aufhebung der Trennung von Amt und Mandat zur Bedingung für seine Kandidatur um den Chefposten machte und damit auch offensiv seinen Machtanspruch zur Schau stellte, sorgte bei Teilen des linken Flügels durchaus für Unmut.
Der Parteitag hat noch einmal deutlich vor Augen geführt, wie defensiv die Parteilinke inzwischen auftritt, wenn es um den Anspruch auf Führungspositionen geht. Das war bereits der Fall, als mit Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir zwei Realos als Spitzenkandidaten für den Bundestagswahlkampf gekürt wurden, und daran hat auch das magere Ergebnis, das die beiden mit ihrem Kurs in Richtung Schwarz-Grün einfuhren, nichts geändert. Mit der niedersächsischen Fraktionsvorsitzenden Anja Piel gab es bei diesem Parteitag nur eine Anwärterin vom linken Flügel für den Parteivorsitz, sie unterlag deutlich. Baerbock holte 64,45 Prozent der Stimmen, Piel 34,78, Habeck erhielt 81,3 Prozent. Im Vorfeld hatten Özdemir und Winfried Kretschmann geklagt, der Flügelpoporz verhindere, dass die Besten sich durchsetzten. Die Medien passten sich ihrer Lesart, Talente seien nur in den Reihen der Realos auffindbar, bereitwillig an.
Mindestlohn, war da was?
Habeck und Baerbock haben die Devise ausgegeben, die Partei links der Mitte zu positionieren, angesichts des gegenwärtigen Rechtsrucks dürfte das keine allzu große Herausforderung sein. In seiner eher feuilletonistisch inspirierten Parteitagsrede sinnierte Habeck über eine zeitgemäße Definition des Linksseins. Er kritisierte die Schere zwischen Arm und Reich und nahm das Wort Umverteilung in den Mund. Dass die Jamaika-Regierung in Schleswig-Holstein gerade den höheren landeseigenen Mindestlohn einkassiert hat, verträgt sich allerdings nicht so ganz mit dieser sozialpolitischen Rhetorik. Die gebürtige Niedersächsin, die sich als Wahl-Brandenburgerin für die Energiewende und gegen den Kohleabbau engagiert, betonte auf dem Parteitag die Bedeutung der sozialen Frage und hielt ein leidenschaftliches Plädoyer für eine humane Flüchtlingspolitik. Habeck und Baerbock sind Experten für Umweltpolitik und Klimaschutz, dass die versierteren Protagonisten für sozialpolitische Positionen eher im linken Flügel anzutreffen sind, wissen sie. Entsprechend deutlich waren die Signale, die sie in dessen Richtung sendeten; ohne die Einbindung von Finanzexperten wie Gerhard Schick oder der Sozialpolitikerin Katja Dörner wird es schwierig, einen Kurs links der Mitte einzuschlagen. Als kleinster Oppositionspartei in einem Parlament, das deutlich nach rechts gerückt ist, bleibt den Grünen ohnehin nichts anderes übrig.
Dass bedeutet allerdings nicht, dass die Partei sich offensiver um linke Bündnisse im Bund bemühen wird, als das in den letzten vier Jahren der Fall war. Özdemir will weiter um die Gunst der FDP-Klientel buhlen, Habeck gehört einer Jamaika-Regierung an und Baerbock hat für den Fall, dass eine schwarz-rote Koalition nicht zustande kommt, eine erneute Jamaika-Sondierung in Aussicht gestellt. Die erste Runde hat wohl noch nicht ausreichend für Ernüchterung gesorgt, obwohl die Grünen dabei eine Flexibilität an den Tag legten, die viele ihrer Anhänger nicht begeistert haben dürfte. Die Grünen werden zwar gerade für ihre Erneuerung gefeiert, aber auch bei der CSU hat eine Personalrochade begonnen, die deren Schwesterpartei noch bevorsteht. Angesichts einer CSU, die AfD-Positionen abräumt und eines extrem konservativen CDU-Nachwuchses, fragt man sich, was noch passieren muss, damit die Ökopartei ihren Traum von Schwarz-Grün beerdigt.
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