Verbissen optimistisch

Jamaika Wenigstens darin sind sich Union, FDP und Grüne einig: Alle wollen regieren
Ausgabe 43/2017
Und alle so: yeah!
Und alle so: yeah!

Foto: Tobias Schwarz/AFP/Getty Images

Ungewohnt zaghaft im Ton und stets mit einem zur Schau getragenen Lächeln bei auffallend angespannter Kiefermuskulatur, so präsentierten sich die Vertreter von CDU, CSU, FDP und Grünen nach der Bundestagswahl. Die Aussicht, gemeinsam über eine Jamaika-Koalition verhandeln zu müssen, setzte bei den Beteiligten vorübergehend die Beißreflexe außer Gefecht. Nach der ersten Kontaktaufnahme mit FDP und Grünen war zwar vor allem seitens der Union von Freude und Zuversicht die Rede, die Mimik von Horst Seehofer ließ darauf aber kaum schließen.

Mehr als 50 Unterhändler wurden ins Rennen geschickt, seit Ende voriger Woche steht zumindest ein Fahrplan für die Sondierungen, mit zwölf Themenblöcken will man sich beschäftigen. Den Anfang machten Finanzen, Haushalt und Steuern, am Donnerstag stehen die Themen Flucht, Asyl und Migration auf dem Programm, an Konfliktpotenzial dürfte es schon in den nächsten Tagen nicht mangeln. Harmonisch wird es sicher auch nicht zugehen, wenn es um Verkehr, Landwirtschaft, erneuerbare Energien oder die innere Sicherheit und den Rechtsstaat geht.

Pünktlich zum Auftakt der inhaltlichen Sondierungen ist man nun zum vertrauten Rollenrepertoire zurückgekehrt, Christian Lindner setzt auf seine bewährte One-Man-Show. Einen Tag vor dem ersten Treffen präsentierte er sein autobiografisches Buch Schattenjahre. Die Rückkehr des politischen Liberalismus. Darin nennt er als Grund für das Scheitern seiner Partei im Jahr 2013, die FDP-Spitzenpolitiker hätten sich zu sehr darum bemüht, als Sympathieträger zu erscheinen. Angesichts der Hetzkampagne, die Guido Westerwelle gegen Hartz-IV-Bezieher anzettelte, und der „Aufschrei“-Debatte, die Rainer Brüderle auslöste, ist das eine eigenwillige Interpretation, aber als Drohung, die sich nicht nur an die Sondierungspartner richten dürfte, kann sie durchaus Wirkung entfalten.

Die CDU klammert sich an ihren Fetisch der „Schwarzen Null“ und warnte in schrillen Tönen vor den teuren Plänen von FDP und Grünen, die das Budget sprengen würden. Die Panik war unbegründet, FDP und Grüne bekannten sich prompt zur Schuldenbremse, ein ausgeglichener Haushalt soll das Ziel sein. Die Suche nach anderen Geldquellen dürfte sich nun intensivieren. Die CSU pocht auf die Mütterrente, die Grünen fordern ein Familienbudget, mit dem die Partei Kinderarmut bekämpfen will. Nachdem das Bundeskanzleramt vor ein paar Tagen zu der Erkenntnis gelangt ist, dass „die soziale Frage die Menschen mehr bewegt als alles andere“, was es während des Wahlkampfs noch in Abrede gestellt hatte, sind die Chancen für die Grünen bei diesem Punkt gestiegen. Bei der Vermögenssteuer, die es ohnehin erst nach internen Disputen ins grüne Wahlprogramm schaffte, ist das nicht der Fall.

Als am Montag die Meldung kursierte, die Grünen würden einen zweiten Vizekanzlerposten reklamieren, sagte Andreas Scheuer: „Tofu predigen, aber so schnell wie möglich an die Fleischtöpfe wollen: typisch grün.“ Und bewies damit, dass die Feindbilder der CSU noch einwandfrei funktionieren. Die Ökopartei ruderte zurück, schließlich bewirbt man dort den Schritt in Richtung Jamaika seit Wochen mit dem Mantra, es gehe vor allem um ökologische und soziale Inhalte und vorerst nicht um Posten. Die Grünen geben zurzeit den braven Musterschüler, der sich akribisch auf die Verhandlungen vorbereitet hat. Die FDP berauscht sich noch immer am Wahlerfolg, während die Union vor allem mit sich selbst kämpft. Seit der Wahl tobt dort ein Streit über die politischen Konsequenzen aus dem AfD-Erfolg, der konservative Nachwuchs setzt dabei nicht nur die Kanzlerin unter Druck, sondern provoziert gezielt bei der Flüchtlingspolitik. Dass Beflissenheit beim Machtpoker keine Zierde ist, dürfte der Ökopartei klar sein. Sie will auf einem Parteitag über den Einstieg in Koalitionsgespräche abstimmen lassen und muss den Delegierten dafür Erfolge präsentieren. Das dürfte ihr gelingen, schließlich wollen alle, die gerade sondieren, auch regieren.

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