„Rotes Kurdistan“

Aserbaidschanische Kurden Am 16. Juli 1923 beschloss das Transkaukasische Zentrale Exekutivkomitee die Bildung eines kurdischen autonomen Gebiets in der Aserbaidschanischen (SSR).

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Das Dekret, welches die Errichtung der kurdischen Autonomie auf dem Territorium von Aserbaidschan vorsah, hatte die Grenzen dieser Entität nicht festgelegt. Eigentlich bestand das Rote Kurdistan aus 228 Siedlungen, die Teile der Regionen Sangesur, das ehemalige Schuscha, Dschabrail sowie Dschawanschir umfassten. Ursprünglich war das Zentrum der Region die Stadt Schuscha, dennoch wurde es 1924 zunächst nach Minkend, dann nach Abdallar und schließlich nach Latschin verlegt.[23]

Die Bauern widmeten sich der Viehzucht, aber es gab keinen Veterinärdienst im Bezirk, sodass das Vieh krank und schwach war und kein Einkommen brachte.[24]Zur gleichen Zeit brachen die ständigen interethnischen Konflikte wegen der Grenzstreitigkeiten mit Karabach aus. 1924 beschloss das Präsidium des Zentralkomitees der AKP (b), das Politische Büro Kurdistan vom Politischen Büro der Region Bergkarabach zu trennen und die Grenzstreitigkeit zwischen diesen Gebieten zu lösen.[25]

Die Gesamtfläche der Region Kurdistan betrug 3.432 km².[26]Der erste Vorsitzende der sowjetischen kurdischen Regierung wurde Husu Hajiyev. Der bekannte Schriftsteller Taghi Schachbazi, der als Sekretär des Zentralen Exekutivkomitees Aserbaidschans arbeitete, wählte das Dorf Abdallar als Hauptstadt der neuen Region. Bei der Auswahl eines neuen Standorts für das Zentrum mochte Taghi Schachbazi den ursprünglichen Namen „Abdallar“ allerdings nicht und gab der Stadt den Namen „Latschin“, die fortan als Zentrum fungierte.[27]Die Verwaltung Kurdistans befand sich innerhalb des sowjetischen Aserbaidschans zwischen dem sowjetischen Armenien im Westen und der autonomen Oblast Bergkarabach im Osten.

Laut der Allunionsvolkszählung von 1926 zählte die Bevölkerung des Roten Kurdistans insgesamt 51.200 Menschen, davon waren 37.470 (73,1 Prozent) Kurden, 13.520 (26,3 Prozent) Aserbaidschaner und 256 Armenier (0,5 Prozent).[28]

Im Jahr 1925 wurde der Lösung der territorialen Frage des Landkreises dann schließlich große Aufmerksamkeit gewidmet. Mir Dschäfär Bagirov, Volkskommissar für innere Angelegenheiten, wurde nach Kurdistan entsandt, um den Stand der Dinge im Distrikt zu untersuchen. Bagirov beschrieb die Situation in dem Bezirk als schrecklich. Er stellte fest, dass die hohe Arbeitslosigkeit und das angespannte Verhältnis zwischen Armeniern und Kurden sowie der Einfluss der Sowjetregierung den Bezirk selbst stark diskreditierten.[29]Bagirov führte zahlreiche praktische Initiativen zur Verbesserung der Situation ein – er schlug beispielsweise vor, Kredite zu vergeben, Autobahnen und ein Sägewerk zu bauen, Milchviehbetriebe zu etablieren, Betriebe zur Herstellung von Butter und Käsereien zu errichten, die tierärztliche Versorgung zu stärken, vorhandene Mineralien sinnvoll zu nutzen und abzubauen, das Wasserkraftpotenzial der Region zu untersuchen sowie medizinische Sanatorien auf der Grundlage der hiesigen Mineralquellen zu schaffen.[30]

Nach der Ermittlung der Arbeitskomission verabschiedete das Zentralkomitee der AKP (b) eine Reihe von Resolutionen – es stärkte die staatliche und parteipolitische Arbeit in der Region, erhöhte die Mittel für den Bildungssektor und stimulierte die regionalen wirtschaftlichen Möglichkeiten.[31]Anschließend beteiligte sich der Sowjetstaat aktiv an der Bestimmung des Status der kurdischen Bevölkerung in der Türkei und im Iran. Die Sowjetische Regierung widmete der Etablierung rechtlicher Normen und der Organisation des Bildungssystems unter den Kurden fortan große Aufmerksamkeit. Die aserbaidschanischen Kurden waren zum Teil Nomaden und praktizierten immer noch das Volkgericht. In Kurdistan wurden bald Schulen, Theater sowie Krankhäuser gebaut und ebenfalls ein kurdisches Alphabet entwickelt, sodass der Unterricht in den Schulen auf Kurdisch stattfinden konnte.[32]

In den späten 1920er- bzw. frühen 1930er-Jahren veränderte sich dann die Anzahl an Kurden in Aserbaidschan aufgrund der Einwanderer aus der Türkei und dem Iran: In diesen Ländern fanden regierungsfeindliche Demonstrationen seitens der Kurden statt. Infolge der Aufstände und innerländischen Probleme kehrten viele kurdische Stämme in das sowjetische Aserbaidschan zurück.[33]Der Sowjetstaat unterstützte die Auswanderung massiv und versprach den Kurden politische Freiheit, Land, Werkzeuge und Zugtiere. Die Kurden wurden vorübergehend in Nachitschewan untergebracht, bevor dann im Frühjahr 1927 400 Personen in den Bezirk Nucha[34]umgesiedelt wurden. Am 5. November 1927 wurde beschlossen, die Kurden aus der Türkei, die noch in Nachitschewan warteten, in dem gleichnamigen Kreis unterzubringen. 1928 wurden einige Kurden in aserbaidschanische Regionen Aghdam und Jewlach umgesiedelt. Am 16. Januar 1929 wurde noch ein Dekret über die Umsiedlung von 334 Familien aus dem Bezirk Aghdam nach Nucha erlassen.[35]Einige der Kurden weigerten sich jedoch, umzuziehen, da sie sich bereits in Jewlach niedergelassen hatten. Andere beschlossen wiederum, in den bergigen Teil der Sharur-Region zu ziehen; der Rest ging nach Nachitschewan.

Die Sowjetregierung schien ihre Versprechen zunächst zu halten. Darüber hinaus führte sie allerdings eine gewaltsame Kollektivierung und Entkulakisierung durch, was zu Unruhen und einer steigenden Unzufriedenheit unter den Kurden führte. Die Kurden forderten vermehrt die Möglichkeit ein, in die Türkei zurückzukehren, sodass der Rat der Volkskommissare der Aserbaidschanischen SSR beschloss, sie tief in die Autonome Sozialistische Sowjetrepublik (ASSR) Nachitschewan umzusiedeln. Die Kurden waren sich jedoch nicht einig, ob sie nun auf dem aserbaidschanischen Territorium bleiben oder es verlassen sollten. Es begannen Aufstände – zuerst in der Türkei, dann in Aserbaidschan und Armenien.[36]Infolgedessen stimmte die türkische Regierung Mitte der 1930er-Jahre der Forderung kurdischer Überläufer zu und so begannen sie Schritt für Schritt, in die Türkei zurückzukehren.

Die kurdische Autonomie existierte lediglich bis 1929. Nach Erlass vom 25. Januar 1930 sollte das autonome Gebiet in einen Kreis (Okrug) mit gleichem Namen umgewandelt werden.[37]Es wurden jedoch stattdessen kleinere Bezirke gegründet[38]und somit endete die Existenz des „Roten Kurdistans“.

Den ganzen Artikel können Sie hier lesen

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Asif Masimov

Asif Masimov hat Internationale Beziehungen und Politikwissenschaften studiert. Er bloggt auf masimovasif.net zu historischen und politischen Themen.

Asif Masimov

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden