Die indische Demokratie ist von einer Krankheit befallen, eine Krankheit, die sich auch in Europa auszubreiten droht. Diese Krankheit nährt sich aus Nationalismus, Fremdenhass und Rassendenken - euphemistisch wird sie auch als Rechtspopulismus bezeichnet. In Bezug auf Indien, sprechen die Medien überwiegend von Hindu-Nationalismus, was in unseren Ohren irgendwie niedlich klingen mag, weil man bei Hinduismus gerne an bunte Götterfiguren und Yoga denkt. Aber gerade dieser Tage zeigt sich nicht nur in Delhi, wie brandgefährlich diese Krankheit ist. Doch während das Coronavirus sich trotz höchster Vorsichtsmaßnahmen munter weiter ausbreitet, wird hinsichtlich dieser Krankheit ein Versuch der Isolation gar nicht erst unternommen.
Stattdessen wird Premierminister Modi als Modernisierer gepriesen, als einer, der Indien für den internationalen Markt öffnet und als solcher wird er mit offenen Armen empfangen. Er gilt als gutes Beispiel für globalen Handel und funktionierenden Multilateralismus. Hand in Hand für Entwicklung und Fortschritt. Die eine Seite hat dabei ihren Zugang zu einem der größten Märkte der Welt im Blick, die andere Seite träumt von Metro-Stationen und Smart-Cities. Eine klassische win-win Situation, so scheint es. Die deutsche Regierung lobt Indien als verlässlichen Partner auf internationaler Bühne und als Verbündeten im Machtgefecht mit China. Nicht zuletzt ist der Subkontinent Deutschlands wichtigster Handelspartner in Asien. Zu einer Kritik am Vorgehen in Kashmir kann man sich angesichts dessen nur mit Mühe und Not durchringen. Vergessen scheinen die Schatten der Vergangenheit, ausgeblendet das, was innenpolitisch gepredigt wird. Die indische Regierung spielt im Gegenzug das Spiel auf internationaler Bühne mit. Der Premierminister ruft in großem Stil zum Handeln bei Klimaschutz auf, während er innenpolitisch nicht davor zurückschreckt den Klimawandel zu leugnen und Umweltgesetze aufzuweichen. Zugegeben, in diesem Kontext kann man die Haltung der internationalen Gemeinschaft nachvollziehen, wenn man sie unter dem Begriff der „positiven Bestärkung“ subsumiert. Kein Verständnis kann es aber geben, für die massive Ausgrenzungspolitik, die diese Regierung gegenüber der muslimischen Minderheit betreibt.
Eine neue Stufe der Eskalation wurde mit dem Erlass der neuen Staatsbürgerschaftsgesetze erreicht. Die Stoßrichtung dieser Initiative liegt, wenn auch unausgesprochen, ziemlich offen auf der Hand. Bislang gibt es in Indien kein dem deutschen System vergleichbares Meldewesen, sondern nur einen in regelmäßigen Abständen durchgeführten Zensus. Ein solches soll nun eingeführt werden. Doch während das eine Gesetz, die vereinfachte Einbürgerung von muslimischen Flüchtlingen ausschließt, koppelt das andere die Registrierung als indischer Staatsbürger, an den über mehrere Generationen nachzuweisenden Aufenthalt in Indien. Der Ausgrenzung von indischen Muslimen wird damit Tür und Tor geöffnet. Millionen von Indern werden, mangels vorhandener Geburtsurkunden oder sonstiger Ausweise nicht in der Lage sein, den geforderten Staatsbürger-Nachweis zu erbringen. Während sich für die indischen Hindus daher wohl ein anderer Weg zur Registrierung als Staatsbürger finden wird, steht zu befürchten, dass dies für Muslime nicht gelten wird. Den indischen Muslimen droht damit die Ausgrenzung und der Entzug grundlegender Bürgerrechte.
In Delhi führte diese Politik nun zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Hindus und Muslimen – offiziellen Angaben zufolge mit 46 Toten, die Mehrheit davon muslimischen Glaubens. Nachdem die Demonstrationen gegen die Staatsbürgergesetze bereits seit Monaten anhalten, entlädt sich in Delhi die blanke Gewalt. Medien berichten von „kommunalen Auseinandersetzungen“ zwischen Hindus und Muslimen. Doch es gibt Augenzeugenberichte aus Delhi in sozialen Medien, wonach die Lage sich deutlich anders darstellt. Demnach wurden im Vorfeld Häuser dahingehend markiert, ob es sich bei den Bewohnern um Muslime oder Hindus handelt. Derartige Hinweise sprechen dafür, dass es sich um gezielte und organisierte Angriffen auf die muslimische Bevölkerung handelt, dass es sich nicht um eine spontane Eskalation handelt, sondern vielmehr um ein geplantes Vorgehen der radikal-fanatischen Hinduisten. Wenn man diesen Augenzeugenberichten glauben schenken darf, dann kam es keineswegs zu „einem gewalttätigen Aufeinandertreffen“ zweier Volksgruppen, sondern vielmehr zu einer Hetzjagd auf die muslimische Bevölkerung. Der Polizei wird derweil tatenloses Zusehen vorgeworfen.
Die Vorlage zu diesem Vorgehen lässt sich leicht finden. Im Jahr 2002 kam es im Bundesstaat Gujarat zu schweren Ausschreitungen. Auch damals wurden gezielte Angriffe auf Muslime verübt. Auch damals ließ die Art der Angriffe darauf schließen, dass es sich um ein im Vorfeld geplantes Vorgehen handelte und auch damals blieb die lokale Regierung untätig - die lokale Regierung unter dem damaligen Chief Minister Narendra Modi.
Das politische Klima, das derartige Angriffe begünstigt und ermöglicht, wird von der indischen
Regierung systematisch geschürt. Mit Blick auf diese innenpolitische Lage
muss daher klar gesagt werden, wer sich von Modi nicht abgrenzt, macht sich mitschuldig. An dem was war, an dem was ist, und an dem, von dem man hofft, dass es nicht kommen mag.
Die Proteste der letzten Wochen gegen die neuen „Staatsbürgergesetze“ halten an. Aber alleine,
werden diese Studentenproteste nichts bewirken. In einem Land in dem Regierungskritiker inzwischen jederzeit mit Verhaftungen rechnen müssen, sind sie angewiesen auf Unterstützung auf allen Ebenen. Insbesondere ein Land wie Deutschland darf zu einer derartigen Entwicklung nicht schweigen. Wer sich in Deutschland glaubwürdig von der AFD und deren Gedankengut distanzieren will, der muss dies auch auf internationaler Ebene gegenüber der derzeitigen indischen Regierung tun. Es ist untragbar für eine Partei und eine Regierung, sich in Deutschland von der AFD und dem rechten Rand abgrenzen zu wollen und zugleich Premierminister Modi weiterhin zu hofieren.
Im Rückblick betrachtet erscheint es, wie eine absurde Pointe der Geschichte, dass ein Teil der
indischen Unabhängigkeitsbewegung Unterstützung beim Deutschen NS-Regime suchte und Seite an Seite mit Hitlers Truppe kämpfte. Es darf nicht sein, dass die deutsch-indische Freundschaft in diesen Zeiten auf ähnlich abwegigen Pfaden wandelt. Vor allem aber ist es an der Zeit, zu begreifen, dass weder die AFD noch Premierminister Modi in Indien ein rein nationales Problem darstellen. Es fällt zunehmend schwer, die Augen davor zu verschließen, dass nationalistisches Gedankengut weltweit einen Aufschwung
erlebt. Umso wichtiger ist es, dass die demokratischen Kräfte international zusammenstehen und im In- und Ausland eine klare und unmissverständliche Haltung beziehen. Mit Blick auf Indien müssen die Alarmglocken in jedem Demokraten laut läuten – spätestens seit Bekanntwerden der Tatsache, dass vor den Toren Bangalore’s und Andernorts bereits in großem Stil Gefangenenlager gebaut werden. Was muss noch passieren?
Thrissur 2020 - Stimmungsbild aus Indien
Quellen:
https://www.climatechangenews.com/2014/09/08/the-miseducation-of-narendra-modi-on-climatechange/
https://www.huffingtonpost.in/entry/modi-climate-change-bjp-un_in_5d899999e4b0938b59333fc3
https://thewire.in/communalism/narendra-modi-citizenship-amendment-act-protests-clothes
https://www.nytimes.com/2019/12/18/opinion/india-citizenship-bill-muslims.html
Gespräche mit Journalisten und Aktivisten vor Ort
Kommentare 7
Nur kurz. Ihre Gleichsetzung der BJP (das die indische Regierungspaertei) mit der AfD ist schlichter Unsinn. Die BJP (einschliesslich ihres radikalen Arms RSS) vertritt Hindutva, ein hinduistisch-religioeses Konzept. (Die Vergangenheit des RSS in den 30er Jahren lasse ich jetzt mal.)
Auseinandersetzungen zwischen Hindus und Moslems gibt's in Indien seit Jahrhunderten. Heute geht's meist um Geld. Ansonsten eben die beiden Gruppen gut miteinander, weil die meisten Moslems sich zunaechst mal Teil ihr "kulturellen" Sprach-Gruppe sehen, also als Tamilen oder Panjabis etc.
Kashmir ist ein Dauerkonflikt aus der Zeit der Unabhaengig, dass Mountbatten dem Menschen auf dem Subkontinent bei Abzug der Briten in '47 aufgedrueckt hat. Keine Seiten will nachgeben. Die jetzige Grenze ist ein Minimal-Kompromis. Besser als nix.
Ich verstehe, der Autor vertritt die Position der pakistanisch/muslimischen Opposition in Indien. Das ist ja nicht strafbar. Seine Agitation mit einer scheinbaren Parallele Modi-BJP und AfD ist falsch, zumindest fahrlaessig. Zudem ist das auch eine Verharmlosung der AfD.
danke, wenn Du kannst, bitte mehr infos/links.
Wuerde ich schon machen, aber ich muss mich etwas "restricten". Ich verfolge die Entwicklung nicht mehr day by day. Ist von aussen ohnehin schwierig. Darum nur eine allg. Uebersicht.
Indien ist ein Land mit ziemlich vielen Leuten. Politische Entscheidungen werden vor allem durch Korruption beeinflusst. Darum aendert sich in Indien nur sehr wenig. Das ist die base-line.
Die Regierung in Delhi entscheidet vor allem ueber Aussen-, Militaer- und (globale) Oekonomie-Politik. Alles andere ist regionale Politik, die in jedem Bundesstaat anders ist.
Kashmire ist Aussenpolitik, das Pakistan zu einem religioesen Konflikt "ausbauen" will, seit Jahrzehnten bereits. Die BJP ist bloede genug, dabei derzeit "mitzuspielen". Das ist die Ursache der Probleme, gegen die der Autor polemisiert.
Der Pakistan-Indien Konflikt ist seit Jahrzehnten vor allem Welt-Politik. Pakistan gehoerte bisher zur US-Zone. Das aendert sich gerade, weil Pakistan das einzige moslemische Land mit A-Waffen ist. Darum sind u.a. die Scheichs interessiert. usw.
Gesamtindische Innenpolitik gibt es gar nicht.
"Einig" sind sich alle regionalen Politiker in einigen Punkt: die unteren 60% der Bevoelkerung sollen Stimm-Vieh bleiben. Die unteren ca. 40%, Dalits und Tribals sollen die Schnauze halten und das tun die auch.
Sozialen Probleme gibt es offiziell nicht. Die Patriarchen sorgen fuer ihre Untergebenen. Ausserdem haben fast alle Leute ein mobile und muessen gar nicht mehr mehr lesen und schreiben lernen. usw.
Die massiven sozialen Probleme haetten das Land laengst zerreissen muessen. Nur durch das Kastensystem haelt das soziale "frabric". Sollte das Kastensystem "abgeschafft" gaebe es Kaempfe mit Millionen von Toten. Das wissen alle Politiker. Darum werden die innenpolitischen Spannungen auf Pakistan umgeleitet.
Als Quelle kann man den The Hindu lesen. Da gibt's ganz gute Analysen. Hinter einer pay-wall.
danke.
korruption heißt: verdorbenheit, gegen gute lösungen/entwicklungen verdorben.
sie umfaßt einiges:
- vom "biss"(la mordida), der punktuellen bestechung
entscheidender amts-inhaber/zur kontrolle abgestellter "sicherheits-kräfte",
weg-zu-sehen,
- über die "politische landschafts-pflege", der finanzierung politischer parteien
- bis zur gewalt gegen wider-strebende in medien und anderswo
"plata o plomo"(silber oder blei).
In Indien ist das einfacher mit der Korruption: jeder der irgendwas geben kann/darf/muss will erst money sehen. Erst dann passiert was.
Beispiel die Krankenschwester im staatlichen Krankenhaus. Das Bett kriegt erst dann ein Bettlaken, wenn die Schwester vorher Geld bekommt. Nur bei der Bahn (meist) und beim Militaer geht's ohne Korruption.
Auslaender bezahlen ueberall und immer mehr. So is es eben. Lechtet mir auch ein. Fuer uns ist ja Indien ein "billiges" Land.
also ist dort, in indien, bereits das bedingungs-lose grund-einkommen
(zumindest gegen touristen) eingeführt! :-)
Ist eine etwas unorthodoxe Einschaetzung aber grundsaetzlich ok.