Im Center ist es so dunkel wie in meiner Prenzlauer-Berg-Stammkneipe ab Mitternacht. Dröhnende Hits der Achtziger durchwummern den Saal, es ist voll und laut, auf einem Großbildschirm läuft Boxen. Spaßvögel haben draußen ein Schild angebracht: Naherholungsgebiet. Es riecht nach Zigaretten, offenen Schuhen, Bier und ein bisschen nach Krankenhaus.
Freitagabend im Bowling-Center Weißensee. Gebowlt habe ich nur ein einziges Mal, vor 15 Jahren. Ich war grottenschlecht und das Gespött des Abends. Heute habe ich die Chance, jene demütigende Erfahrung endlich hinter mir zu lassen.
Eine ganze Stunde habe ich zu Hause gebraucht, um mich für den passenden Look zu entscheiden. Schick zwar, aber atmungsaktiv und betont lässig. Die Mühe hätte ich mir sparen können. Hier drinnen gibt es nur rasierte Köpfe, Polos, Bomberjacken auf der einen Seite der Geschlechterkennung, toupierte Ponys, Schlabber-Sweatshirts, Gürteltaschen auf der anderen. Am meisten Sport treibt die Bedienung. Die arme Kellnerin legt einen wahren Marathon aufs Parkett. Unsere Bahn ist reserviert und wartet bereits, lauer. Ich zwänge mich in die potthässlichen Leihschuhe und schicke ein Stoßgebet gen Himmel, sie mögen desinfiziert sein. Mein Freund Gordon hat am Tresen schon Getränke besorgt und übergießt mich aus Versehen mit einem halben Liter Schwarzbier. So sehen Gewinner aus! Auf dem Herrenklo gibt es zwar keinen hilfreichen Händetrockner, aber genug Papiertücher zum Trockenreiben.
Marco, der Dritte im Bunde, hat einen Scheißtag hinter sich und deshalb schon ein paar Bierchen intus. Und er hat seine eigene Kugel dabei: groß und blank und schön poliert. Ich bin als Erster dran und versuche, gelassen zu bleiben, während Angstschweiß in Zeitlupe auf die Kugel tropft. Gleich beim ersten Wurf hole ich mir eine Oberschenkelzerrung, 15 Jahre Übungsrückstand fordern ihren Tribut. Ab sofort kann ich nur noch humpeln. Ich bin genauso schlecht wie damals. Der Punktecomputer verhöhnt mich, er zeigt zwei große X für die missratenen Würfe an. Die Könner werfen einen Strike nach dem anderen. Für alle Nicht-Bowler: ein Strike ist das Abräumen sämtlicher zehn Kegel mit einem einzigen Wurf, also etwas, was es im wahren Leben nicht gibt. Um mich herum wird gejubelt, während ich - nicht nur wegen der Achtziger-Musik - an meine Schulzeit denke. Immer als Letzter bin ich in die Sport-Mannschaften gewählt worden. Vom Stufenbarren bin ich runtergefallen, beim Schwimmen mit Wadenkrampf abgesoffen. Es hat sich nichts geändert.
Auf der Bahn nebenan wird Geburtstag gefeiert, im kleinen Kreis. Brennende Kerzen auf einer Torte in Bowlingkugel-Form, allerliebst und rührend, wenn auch etwas deprimierend. Wobei, lange nicht so deprimierend wie mein Punktestand.
Die hübsche männliche Kellner-Maus hinterm Tresen wirft mir Blicke zu, die ich nicht deuten kann. Sie wirken wie erotisches Interesse, aber sind die in dieser testosteron-geschwängerten Umgebung nicht deplaziert wie, sagen wir, George Bush beim Ostermarsch? Ich beiße trotzdem tapfer die Zähne zusammen und humple ab jetzt nur noch, wenn der Typ nicht herguckt. Man weiß ja nie.
Meine Kugel saust indes mutig an allen Kegeln vorbei. Sogar die übergewichtige Dame neben uns kann noch mit ihrem Piccolo in der Hand Strikes werfen. Ich vermute, dass sie nichts als Mitleid für meinen Eiertanz übrig hat. Gordon, unser hübscher Streber, steht schon weit vorn einsam auf Platz 1 der Wertungsliste. Er hat´s einfach drauf. Marco wirft zwar nicht besonders gut, aber wenigstens hat er den Alkohol als Ausrede - und eine eigene Bowlingkugel.
Die Bedienung fragt uns überraschend, ob wir schwul wären, wir würden so werfen. Sie meint fraglos mich. Nachdem ich es geschafft hatte, tatsächlich einen Kegel umzuhauen und mir dabei fast die Schulter auszukugeln, hat mich mein hysterisches Gejuchze wahrscheinlich verraten.
Ich steuere zielgenau meinem Untergang entgegen. Der Punktecomputer zeigt es an: wir sind fertig. Erledigt, würde ich sagen. Ich bin Letzter. Marco ist heillos besoffen und Gordon sonnt sich in seinem Ruhm. Mit der inzwischen eingetrockneten Bierlache auf meiner Hose verlasse ich hinkend die Bahn. Mein Versagen gibt es sogar noch schriftlich beim Hinausgehen. Auf einen Absacker habe ich keine Lust, ich will meine öffentliche Demütigung allein zu Hause beweinen.
Eine Stimme kommt plötzlich aus dem Dunkel des Parkhauses. Der Kellner mit den unerklärlich interessierten Blicken hat seine Gläser fertig gespült und fragt, was ich noch mache. "Ist doch Freitagabend!" Er schenkt mir ein umwerfendes Lächeln, und jetzt ahne ich auch, wer wohl die Kellnerin mit ihrer indiskreten Frage zu uns geschickt hat. Vielleicht bin ich ein sauschlechter Spieler, aber das Glück hat mich nicht im Stich gelassen. Strike!
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