Krasse Ungleichheit durch Erbschaften: Die deutsche Spermalotterie

Reichtum Für die Ungleichheit in Deutschland gibt es vor allem einen Grund: Erbschaften. 400 Milliarden Euro werden pro Jahr an die nächste Generation gegeben. Die meisten erhalten nichts
Exklusiv für Abonnent:innen | Ausgabe 04/2023
So kann das Leben aussehen – wenn man die passenden Eltern im Lott gezogen hat
So kann das Leben aussehen – wenn man die passenden Eltern im Lott gezogen hat

Montage: Der Freitag; Material: Getty Images, Unsplash, Freepik

Deutschland ist in puncto Vermögensungleichheit eine der ungleichsten Demokratien in der Welt. Der Hauptgrund hierfür liegt in Erbschaften und Schenkungen. Schon heute ist mehr als die Hälfte aller Vermögen nicht selbst erarbeitet, sondern geerbt oder geschenkt. Das bedeutet, dass wir per Definition bereits eher eine Erben- denn eine Leistungsgesellschaft sind. So unglaublich es auch klingt, aber es kommt heute mehr darauf an, in welche Familie man geboren wird – und nicht etwa, was man sich selbst im Laufe des Lebens erarbeitet.

Wenn man also ein Haus sieht, ist die Chance mehr als 50/50, dass jemand einfach beim Spermalotto Glück hatte, als dass die Person dafür gearbeitet hat. Was wir beobachten, ist eine „Ungleichheit durch Geburt“ (Prof. Jens Beckert). Eine Ungleichheit, die nicht auf unterschiedlicher Leistungsfähigkeit beruht, sondern auf den unterschiedlichen Kontoständen der Eltern. Was ist das noch für eine Demokratie, in der man sich fragen muss: Erbst Du noch, oder arbeitest Du nur?

Doch damit nicht genug: Dieser Trend, weg von der Leistungsgesellschaft hin zu einem neuen Geldfeudalismus, nimmt immer größere Ausmaße an, die Erbvolumina steigen. Schätzungen zufolge werden in Deutschland jährlich rund 400 Milliarden Euro pro Jahr vererbt. Das entspricht etwa der gesamten jährlichen Wirtschaftsleistung (also dem Bruttoinlandsprodukt, BIP) von Österreich oder 10 Prozent des BIP von Deutschland.

Das Problem bei Erbschaften in Hinblick auf Ungleichheit ist, dass Erbschaften die bestehende und ohnehin schon immense Vermögensungleichheit weiter vergrößern. Aktuell besitzt die obere Hälfte der Deutschen 99,5 Prozent aller Vermögen, während die ärmere Hälfte nur über 0,5 Prozent verfügt. Die Schere zwischen Arm und Reich wird immer größer, weil nur die wenigsten Deutschen überhaupt größere Summen erben. Die oberen zehn Prozent der Bevölkerung erben die Hälfte, die ärmere Hälfte geht leer aus.

So viel kosten uns die Privilegien von Überreichen bei der Erbschaftsteuer in Deutschland seit 2009

Grafiken: Luzie Bayreuther

Das mächtigste und somit wichtigste Instrument gegen die wachsende Vermögensungleichheit und unser weiteres Abdriften in eine Erbengesellschaft ist daher die Erbschaftsteuer. Dabei berücksichtigt unsere Erbschaftsteuer durchaus, dass man seinen Kindern eines Tages etwas vermachen möchte – und zwar steuerfrei. Auf die ersten 400.000 Euro, die wir Kindern vererben, werden gar keine Steuern fällig; der Freibetrag für Ehegatten liegt sogar bei 500.000 Euro. Erst über dieser Höhe beginnt die Erbschaftsteuer. Nahe Verwandte zahlen, mit wachsender Erbsumme, zwischen 7 und 30 Prozent, nicht verwandte Personen zahlen 30 bis 50 Prozent. Nach aktueller Rechtsprechung ist unsere Erbschaftsteuer somit progressiv, je mehr man erbt, desto mehr zahlt man. So viel zur Theorie.

Doch nicht ohne Grund wird die Erbschaft- und Schenkungsteuer auch gerne als Bagatell- und auch „Dummensteuer“ bezeichnet. Im Jahr 2021 beliefen sich die Einnahmen aus der Erbschaftsteuer auf nur 11,1 Milliarden Euro. Selbst Raucher:innen zahlen qua Tabaksteuer mit 14,9 Milliarden Euro mehr in die Staatskasse ein. Und wer entsprechend Anwälte beauftragen kann, zahlt die Erbschaftsteuer kaum bis gar nicht. Obwohl das Bundesverfassungsgericht und der Bundesfinanzhof bereits drei Mal die Erbschaftsteuer als verfassungswidrig erklärten, weil sie Betriebsvermögen zu sehr schon, ist es der Lobby des großen Geldes gelungen, das Erbschaftsteuerrecht zugunsten von Überreichen zu beeinflussen.

Die Dummensteuer

Ein Beispiel ist der Fall Friede Springer und Matthias Döpfner: Im Jahr 2020 vermachte die Witwe von Axel Springer, Milliardärin und Großaktionärin der Axel Springer SE, dem langjährigen Vorstandsvorsitzenden des Unternehmens Aktien im Wert von 1 Milliarde Euro. Eigentlich würde, da die beiden nicht verwandt sind, eine Schenkungsteuer in Höhe von 50 Prozent fällig, also sage und schreibe 500 Millionen Euro. Doch auf Grund der umfangreichen Ausnahmen in unserem Gesetz, konnte sich Döpfner – der über ein geschätztes Vermögen von über 470 Millionen Euro verfügte – „bedürftig“ rechnen, konnte einen Antrag auf Erlass der Steuer stellen und zahlte genau: nichts.

Matthis Döpfner ist nicht allein: 40 Prozent aller Großerben (über 20 Millionen Euro) zahlen keine Steuern; besonders beliebt zur Umgehung der Steuer ist der Trick, Kindern Firmenvermögen zu vermachen. Zwischen 2009 und 2020 haben 40 Kinder unter 14 Jahren Firmenvermögen in Höhe von 46 Milliarden steuerfrei vererbt bekommen. Denn auch Kinder sind „bedürftig“, da sie kein eigenes Vermögen besitzen. Willkommen im neuen Feudalismus. Eben wegen dieser Ausnahmen im Erbschaftsteuergesetz, geregelt in den §§ 13 und 28a, entgehen dem Staat laut einer neuen Statistik von Julia Jirmann jährlich etwa 10 Milliarden Euro. Seit 2009 kosten uns die Privilegien der Überreichen bei der Erbschaftsteuer in Deutschland über 74 Milliarden Euro.

Jedes fünfte Kind in Deutschland lebt in Armut

Grafiken: Luzie Bayreuther

Um ein Gegengewicht gegen die finanzstarke Lobby zu etablieren und eine Debatte über eine Erbschaftsteuer endlich in Gang zu setzen, schmiedete die Friedrich-Ebert-Stiftung ein Bündnis mit Netzwerk Steuergerechtigkeit, DGB, ver.di, Finanzwende, taxmenow und ungleichheit.info. Was wir nun gemeinsam überlegen müssen, ist, wie eine gerechtere Erbschaftsteuer aussehen kann. Meiner Meinung nach sind zwei Aspekte elementar: erstens, dass die Steuerprivilegien für die Reichsten der Reichen endlich gestrichen werden. Zweitens, dass die Erbschaftsteuer unbedingt progressiv wirkt – so wie ursprünglich gedacht.

Zuletzt forderte auch der Präsidenten des Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, in seiner Kolumne für die Zeit besagte Reform. Marcel Fratzscher und ich teilen die Einschätzung, dass Erbschaften der wichtigste Grund für die eklatante Vermögensungleichheit in Deutschland sind. Doch wenn es um die Ausgestaltung einer gerechten Reform in puncto Erbschaften geht, liegen unsere Meinungen weit auseinander: Fratzscher plädiert für eine Flat Tax. Dies würde bedeuten, dass kleine Vermögen, die für nahe Verwandte bei 7 Prozent beginnen, höher besteuert würden, während die Steuersätze für große Vermögen von aktuell 30 bis 50 auf nur 15 Prozent fielen.

Eine Flat Tax würde schlichtweg keine Abhilfe schaffen, wenn es um eine gerechtere Ausgestaltung geht. Warum nicht? Der Blick darauf, wer mehr und wer weniger zahlen müsste, verrät die ungerechte Ausprägung. Doch auch die von Fratzscher ins Feld geführten Argumente für eine Flat Tax sind meines Erachtens nicht stichhaltig. Laut Fratzscher könnten bei einem effektiven Steuersatz von 15 Prozent insgesamt Mehreinnahmen in Höhe von 10 Milliarden Euro erzielt werden. Wie bereits angeführt, wären diese Einnahmen durch die Streichung von Steuerprivilegien für die Überreichen möglich.

Das zweite angeführte Argument pro Flat Tax ist die Substanzbesteuerung der Unternehmen, die nach Fratzscher möglichst niedrig ausfallen sollte, damit keine Arbeitsplätze gefährdet würden. Natürlich sollten Erbschaftsteuern keine Arbeitsplätze gefährden. D´accord. Doch dieses Narrativ, „Substanzsteuern gefährden Arbeitsplätze“ ist nicht mehr als ein Märchen von Gegener:innen jeglicher vermögensbezogener Steuern. Wie der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesfinanzministerium bereits 2012 in einem Bericht darlegt, entbehrt dieses Argument jeglicher Grundlage. Auch die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD) kommt in einem großem Bericht 2021 zu genau diesem Ergebnis: Dieses narrativ ist ein Märchen.

Dynastien. In der Demokratie

Viel wichtiger jedoch: Die Flat Tax ist grundsätzlich falsch. Die Erbschaftsteuer darf nicht als bloßes Instrument zur Generierung von Staatseinnahmen verstanden werden. Wann immer dies seit 1906 (dem ersten bundesweiten Erbschaftsteuergesetzes) geschah, waren jegliche Versuche einer Stärkung der Erbschaftsteuer zum Scheitern verurteilt. Die Erbschaftsteuer kann und muss viel mehr als das leisten. So stellen drei Bundesverfassungsrichter:innen fest, dass „die Erbschaftsteuer [gemäß des Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG] nicht nur der Erzielung von Steuereinnahmen [dient], sondern zugleich ein Instrument des Sozialstaats [ist], um zu verhindern, dass Reichtum in der Folge der Generationen in den Händen weniger kumuliert“.

Zwischen 2009 und 2020 hatten 40 Übertragungen an Kinder einen Gesamtwerk von 33,3, Milliarden Euro und blieben zu 99 Prozent steuerfrei

Grafiken: Luzie Bayreuther

Nicht ohne Grund ist unsere Einkommensteuer progressiv: Erstens sollten stärkere Schultern gemäß unseres Leistungsprinzips mehr stemmen. Zweitens ist Umverteilung für eine Demokratie elementar; das hat nichts mit Sozialismus oder Kommunismus zu tun. Sondern mit der Logik unseres Kapitalismus, der ohne jegliche Einhegung dazu führen würde, dass sich immer mehr Vermögen in immer weniger Händen konzentrieren würde. Das erkannte auch unser ehemaliger Bundeskanzler Ludwig Erhard, sodass der Markenkern der sozialen Marktwirtschaft und des deutschen Ordoliberalismus die Verhinderung jeglicher Monopole war.

Was den Unternehmen die Monopole, sind den Familien die Dynastien. Um eben diese zu verhindern, kommen bei der Übertragung von Vermögen von einer Generation an die nächste Erbschaftsteuern ins Spiel: Wenn Erbschaftsteuern nicht progressiv und stark sind, werden wir sehenden Auges in Kauf nehmen, dass sich Familiendynastien immer weiter zementieren. Schon heute besitzen nur zwei Familien mehr Vermögen als die ärmere Hälfte der deutschen Bevölkerung und wie es nicht verwundern sollte: Es sind Erben (2021 waren dies Aldi und Kühne+Nagel).

Anstatt die Erbschaftsteuer weiter abzuschwächen, kleinere Beträge höher, Millionen und Milliarden dafür niedriger zu besteuern als aktuell, sollten wir die Steuerprivilegien für Überreiche streichen. Unter dem Vizekanzler und Zentrumspolitiker Matthias Erzberger gab es 1919 nicht nur eine Erbanfallsteuer (vom Erben bezahlt), es gab auch eine Nachlassteuer (vom Erblasser beglichen) und einen Zuschlag je nachdem, wie vermögend der Erbe zuvor gewesen ist. Insgesamt konnte die Erbschaftsteuer eine Höhe von 90 Prozent annehmen. Heute hingegen haben wir eine ausgelöcherte Erbschaftsteuer, neben der ein Schweizer Käse wahrlich dicht wirkt.

Marcel Fratzscher gibt zu bedenken, dass Markus Söder und Christian Lindner die Hochvermögenden gegen eine Erbschaftsteuer schützen. Eine Flat Tax würde genau dies ebenfalls tun. Wie Wirtschaftsweise Achim Truger kürzlich schrieb: „Große Privatvermögen würden massiv entlastet, da die aktuellen Spitzensteuersätze je nach Steuerklasse zwischen 30 und 50 Prozent liegen.“ Recht hat er. Und Recht hat Fratzscher damit, dass es eine Erbschaftsteuerreform braucht. Aber die Kerbe, in die wir gemeinsam schlagen müssen, ist eine progressive.

Martyna Berenika Linartas, Doktorandin an der Freien Universität Berlin, ist Gründerin und Projektleiterin von ungleichheit.info

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