Die New Economy ist nach vielen Pleiten in den vergangenen zwei Jahren sicher nüchterner und pragmatischer geworden, sie ist aber nicht ganz verschwunden. In der Phase der Normalisierung, der Insolvenzen und Niedergänge - gern als "Marktbereinigung" beschönt - haben es einige Unternehmen geschafft, sich auf die neuen Herausforderungen einzustellen, die eigentlich nur die alten marktwirtschaftlichen sind. Eine Tour durch vier Berliner Start-Ups unterschiedlicher Ausrichtung, Größe und Geschichte offenbart keine Patentrezepte, wohl aber Facetten einer stillen Reformation.
SCIENION AG
"Es ist eine ganze Menge vom Start-up-Geist geblieben. Die Unternehmenskultur ist hier anders als bei DaimlerChrysler", kommt Holger Eickhoff (36), Vorstandsvorsitzender der Scienion AG, gleich auf den Punkt, der ihm wichtig ist. Der Vergleich mit dem deutsch-amerikanischen Autokonzern verrät aber schon, dass sich das Biotech-Unternehmen Scienion - zusammengesetzt aus den englischen Begriffen "Science" und "Vision" - schon eher als gesunder Mittelstand versteht, weit weg von den wuseligen Internet-Start-ups. Aber auch als kleiner und flexibler im Vergleich zu den Großkonzernen.
Es ist eine weite Reise nach Berlin-Adlershof. Auf dem Gelände der ehemaligen Akademie der Wissenschaften der DDR sieht es immer noch nach Aufbruch aus. Der Berliner Senat versucht, hier am Stadtrand ein kleines Hightech-Eldorado zu schaffen. Viel wurde und wird gebaut, auch die Scienion AG ist in einem Gebäude untergebracht, das an die Ausmaße des neuen Kanzleramts erinnert. Fast alle der 38 Angestellten des Ende 2000 von Mitarbeitern der Max-Planck-Gesellschaft gegründeten Biotech-Unternehmens sind Wissenschaftler, anders als bei vielen Internet-Start-Ups beherrschen Männer die Szene.
In den Räumen des mit zwölf Millionen DM Risikokapital finanzierten Unternehmens sind einige dieser Millionen zu finden. Geräte zur Herstellung von DNA- und Protein-Biochips und aufwendige Messtechnik glänzen hinter Sicherheitstüren, Bier am Arbeitsplatz wäre hier schon aus Sicherheitsgründen nicht erlaubt. So erscheinen Fragen nach dem Geist und den Partys der New Economy deplatziert. Volker Heise, einer der wissenschaftlichen Mitarbeiter, vermisst diese auch gar nicht, er hat vor einem Jahr noch bei der Max-Planck-Gesellschaft gearbeitet und sieht im Bereich "Amusement" auch keine wirkliche Nachfrage.
Nach der Aufbauphase im Frühjahr und Sommer vergangenen Jahres gibt es mittlerweile klare Verantwortungen und die eingeführten Hierarchien werden von den meisten begrüßt. An deren Existenz lässt Holger Eickhoff auch gar nicht zweifeln: Tischfußballspielen sei für ihn schon okay, "aber nur wenn jemandem dabei Ideen kommen. Wenn die Mitarbeiter nur zum Tischfußballspielen herkämen, hätte das schon ernsthafte Konsequenzen."
Solche trendigen Freizeitaktivitäten würden hier auch nicht passen, obwohl in den vielen endlosen Gängen des Gebäudes sicher Platz wäre. Für die Zukunft des eigenen Unternehmens ist Eickhoff zurückhaltend optimistisch. Scienion ist für die kommenden drei Jahre finanziell gesichert. Aber draußen sei die "momentane Situation nicht rosig, das Klima ist sehr, sehr eisig". Um so wichtiger ist für Eickhoff eine gut entwickelte Firmenkultur: zumindest einmal im Vierteljahr gibt es gemeinschaftliche Aktivitäten wie Ausflüge, Restaurantbesuche oder Firmenbesichtigungen. Eine wöchentliche Vollversammlung ist auch obligatorisch. Die allerdings beginnt - jenseits von Campus-Gewohnheiten - morgens um 8 Uhr 30.
PETRA PRODUCTIONS
So früh wird es bei Petra Productions nie werden, da kann die Krise noch so groß sein. Für Geschäftsführer Olaf Augele ist die ganze Start-up-Szene "eh eine Generationsfrage. Bei uns wurden die Mitarbeiter noch nie wie dumme Angestellte behandelt." Die Arbeitszeiten werden hier immer noch flexibel gehandhabt, wer will kann nach zehn kommen, was aber nur wenige der sechs festen Mitarbeiter tun. Petra ist für New-Economy-Verhältnisse schon ein echter Dinosaurier: Bereits Mitte 1999 fanden sich fünf befreundete Designer, Künstler und Programmierer zusammen, um eine Firma aufzubauen, die dann später zur Multimediabranche gezählt wurde. Multimedia, auch einer dieser nichtssagenden Begriffe, die nur noch ungern verwandt werden, offiziell haben wir es mit einem "Büro für audiovisuelle Kommunikation" zu tun.
Dass seine Firma klug vorausblickend Fehler der New Economy vermieden habe, verneint Augele. "Wir haben einfach kein Startkapital bekommen, wir wurden von den Risikokapital-Gesellschaften nicht ernst genommen. Wir waren zu klein und keiner von uns kam aus der Wirtschaft." Insofern wurde die damalige Enttäuschung zum Glück für Petra, kühles Wirtschaften war von Anfang an angesagt, und es wurden nicht Dutzende von Mitarbeitern eingestellt. So ist die Firma im Prenzlauer Berg immer klein und bescheiden geblieben, dafür bestehen nun auch keine Verpflichtungen gegenüber Banken oder Investoren. "Natürlich wäre Petra damals gern an die Börse gegangen, ich hätte auch gern mal ´nen Porsche gefahren, wäre doch gelogen, wenn ich den abgelehnt hätte", gibt Augele zu. Für die gesamte Branche sieht er schon "Licht am Ende des Tunnels, ab Herbst wird es besser". Eine Einschätzung, die viele in der Szene teilen, von der aber niemand so recht weiß, ob sie nur aus Zweckoptimismus die Runde macht.
Bei Petra gibt es zwar die Hierarchie Geschäftsführer/Mitarbeiter, aber sie spielt im Alltag keine Rolle. Wenn Programmierer Boris Althaus erzählt "wir haben hier eine gemeinsame Kultur, einen ähnlichen Horizont, hören die gleiche Musik" und "Frühstücken tun wir auch zusammen", dann wird man an alte Start-up-Zeiten erinnert. Hier ist noch die Verschränkung von Arbeit und Freizeit zu beobachten, die fast alle anderen Unternehmen inzwischen brüsk von sich weisen. Bei der Arbeit hört jeder seine Musik, geht und kommt, wann er will, und auf privaten Geburtstagspartys würden sie sich auch gegenseitig einladen, aber nur weil sie sich mögen, nicht weil es dem Business dient.
ALLMAXX.DE
Es ist ruhig geworden in der Chausseestraße, sehr ruhig. Wenn es je ein Herz der deutschen New Economy gegeben hat, dann schlug es hier. Die selbsternannte "Silicon Street" in Berlin-Mitte beherbergte Deutschlands erstes Online-Auktionshaus alando.de, das später von ebay geschluckt wurde - und zahlreiche andere bunte Firmen wie meome, datango, ricardo und jamba. Und eben allmaxx.de. Diese Firmen gehörten zum inneren Zirkel, zur ersten Generation.
Im November 1999 gegründet, geriet allmaxx.de schon bald in eine Krise und musste sich früher als viele andere Start-Ups neu orientieren - eine reinigende Krise, wie sich heute zeigt. Mit neuem Geschäftsmodell und nach dem Austausch einiger Gründer kämpft das inzwischen zur Firma Merconic gehörende Studenten-Vertriebsportal nun seit August 2000 ums Überleben im sogenanten E-Commerce. Während Scienion und Petra Productions von vornherein vom Klischee der hippen Internet-Firmen abwichen, so entsprach allmaxx.de den landläufigen Vorstellungen bis ins Detail. "Das Tischfußballgerät gibt es noch. Es steht in einem Nebenzimmer, manchmal wird es sogar noch benutzt", kommt Felix Bosse, Gründer und einer der fünf Vorstände, sofort auf eines der immergleichen Klischees zu sprechen. "Wir verstehen uns noch als Start-up, aber in der Kommunikation nach draußen sind wir mit solchen Begriffen sehr vorsichtig." Die englischen Bezeichnungen der Anfangszeit, wie "Business Developer" oder "Human Ressource Manager", die Kunden und Konkurrenten beeindrucken sollten, sind abgeschafft. "Die Euphorie ist einfach vorbei, eine Normalisierung hat eingesetzt, aber ein Behördenstil wird hier nicht eingeführt", stellt Bosse klar.
Das Unternehmen macht seine Umsätze mit Sonderkonditionen für Studenten, die entweder online oder über einen von über 200 "Unimanagern" Flugreisen oder Zeitschriften-Abos bestellen können. So wurde an deutschen Großstadt-Universitäten ein Direkt-Vertriebskanal etabliert. In diesem Jahr wird endlich Geld verdient, eine neue Finanzierungsrunde ist nicht von Nöten. Und ein Börsengang "steht nicht ernsthaft zur Diskussion, allmaxx.de soll mittelfristig verkauft oder in ein Old-Economy-Unternehmen integriert werden." Vorstand Bosse weiß, worum es in der Zukunft gehen wird. Der ursprüngliche Geist, der "teilweise gerettet" wurde, ist jetzt einem guten Betriebsklima mit normalen Gehältern gewichen, und auch hier hat sich gezeigt, dass die 50 Mitarbeiter - davon immerhin 30 fest und in Vollzeit - die Etablierung klarer Entscheidungsebenen sehr begrüßen: "Die Mitarbeiter, die lieber weiter in der Ursuppe arbeiten wollten, sind gegangen."
AVIVA-BERLIN
Noch so ein Jahr wie das vergangene möchte Aviva-Berlin, das Online-Magazin für Frauen, nicht erleben. "2002 hat gut angefangen, der Euro hat irgendwie einen Kick gegeben, 2001 war ein einziges Gejammer, niemand wollte investieren." Sharon Wölk, Gründerin und eine von vier festen Redakteurinnen von Aviva-Berlin sieht zurückhaltend, aber hoffnungsvoll in die Zukunft.
Mitten in der Euphorie am Neuen Markt wurde das Unternehmen im Februar 2000 in Kreuzberg gegründet. Mittlerweile schreiben 20 Journalistinnen regelmäßig für die Online-Publikation, die weit mehr sein möchte als ein weiteres Frauenmagazin. Die Frauen in und um Aviva-Berlin sehen sich auch als Multiplikatoren. "Wir sprechen Menschen, vor allem Frauen aus den Neuen Medien an, aber auch aus klassischen Bereichen. Bei uns ist die Humboldt-Professorin genauso zu finden wie die Studentin", versucht Wölk, die Zielgruppen zu definieren. Zu den Themen gehören Karriere und Beruf, aber auch Lifestyle und Mode. Die Redakteurin Antje Köppen beschreibt den ständigen redaktionellen Spagat: "Wir versuchen auf elegante Art und Weise das emanzipatorische Element mit einzubringen." Die Angst, in eine traditionelle "Frauenecke" gestellt zu werden, ist groß, zumal dann, wenn es um den ökonomischen Erfolg geht. "Emma sind wir nicht, wir sind auch jünger, das Emanzipatorische steht bei uns nicht im Vordergrund", stellt Köppen noch einmal klar. Ihr Engagement für "harte" Frauenthemen wie "Sexismus" oder "Gewalt" sei zwar echt und weit mehr als ein Feigenblatt, im Vordergrund stünden aber nicht politische und soziale Akzente, sondern wirtschaftliche und kulturelle. So wird unter der Rubrik "Profile" immer monatlich eine "Leading Lady" porträtiert. Das Online-Magazin hat es inzwischen zu recht eindrucksvollen Seitenzugriffen gebracht, im Januar 2002 waren es 48.400.
Aviva-Berlin finanziert sich über die Weitervermarktung von redaktionellen Inhalten - dem "Content-Providing" - und über Werbung. Selbst tragen kann sich die Firma noch nicht, aber 2002 wird Aviva-Berlin versuchen, "crossmediale Kompetenz", die Vernetzung von Internet mit anderen Medien, etwa dem Radio und Fernsehen, weiter auszubauen. Wenn Sharon Wölk von wirtschaftlichen Schwierigkeiten erzählt, auch weil viele männliche Investoren nicht in ein reines Frauenprojekt investieren wollten, dann fallen einem die eklatanten Versäumnisse der Start-Ups noch deutlicher auf. Bei Aviva-Berlin wird ganz bewusst von einer "weiblichen Komponente" des Wirtschaftens gesprochen.
Während männlich geführte Firmen in der Euphorie Millionen nicht nur für Mitarbeiter und Ausrüstung ausgaben, sondern auch für Partys, sinnlose Präsentationen, Agenturen und Unternehmensberater aller Art, so wirtschaftete Aviva-Berlin von vornherein effizienter. "Wir sind sehr bescheiden, nicht geworden, immer gewesen", sagt Antje Köppen. Fragen, die sich jeder Unternehmer und jede Unternehmerin stellen sollte - Wie haushalte ich? Welche Investitionen brauche ich? Wie führe ich meine Mitarbeiter? - wurden hier sorgfältig abgewogen. Es fällt schwer, diese Eigenschaften einem Geschlecht zuschreiben zu wollen, aber wenn die Gründer der New-Economy-Hysterie tatsächlich männlich agiert haben, dann muss die Zukunft der New Economy weiblich sein.
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