Zeit für Wirtschaftskompetenz

Rezession Deutschlands Wirtschaft schrumpft. Weltweit droht eine Rezession. Und die SPD? Kommt nicht vom Fleck und klammert sich an die schwarze Null

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Den Worten Taten folgen zu lassen wäre ja auch mal ein Idee
Den Worten Taten folgen zu lassen wäre ja auch mal ein Idee

Foto: Patrik Stollarz/AFP/Getty Images

Die Welt schlittert in die Rezession. Dutzende Notenbanken weltweit senken die Leitzinsen, um die Märkte mit Geld zu fluten. Die Wirtschaftsaussichten sind düster. Gleichzeitig bewegt sich Deutschland nicht. Merkels Verweigerung zum Handeln und der Mythos vom „sicher durch die Krise manövrieren“ nach dem Bankenversagen 2008 liegen wie Blei auf der deutschen Politik. Und die SPD? Klammert sich lieber an Muttis schwarze Null, statt auf Wirtschaftskompetenz zu setzen.

Wirtschaftskompetenz – ist das FDP?

Wirtschaftskompetenz ist kein wertfreier Begriff. Wer sie besitzt, „versteht etwas von Wirtschaft“. Wem sie fehlt, der hat wenig Chancen darauf, gewählt zu werden.

In Deutschland wird der Begriff oftmals mit Wirtschaftsnähe verwechselt – etwas, das die FDP zweifelsfrei besitzt. Wirtschaftskompetenz dagegen, gebraucht im politischen Kontext, ist vielmehr das Vermögen, durch poltische Rahmensetzung eine Volkswirtschaft erfolgreich zu führen. Etwas, das der FDP zweifelsfrei fehlt.

Das Problem der großen Koalition und diverser anderer Regierungskonstellationen zuvor war oftmals keineswegs eine fehlende Wirtschaftsnähe – ob Schröder als „Genosse der Bosse“ oder die Große Koalition mit ihren engen Verflechtungen zur Automobilindustrie. Wirtschaftskompetenz jedoch würde erfordern, nicht unentwegt auf Lobbyinteressen von Wirtschaftsverbänden einzugehen, sondern langfristiger zu denken: Wie können wir unsere Volkswirtschaft für die kommenden Jahre modernisieren? Wie können wir technologischer Spitzenreiter werden? Wie können wir andere Herausforderungen, etwa im Bereich Umwelt oder Mobilität, in Einklang mit volkswirtschaftlicher Weiterentwicklung bringen?

Die Automobilindustrie ist ein perfektes Beispiel für fehlgeleitete Wirtschaftspolitik. Statt klare richtungsweisende Vorgaben zu geben, wird über „Technologieoffenheit“ und Arbeitsplätze fabuliert. Wer eine zukunftsfeste Automobilindustrie will, darf nicht auf deren Forderungen eingehen, sondern muss sie vor sich hertreiben.

Unternehmensinteresse vs. Volkswirtschaft

Unternehmen, etwa Aktiengesellschaften, sind ihren Eigentümern und Anteilseignern verpflichtet. Diese haben Interesse an Profiten, steigenden Aktienkursen und Dividendenausschüttungen. Die Volkswirtschaft dagegen hat Interesse daran, dass Unternehmen Profite in Weiterentwicklung investieren.

Die Politik sollte Anreize dafür schaffen, dass Vermögen in Unternehmen gehalten und zur Weiterentwicklung verwendent wird, anstatt ihnen durch Dividendenschüttungen wichtige Mittel zu entziehen. Sie sollte ferner klare Vorgaben setzen, etwa, wann der Verbrennungsmotor von deutschen Straßen verschwinden wird. Gleichzeitig sollten staatliche Mittel für Forschung und Enticklung erhöht werden und Unternehmen zur Verfügung gestellt werden.

Anders als der weit verbreitete Irrglauben ist es vor allem der Staat, der innovative Technologie entwickelt. Private Unternehmen alleine sind dazu kaum in der Lage, auch, weil es zu risikobehaftet ist. Beispiele hierfür reichen von der Entwicklung des Internets bis zur Nanotechnologie, allesamt staatliche Erfindungen (siehe dazu The Entrepreneurial State von Mariana Mazzucato). Statt den Interessen der Anteilseigener nachzulaufen, sollte die Bundesregierung den Interessen der Volkswirtschaft und der Arbeitnehmer entsprechend Unternehmen zu Investionen zwingen.

Konjunkturprogramm - Was wäre smarte Wirtschaftspolitik?

Früher oder später wird der Ruf nach Instrumenten laut werden, um dem Abwärtstrend entgegenzuwirken. Erste Forderungen von Konzernchefs sind wenig überraschend. BASF-Chef Brudermüller etwa fordert eine neue Agenda 2010. Doch weder Kurzarbeit noch eine weitere "Liberalisierung" des Arbeitsmarktes führen zu einer Weiterentwicklung von Volkswirtschaften, vielmehr treiben sie ihre Präkarisierung voran.

Anders als FDP und Konzernchefs – deren Bezüge nicht selten von Aktienkursen und kurzfristigen Gewinnen abhängen – es vermuten lassen, wäre eine smarte Wirtschaftspolitik eine, die Nachfrage insbesondere in Deutschland ankurbelt, die Wirtschaft technologisch voranbringt, und dabei etwa die Klimakrise ernsthaft angeht. Nicht zuletzt sollte das Ganze als europäisches Projekt verstanden werden, das insbesondere für Südeuropa Jobs und Perspektiven schafft.

Dazu notwendig wären:

Ein öffentliches, europäisches Investitionsprogramm in öffentliche Infrastruktur und Energie. Das „deutsche Erfolgsmodell“ war nie nachhaltig. Permanente Exportüberschüsse innerhalb einer Währungsunion führten zu Wettbewerbsnachteilen für Länder wie Italien, Spanien oder Griechenland. Durch Niedrighalten von Reallöhnen und Präkarisierung des Arbeitsmarktes unter Rot-Grün wurde ein Wettbewerb für Niedriglöhne statt für Innovationen angestoßen. Nicht zuletzt durch diese verfehlte deutsche Wirtschaftspolitik zerbricht das europäische Projekt. Bereits vor Jahren warnte Kabarettist Georg Schramm vor dem Aufeinandertreffen von arbeitlosen jungen Männern in Südeuropa und Flüchtlingen und Migranten, die das Mittelmeer überqueren – und dann gegeneinander ausgespielt werden.

Europäische Solidarität und gemeinsames Streben nach Innovation und wirtschaftlicher Entwicklung sollte das Herzstück einer sozialdemokratischen Europapolitik werden. Dazu gehört auch, die schwarze Null hinter sich zu lassen. Wirtschaftswissenschaftler Paul Krugman, der schon lange die deutsche wirtschaftliche Unvernunft anprangert, sprach gestern in der New York Times gar davon, dass die Welt ein deutsches Problem hätte. Gemeint war die Austeritätspolitik, die wirtschaftswissenschaftlich längst entzaubert ist. Selbst der neoliberale Internationale Währungsfonds kam nun zu dem Schluss, dass sie mehr schadet als nutzt. Ein solches Eingeständis ist eher selten und sollte als starkes Indiz dafür gewertet werden, dass eine Austeritätspolitik, wie sie an Griechenland, aber auch Deutschland, vollzogen wurde und wird, nicht nur sozial sondern auch wirtschaftlich desaströs ist.

Reformen der Steuerstruktur sind ferner notwendig, um Anreize für Unternehmen zu setzen, in Innovation und Weiterentwicklung zu investieren. Die geringe Besteuerung von Dividenden und die Anreize, Aktienkurse durch Rückkäufe in die Höhe zu treiben, schaden langfristig volkswirtschaftlicher Entwicklung.

Es muss ferner endlich ein öffentliches Bewusstsein für den Unterschied von Wirtschaftsnähe und Wirtschaftskompetenz geschaffen werden. Das Eingehen auf Forderungen von Konzernen, veraltete Technologie weiterzuvertreiben, zerstört mittel- und langfristig Arbeitsplätze. Staaten haben historisch neue Schlüsselindustrien wie das Internet und Nanotechnolgien entwickelt und dadurch neue Märkte geschaffen. Anders als die öffentliche Meinung, sind es nicht venture funds, die Technologien im Embryo-Stadium finanzieren. Vielmehr kommerzialisieren Privatunternehmen öffentlich vorangetriebene Entwicklungen, sobald die entsprechenden Technologien „aus dem Gröbsten raus“ sind. Das ist unproblematisch, solange diese Unternehmen durch Steuern und Arbeitsplätze wiederum zum Gemeinwohl beitragen. Viele Digitalunternehmen sind jedoch parasitär. Ihre Innovationen entstammen staatlichen Institutionen, gleichwohl suggerieren sie sich als „Innovationstreiber“ und vermeiden Steuern. Eine sozialdemokratische Wirtschaftspolitik wäre daher, diese Steuervermeidung zu unterbinden und darüber aufzuklären, wo der Ursprung von neuen Investionen wirklich liegt: in öffentlichen Institutionen.

Die SPD sollte endlich den Mut aufbringen, Austeritätspolitik, die schwarze Null und ein neoliberales Wirtschafts(un)verständnis hinter sich zu lassen.

Eine wirtschaftswissenschaftliche Literaturliste für gewillte Abgeordenete oder Referenten könnte unter anderem enthalten:

Ha-Joon Chang: Economics: The User's Guide

Peter Evans: Embedded Autonomy

Mariana Mazzucato: The Entrepreneurial State

Robert Wade: Governing the Market

Karl Polanyi: The Great Transformation

Kari Polanyi Levitt: From the Great Transformation to the Great Financialization

J. G. Palma: The Revenge of the Market on the Rentiers

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