Bei 30 ist noch lange nicht Schluss

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Schreibt man als Mann über Frauenrechte, wandert man über ein Minenfeld der Vorwürfe. Man wolle sich anbiedern, spricht aus, was alle schon wüssten, und sei ein Nestbeschmutzer und Nichtversteher – so die Floskelanten. Natürlich allesamt Geschlechtsgenossen. Dann gehe ich mal los.

Eine Vorstandssitzung in einem börsennotierten Unternehmen – nur wenige Jahre ist es her. Der CEO kommt herein, frisch vom Klo, wie er alle wissen lässt, die BILD unterm Arm. Dröhnend reicht er die Seite 1 herum. Deutet grinsend auf die Nackte. Anwesende Männer lachen. Zwei Frauen, Protokollantin und Controllerin, tun es nicht.

Frage eines Headhunters an eine weibliche Führungskraft, die sich auf eine freiwerdende Vorstandsposition eines großen deutschen Dienstleistungsunternehmens im Jahr 2011 beworben hat: „Wenn Sie jetzt Vorstand werden wollen, leidet da nicht Ihre Weiblichkeit?“

Die Szenen lassen sich beliebig fortführen. Sie sind Alltag in den Chefetagen. Und auf die kommt es an. Wer dort sitzt, bestimmt, kreiert die Kultur des Unternehmens und seine Professionalität. Es ist wurscht, wie viele Redakteure, Textchefs, Controller und Produktmanager weiblichen Geschlechts sind. Oben wird gespielt, oben wird verhindert und geblockt – alternativlos einfach.

30 Prozent Frauenanteil fordern Medienschaffende in einem offenen Brief. Es wirkt, als ob sie um eine Gnade bitten. Jeder Mann, der bereits in der obersten Liga eines Unternehmens dabei sein durfte, weiß um die Kumpanei der Männer, weiß um das Schrödersche Röhren und die Nichtangriffspakte in diesen Räumen mit Häppchen und 0,33-L-Fläschchen. Wer 30 Prozent fordert, bekommt immer noch 70 Prozent Männer mit Hirschgehabe. Und was hilft die Arbeitsdirektorin, die Compliance-Chefin, die Art Directorin, wenn der CEO oder der CFO entscheidet, was passiert und vor allem nicht passiert und die Zentralen der Macht immer noch als Cordon Sanitaire der puren Männlichkeit begreifen?

50 Prozent muss die Zahl sein. Und sie muss in allen börsennotierten Firmen bis 2015 erfüllt werden. Führungskräfte fehlen? Unsinn. Seit Jahren entlassen die Universitäten mehr Frauen mit deutlich besseren Abschlüssen als Männer. Und dennoch kommen letztere weiter. Weil zu viele Trottellummen den Weg nach oben versperren. Weil ich als Mann lieber Männer einstelle. Wer das bestreitet, lügt. Wir wollen nicht in unseren Zirkeln bei den Zipfelspielen gestört werden. Lieber einen mediokren Mann als eine ehrgeizige Frau. Das ist die Regel, nicht die Ausnahme. Und ewig rumort die maskuline Peristaltik.

Doch was würde passieren, da oben auf dem höchsten Felsen im Affengehege, wenn mehr Frauen in die obersten Stockwerke der Wirtschaft einzögen? Exakt das, was Frau Merkel gerade mit ihren männlichen Kollegen durchexerziert. Wer wissen will, wie früher regiert wurde, empfehle ich den Auftritt des Altkanzlers Schröder bei seiner letzten Niederlage. Heute droht Professionalität und Sachlichkeit, wo man sich bisher in viertelstundenlangen Schwanzvergleichen beflegelte. Und allen, die nun den Knebel der Xanthippen herandräuen sehen, sei gesagt: Natürlich würden Frauen nicht nur Frauen fördern. Ich habe das in meiner Angestelltenzeit zumindest nicht erlebt. Es würde nur deutlich weniger in Meetings gefaselt, auf die Brust geklopft und sich spermatösem Simulationsgetöse hingegeben.

Wer die Schuld bei den Frauen und ihrer vermeintlich fehlenden Härte und Durchsetzungsfähigkeit sieht, handelt wie die Polizei in früheren Jahren: Ohne kurzen Minirock wird man auch nicht vergewaltigt. Die einzigen Frauen, die wirklich behindern, sind die, die bereitwillig auf Parteitagen gegen Quoten stimmen. Sie waren nie in der Maschinerie eines Konzerns tätig. Sie schwätzen theoretisch wie Rentner am Trainingsplatz. Gegen die versteckten Fouls von Kollegen, die Platzverweise, die Reservistenrolle von kompetenten und meist professionelleren Kolleginnen. Aber spielen sollen trotzdem andere.

Letztlich ist es wie mit dem Dosenpfand. 50 Prozent Frauenanteil bis 2015 – ein furioser Aufschrei geht durch das Land. Doch 2016 redet kein Mensch/Mann mehr darüber. Und in 20 Jahren schauen wir in die Archive und betrachten feixend das Jahr 2012 – so wie uns heute über die chauvinistischen Werbespots der 50er amüsieren. Die Macht liegt in unseren Händen. Vielleicht hilft ein Aufruf an alle Vernünftigen in dieser Republik, Zeitungen und Magazine mit weniger als 50 Prozent Frauenanteil an der Spitze nicht mehr zu kaufen. Rufen Sie in ihren Publikationen dazu auf: Was Herr Diekmann, Herr Peters, Herr Kister, Herr Osterkorn, Herr Blumencron, Herr Mascolo, Herr Baur, und nicht zu vergessen, Herr-AufeineZigarette-Di Lorenzo können, können Frauen auch, vielleicht sogar besser. Noch einmal: Es gibt nichts mehr zu diskutieren – nicht die 30 ist die Zahl. 50 muss es sein.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Martin Calsow

Schriftsteller ("Quercher und die Thomasnacht", "Quercher und der Volkszorn", "Quercher und der Totwald") und Journalist, lebt am Tegernsee.

Martin Calsow

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