Kein schlechter Witz

Im Kino »Göttliche Intervention - Eine Chronik von Liebe und Schmerz« von Elia Suleiman zeigt den ganz alltäglichen Wahnsinn des palästinensich-israelischen Alltags

Der Film beginnt mit einem Weihnachtsmann, der panisch durch die sommerlichen Straßen einer Stadt läuft. Verfolgt von ein paar Jugendlichen, rettet er sich auf eine kleine Anhöhe, wo er schließlich zusammenbricht - niedergestreckt von einem Messer in seiner Brust. Ein lakonischer Untertitel informiert uns über den Ort dieser wortlosen, surrealen Szene: »Nazareth«; Geburtsstadt Jesu Christus, der später dann auf einem anderen Hügel namens Golgatha in Jerusalem am Kreuz starb, ohne dass göttliche Intervention es verhindert hätte. Der Weihnachtsmann, diese andere Symbolfigur des Christentums hofft auf einen Eingriff von oben ebenfalls vergebens, und mit ihm eigentlich jeder weitere Protagonist von Göttliche Intervention - Eine Chronik von Liebe und Schmerz.

Nazareth ist auch die Heimat des 1960 geborenen palästinensischen Regisseurs Elia Suleiman; die einzige Stadt in Israel, deren Einwohner mehrheitlich Araber sind, wenngleich dort auch heute noch viele Christen leben. Der Regisseur schildert im Folgenden Szenen aus dem täglichen Leben in Nazareth, scheinbar unzusammenhängend in einer Art random choice und jedenfalls gegen jedes lineare Erzählprinzip zusammengefügt: Ein Mann setzt sich in sein Auto und fährt los, entgegenkommende Passanten freundlich grüßend. Dass sein Lächeln von den schlimmsten Beleidigungen und Verwünschungen begleitet wird, hört außer ihm niemand. Ein anderer Mann schmeißt seinen Müll in den angrenzenden Garten, beklagt sich aber zutiefst gekränkt über die schlechten nachbarschaftlichen Beziehungen, wenn er von dort postwendend zurück kommt. Ein Dritter zerstört regelmäßig eine Auffahrt zu einem anderen Haus, weil sie teilweise über sein Grundstück führt. Er arbeitet dabei mit dem Maßband und reißt immer nur genau jenen Teil ein, der sich auf seinem Besitz befindet.

Es ist offenkundig, dass diese kleinen Szenen das getreue Spiegelbild der großen Politik sind. Scheinheiligkeit, kleingeistige Gebietsdiskussionen, Politikerreden über das Unrecht, das immer nur die andere Seite begeht, versteckte und offene Gewalt: Der ganze Wahnsinn der diplomatischen, militärischen und terroristischen Attacken ist buchstäblich in den Alltag eingesickert, hat das zivile Leben gründlich pervertiert.

Dass sich der Regisseur dabei nicht festlegt, wer hier eigentlich wen drangsaliert, kann als Beleg dafür genommen werden, dass es ihm herzlich egal ist: Juden und Palästinenser sind sich in ihren Verhalten ohnehin ähnlicher als ihnen selbst lieb ist. Gleichzeitig bleibt er in diesen Bildern jedoch auch ein wenig zu enigmatisch, zieht sich auf den abstrakten metaphorischen Gestus zurück, der die historische oder politische Argumentation vermeidet. Den Zuschauer, sofern er sich nicht gerade tagtäglich mit Israel beschäftigt, macht das gelegentlich ziemlich ratlos. Erst nach und nach entschlüsselt sich der trockene Humor des Films; etwa wenn eine Szene, nach dem wir sie zum dritten Mal gesehen haben, eine überraschende Pointe bereithält. Suleiman ist anspielungsreich und witzig, wenngleich seine Komik manchmal bis zur Unauffälligkeit subtil ist. Jedenfalls bettelt er nicht gerade um unserer Beifall.

Ein Großteil der Handlung, wenn man das denn so nennen will, vollzieht sich nahezu wortlos - auch das natürlich eine Metapher für den allgemeinen Unwillen zur Kommunikation, zu ernsthaften Versuch, einander zu verstehen. Die Hauptfigur namens E.S., sie wird vom Regisseur selbst gespielt, bleibt den gesamten Film über gleich ganz stumm. Zudem verzieht er, damit eine Art Wiedergänger von Buster Keaton, nicht ein einziges Mal das Gesicht. »Göttliche Intervention« bekommt damit etwas vom Slapstick aus der Frühzeit des Kinos. Die Helden dieser Filme bewegten sich durch eine Welt, in der noch die harmlosesten Objekte ein tückisches Eigenleben entwickeln. Ohne Einfluss auf die aus den Fugen geratenen Verhältnisse, blieb nichts anderes als sie so stoisch wie möglich zu ertragen. Hier ist es genauso. Oder vielleicht eher komplett umgekehrt? Denn einmal sitzt die Hauptfigur im Auto und isst einen Pfirsich, dessen Kern er achtlos aus dem Fenster wirft. Zufällig steht in diesem Moment ein israelischer Panzer, der von dem Kern getroffen wird - und explodiert. So einfach kann Widerstand also sein.

Denn natürlich geht es hier um das Verhältnis der Palästinenser zu den Israelis und nicht immer sind Opfer- und Täterposition in diesem Film dabei so austauschbar wie in den oben geschilderten Episoden. Eine entscheidende Rolle dabei spielt die Geliebte (Manal Khader) der Hauptfigur, eine wunderschöne Frau, die im Westjordanland lebt und damit von E. S. durch einen israelischen Checkpoint getrennt ist. Dort tun junge Soldaten Dienst, die sich an ihrer Macht berauschen, mit den Waffen herumfuchteln und keinen Palästinenser passieren lassen wollen. Die Frau freilich lässt sich davon nicht einschüchtern. Sie steigt aus dem Auto, streicht ihr knappes Kostüm glatt und tänzelt lasziv auf den Militärposten zu, als handele es sich bei der Straße um einen Catwalk. Die in jeder Hinsicht sehr erregten Soldaten, die ihre Gewehre schon im Anschlag haben, würdigt sie kaum eines Blickes. Vor ihrem Sexappeal kapituliert die Waffengewalt. Den Checkpoint kann sie unbehelligt passieren; der Kontrollturm bricht gleich ganz zusammen.

Ist damit der Idee Ausdruck gegeben, dass ein modernes, sozusagen a-religiös erotisches Palästinensertum die Grenzen zu Israel zum Verschwinden bringen könne, taucht dieselbe Frau kurz später einer anderen Rolle auf. Vermummt mit dem notorischen Arafat-Tuch stellt sie sich als Widerstandskämpferin einer Gruppe israelischer Paramilitärs, die ihre Schießübungen in Form eines Ballettes praktizieren. Solche Kunstfertigkeit freilich wird von der Gegnerin noch übertroffen, die sich einer Kampfsport-Heldin gleich in die Lüfte erhebt und die Israelis einen nach dem anderen erledigt. Der Film wurde gedreht, bevor Al-Aksa-Brigaden palästinensische Mädchen zu Selbstmordattentäterinnen ausbildeten, aber daran denken muss man in diesem Moment doch. Freilich ist die Gewaltphantasie dieser Sequenz als Ballet und Tanz sublimiert und zudem durch die vorhergehende Szene am Grenzposten ausbalanciert. Ärgerlich aber bleibt, dass die Frau dabei unter anderem die Pose des gekreuzigten Christus einnimmt. In der Luft stehend, breitet sie die Arme aus; die Kugeln ihrer Gegner gruppieren sich wie eine Dornenkrone um ihren Kopf. Das ist dann doch eine ziemlich unverhohlene Variation auf die antisemitische Rede von den Juden als Christusmördern.

Doch vielleicht darf auch ein guter Komiker mal einen richtig schlechten Witz machen. Es ist zu bemerken, dass sich Suleimans Film die meiste Zeit über solche Eindeutigkeiten erhebt. Auch stilisiert er nie wieder eine Figur zur Ikone. Im Gegenteil hält er sich seine Protagonisten so gut es geht vom Leib. Kaum einmal ist jemand in der nahen oder wenigstens halbnahen Einstellung zu sehen. Godard hielt dieses Filmen aus der Ferne für einen typischen Anfängerfehler. Doch es ist kaum anzunehmen, dass Suleiman hier ein unbeabsichtigtes Missgeschick passierte: Er legt Wert auf Distanz, auf eine Perspektive, die es für die Intervention von oben oder zumindest außen braucht.

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