Terror und Aktionismus

Gefährder Nach dem Mord in Hamburg glaubt jeder zu wissen, wie eine sichere Republik auszusehen hat
Ausgabe 31/2017
Während die einen noch trauern, beginnen die anderen direkt mit der Wahlkampfrhetorik
Während die einen noch trauern, beginnen die anderen direkt mit der Wahlkampfrhetorik

Foto: Moris MacMatzen/Getty Images

Besonders eilig hatte es die Bild-Zeitung. „Warum spricht eigentlich kaum jemand von Terror“, fragte sie rhetorisch – und fand schnell Protagonisten für die These. Einen Tag zuvor hatte ein abgelehnter palästinensischer Asylbewerber in einem Hamburger Supermarkt einen Mann erstochen und sieben weitere Personen verletzt. Viele Politiker bekundeten ihr Mitgefühl mit den Opfern und äußerten sich zurückhaltend zur Tat. Das war dem Umstand geschuldet, dass es über den Täter und seine Motive widersprüchliche Informationen gab.

Der Aktionismus, den Horst Seehofer einst nach dem Anschlag von Berlin an den Tag gelegt hatte, scheint für einige allerdings neue Maßstäbe gesetzt zu haben. Vor allem Innenpolitiker von CSU und CDU äußerten sich im Minutentakt, oft in Wahlkampfrhetorik. Lautstark setzte Kritik an der Abschiebepraxis von Ländern ein, in denen nicht die Union regiert. Inzwischen gibt es Berichte, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Abschiebefrist versäumt habe. CSU-Innenexperte Stephan Mayer machte Hamburgs SPD als Schuldigen aus. Einen Tag, nachdem sich der Angriff ereignet hatte, war das Gesetz zur besseren Durchsetzung zur Ausreisepflicht in Kraft getreten. Hätte die SPD nicht so lange Bedenken gegen die Rechtsverschärfung gehegt, wäre in Hamburg nichts passiert – so lautete die steile These.

Geändert hätte dieses Gesetz, das den Umgang mit sogenannten Gefährdern regelt, im konkreten Fall nichts. Denn der Palästinenser war vor der Tat als Islamist, aber nicht als Gefährder eingeschätzt worden. Mittlerweile scheint festzustehen, dass er sich rasend schnell radikalisierte, Hinweise auf Mittäter gibt es nicht. Wolfgang Bosbach verlangte eine „Passpflicht“ für Asylbewerber. Dass sehr viele Menschen auf der Flucht ihre Ausweisdokumente verlieren, verschwieg er dabei geflissentlich. Abgesehen davon war die Identität des Hamburger Attentäters den Behörden bekannt. Vielleicht glaubten die Innenpolitiker, abgesehen von ihren offensichtlichen Wahlkampfinteressen sogar tatsächlich, mit ihren Vorschlägen Sicherheit zu vermitteln. Ob es eine vertrauensbildende Maßnahme ist, sämtliche Geflüchtete ohne Papiere reflexhaft unter Terrorverdacht zu stellen, werden sie sich nicht gefragt haben. Sämtliche Informationen, die die Sicherheitsbehörden zur Radikalisierung des Täters hatten, kamen übrigens aus dessen unmittelbarem Umfeld in der Flüchtlingsunterkunft.

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