Böser Robert

Kehrseite I Vor Jahren sah ich Macbeth. Die Lady stachelte ihren Mann zum Mord, sie waren ein Herz und eine Seele, böses Herz & böse Seele, zu allem ...

Vor Jahren sah ich Macbeth. Die Lady stachelte ihren Mann zum Mord, sie waren ein Herz und eine Seele, böses Herz böse Seele, zu allem entschlossen, wild und sexy. Als Macbeth später an seiner Tat zweifelte, erlahmte jäh ihr Interesse an ihm.

Als ich vor das Theater trat, explodierte ein Silvesterknaller, dann quietschten Autoreifen, ein Pkw raste vorüber. Es knallte noch einmal, schepperte. Ich überquerte die Straße zu meinem geparkten Wagen. Neben dem Auto lag eine Pistole. Ich traute meinen Augen kaum. Ich hatte mich verhört: Es war kein Silvesterknaller verspätet gezündet, sondern es war scharf geschossen worden. Ich überlegte, was ich tun sollte. Die Pistole nehmen und in einer Sekunde vom unbescholtenen Bürger zum Waffenbesitzer mutieren oder den Fund melden. Ich stieg ins Auto und fuhr davon. Die Waffe blieb liegen. Monate später las ich, dass in Amsterdam die Beteiligten der Schießerei am Lehniner Platz gefasst worden seien; es waren zwei vollkommen Unbeteiligte von Querschlägern verletzt worden. Ich saß im Sessel, als ich das las, ich war nicht Macbeth, ich besaß nicht einmal eine illegale Waffe. Wollte ich nicht einst wild, sexy und gefährlich sein? Ich musste mein Leben ändern, dringend und schon längst.

Den entscheidenden Anstoß gab nun aber der Fall des Robert H., der über Nacht zum bad guy der Nation wurde. Ihm nach!, rief alles in mir, spiel dein Spiel!

Gesagt, getan.

Die erste Gelegenheit kam bei einem der heiteren Monopolyabende, die ich gern am Wochenende mit ein paar Freunden veranstalte, die mit ihrer Zeit auch nichts besseres anzufangen wissen. Wir sind allesamt Langweiler, deshalb verstehen wir uns so gut. Doch diesmal würde alles anders sein.

Ich übernahm zunächst einmal die Bank. Das hielt ich für einen ausgezeichneten Start in mein neues, skrupelloses Ich. Ich betrog, was das Zeug hielt. Ich setzte sechs, wenn ich nur fünf würfelte, ich zog zuviel Geld für meine läppischen Straßen. Ich bekomme grundsätzlich nicht die gelben, grünen oder roten Straßen, die ordentlich Kohle bringen, geschweige denn die Schlossallee. Aber da wir alle Loser sind, bekommt die nie einer, weil die sich keiner leisten kann. Ich sortierte heimlich die Gefängnis-Freikarten heraus, als niemand zusah (wenn Robert H. nur diese Gelegenheit hätte), schließlich stahl ich sogar Geld von meiner eigenen Bank. Als meine Bekannte Eva dies bemerkte, erwiderte ich, dass das nur ein Versehen gewesen sei. Ich sei verführt worden, wollte auch so viel wie die anderen besitzen und hätte der Verlockung des Bösen nicht widerstehen können. Und siehe da - ein Leuchten flackerte in ihren Augen auf. Es war, als hätte ich ihr eine Liebeserklärung gemacht. Die Abscheulichkeit meines Verbrechens schien sie zu erregen. Sie rückte deutlich näher und fing an, wie beifällig mit ihrem gelockten, blonden Haar zu spielen, so wie es Schulmädchen in der Pubertät machen und Monsterfrauen noch im Erwachsenenalter, außer dass diese dann noch darauf rumkauen. Sie konnte es kaum erwarten, dass der Rest der Bagage sich in Richtung Heimat verzog, um ihrer gebremsten Leidenschaft endlich freien Lauf zu lassen.

Um sie ein wenig weiter zu stimulieren, manipulierte ich durch das falsche Vorlesen einer Gemeinschaftskarte den Kontostand meines Gegenübers Jürgen, der dadurch das Spiel verlor und ausscheiden musste. Er, der jedes Spiel gewann, war außer sich und verließ unter Androhung einer Klage meine Wohnung. Seine Freundin nahm er gleich mit.

Jetzt schlug endlich meine Stunde. Auch Eva konnte nicht mehr an sich halten. Sie riss ihre sandfarbene Seidenbluse auf. Ich hörte, wie die farblich abgestimmten Knöpfe auf dem Monopoly-Brett umhertanzten und dachte, ja, wie schön ist es, ein Frauenheld zu sein. Die Spielgeldscheine entzündeten sich spontan an Evas flammender Begierde. Sie nahm mich, den Betrüger, den Manipulator, den Abschaum. Ich war der letzte Dreck, ich hatte meine Freundschaft zu Roland aufs Spiel gesetzt für den schnöden Mammon, und dabei kannte ich die armselige Brillenschlange schon, seit er mir in der zweiten Klasse die Luft aus dem Fahrradreifen gelassen hatte. Dies war meine Rache! Fahr doch zur Hölle, Roland, gegen einen Teufel wie mich hast du keine Chance. Der Flächenbrand weitete sich aus, wahrscheinlich war das Elektrizitätswerk hineingeraten, für das ich niemals auch nur einen Cent gesehen hatte, genau wie für den Westbahnhof. Es war mir egal. Wir liebten uns im Licht der verglühenden Beweise meiner Unmoral.

Am nächsten Morgen betrachtete ich zufrieden meine völlig verwüstete Wohnung und zündete mir an den letzten kleinen Flammen, die nicht müde wurden, meine Wohnzimmereinrichtung zu fressen, eine Zigarette an - ohne Filter natürlich. Ich überlegte kurz, was die angemessene Strafe für mein abscheuliches Tun sein konnte: lebenslang, elektrischer Stuhl, die Gaskammer? Nein, dafür musste ich noch mehr tun. Ich nahm den Aktenkoffer und meine Jacke. Im Hausflur bemerkte ich, dass ich eine fröhliche Melodie pfiff, dabei hatte ich nie pfeifen können. Jetzt fiel mir jeder Pfiff leicht. Ich hatte die Grenze überschritten, ich konnte alles pfeifen, was ich wollte. Ich gab meinem nervenden Hausmeister, der am Treppenabsatz gerade den Boden wischte, einen Schubs. Er rumpelte zwei Stockwerke hinunter, dabei hätte ich gewettet, dass er mindestens drei schafft. Die Zigarettenkippe schnippte ich draußen der widerlichen Katze meiner Nachbarin entgegen, die fauchend Reißaus nahm. Die Sonne über Paderborn lachte mich an.

Was für ein Tag! Ich war der King!

Mathias Klaschka, Jahrgang 1971, hat Filmwissenschaft und Amerikanistik studiert, er arbeitet heute als Drehbuchautor und lebt in Berlin.


Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Verändern Sie mit guten Argumenten die Welt. Testen Sie den Freitag in Ihrem bevorzugten Format — kostenlos.

Print

Die wichtigsten Seiten zum Weltgeschehen auf Papier: Holen Sie sich den Freitag jede Woche nach Hause.

Jetzt kostenlos testen

Digital

Ohne Limits auf dem Gerät Ihrer Wahl: Entdecken Sie Freitag+ auf unserer Website und lesen Sie jede Ausgabe als E-Paper.

Jetzt kostenlos testen

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden