Der deutsche Korrespondent

Journalismus Das Gros der deutschen Auslandskorrespondenten hat es gerne bequem - und auch die TV- und Zeitungszentralen hegen eine Affinität zur Irrelevanz in bunten Bildern.

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Es ist ein Kreuz mit diesen Rebellionen. Da hat man als altgedienter Korrespondent sein Leben in den schönen Städten dieser Welt hübsch eingerichtet. Ob Kairo, Istanbul oder Rio. Mal puzzelt man ein hübsches Rührstück für die Redaktionszentrale, mal einen Reise-Geheimtipp für die Reisebeilage, oder man befüllt das bunte Stück am Ende der Sendung. Hin und wieder wird man angerufen, wenn eine Einschätzung zu einem Flugzeugabsturz, einem Erdbeben oder einer Fußball-Weltmeisterschaft benötigt wird, und dann darf man mit scharlachroten apoplektischen Flecken im Gesicht „die Stimmung vor Ort“ wiedergeben. Dann und wann kommt der Chefredakteur vorbei. Dann werden besondere Restaurants, auch mal ein Puff, frequentiert. Ansonsten hat man es gern ruhig. Der lange, schwere Weg durch die Redaktionsinstanzen, er soll sich doch gelohnt haben. Kurz vor der Pensionierung noch schnell ein Sachbuch und eine Runde durch die Talkshows.

Und dann das. Erst der verdammte Arabische Frühling. Natürlich hat man als deutscher Journalist Wichtigeres zu tun, als sich mit der Jugend des Landes zu beschäftigen. Die ist ja immer unzufrieden. Kann man ja auch nicht ahnen, dass der Orientale, der auch sonst stets zur Übertreibung neigt, es jetzt ernst meint. Kaum ist das nach quälenden Monaten von daheimgebliebenen „Experten“ soziologisch, historisch und geopolitisch („Kann das auch in Deutschland passieren?“) eingeordnet worden, drehen die Türken durch. Wegen eines Drecksparks. Alles halb so wild, möchte man sagen. Aber die Zentrale ist seit Kairo und Tunis zu einem Hort von Angsthasen und Hysterikern mutiert. Was, wenn wir da wieder einen Trend verpassen? Also, schnell mal die ganz große Krisenbüchse aufgemacht. Eben noch Erdogan als sicherlich sperrigen, aber vernünftig erfolgreichen Orientführer analysiert, wird er jetzt zum Prügler vom Gezipark (Notiz: Muss meine Putzfrau fragen, wie der grüne Flecken eigentlich richtig ausgesprochen wird – die Peinlichkeit, als ich einst beharrlich Libyen als „Lybien“ bezeichnete, muss sich ja nicht wiederholen), der sein Volk niederdrischt. Gut, 72 Millionen Einwohner hat das Land. Und nur ein Bruchteil davon demonstriert. Dem Rest geht es besser als vor zehn Jahren. Aber will man sich als Korrespondent etwa mit der Tyrannensache gemein machen? Besser ist es, alles schön einfach zu halten. Zuschauer und Leser sind doof. Und das soll so bleiben.

Und jetzt Rio. Ja, sind die eigentlich völlig bescheuert? Denen geht’s doch gut. Hat man doch immer so die letzten Jahre geschrieben und abgefilmt. Alles super, Kriminalität wird damit harter Hand bekämpft. Die Regierung bestand und besteht aus ehemaligen Gewerkschaftern. Und die haben das Land nach vorn gebracht. Sieht man doch von der eigenen Wohnung in der Gated Community aus. Nicht mehr Dritte Welt. Das soll nicht unten angekommen sein? Es gibt immer auch noch dort Formen der Apartheid? In Brasilien? Ach was. Schnell eine Straßenumfrage, ein alter Schuhputzer, das kommt immer gut, und dann ist auch Schluss. Denn die Ehefrau sagt auch, dass die Shopping Malls in Recife voll seien. Und wenn die jetzt auch noch gegen die Weltmeisterschaft und Olympia wettern, könnte man kotzen. Hat man doch schon jetzt seine Akkreditierungen für alle Spielorte. Man will sich doch nicht von der verwöhnten Jugend des Landes die schönen Jahre außerhalb der Zentrale kaputtmachen. Früher war Rebellion einfach besser.

Nicht jeder Korrespondent denkt und redet so. Christine Schlötzer in der Türkei oder Peter Münch, Tel Aviv, beide SZ, sind Ausnahmen. Die große Mehrheit aber hat es sich bequem gemacht. Hier eine kurze Schalte, dort ein kleiner, schnell zusammengeschusterter Kommentar – der Rest ist Freizeit. Dabei war es nie so wichtig für uns Deutsche, Länder wie die Türkei und Brasilien oder den Nahen Osten und Asien zu verstehen. All diese Verwerfungen, diese Veränderungen spielen manchmal langfristig, aber immer mehr auch kurzfristig in unser tägliches Leben. Da wäre eine kluge und komplexe Aufbereitung wichtig.

Aber sowohl TV- und Zeitungszentrale als auch der Korrespondent selbst haben sich zwischen den Polen der Irrelevanz eingerichtet. Es ist ein schönes Beispiel kommunizierender Röhren. Statt gründlicher und differenzierter Reportagen werden uns dämliche (Be-)Rührstücke („Weißt du, das Thema so runtergebrochen auf den kleinen Mann, ansonsten hübsche Impressionen.“) oder Krawallzeug („Ich will Tränengas, Baby, echtes Tyrannenzeug und dazu die ‚Assad-muss weg-Aussage’.“). Natürlich, Fernsehbilder und Fotos, die Sturmwolken gleichen, verheißen für Journalisten wie Zuschauer und Leser immer wagnerianische Hochspannung. Syrien ist der Klassiker. Je komplexer die Konfliktlage, desto schneller verschwindet das Thema als sachliche Analyse und verkommt eher zum Emo-Stück mit weinenden Menschen. Elend vor Einordnung. Entsetzen vor Erklärung. Und: einmal Tyrann, immer Tyrann.

Es gab eine Zeit, da hatten sich Journalisten zum Ziel gesetzt, fern des Mainstreams die Welt zu erklären. Komplexe Konstruktionen einfach zu erklären. Daraus ist mittlerweile eine absurde Kinder-Erklärstunde geworden. Grafiken, die aus dem Kinderkanal stammen könnten. Berichte mit Popmusik (gern auch Filmmusik, denn da ist das Drama so schön verpackt) unterlegt, damit sie unterhaltsamer werden. Bring lieber das Einzelschicksal, „casuistisch-emotional“ ist das Stichwort. Und dann rauschen die Bilder durch unseren Kopf. Sunni-Kind im Libanon mit einem Bein, Claudia Roth mit aufgequollenem Gesicht (kein Alkohol, sondern Tränengas aus deutscher Herstellung) und immer wieder glubschäugige Korrespondenten vor einer nächtlichen Silhouette, die Kairo, Istanbul oder auch Bielefeld sein könnte. Dazu drei dräuende Sätze im offenen Hemd (fehlt meist nur der Safarihut). Kurz: Todenhöfer-Stil. Das Ergebnis beim Zuschauer: Keiner stellt sich die Frage, warum wir eigentlich immer erst dann mit dieser einlullenden Soße vermeintlich eindrucksvoller Bilder überzogen werden, wenn die politischen Verhältnisse in einem Land vollends zu kippen drohen. Und niemand mag einen Gedanken daran verschwenden, ob man hierzulande eigentlich wirklich so sehr viel cleverer mit Bürgerprotesten umgeht als „die da unten“. Die Bilder reichen gerade für die Facebook-Empörten. Schnell gepostet und geteilt, bedeutet: Rasch das gute Gewissen aufpoliert. Hauptsache mit am Ereignis-Laternenpfahl gepinkelt wie alle anderen auch. Meinung muss in drei Sätze passen. Keine Zeit, die Türkei, Brasilien oder gar den Nahen Osten zu verstehen. Und diese Haltung wiederum wird zurückgespielt zum Korrespondenten. Es wird Zeit für die Frage: „Udo Lilischkies, wer ist denn nun der Böse und wer der Gute?“

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Martin Calsow

Schriftsteller ("Quercher und die Thomasnacht", "Quercher und der Volkszorn", "Quercher und der Totwald") und Journalist, lebt am Tegernsee.

Martin Calsow

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