Der Fall Emmely und die Klassenfrage

Kündigung Gilt für Kaisers-Manager die Unschuldsvermutung? Aus Erfahrung – Nein! Wenn sie klug gewesen wären, dann hätten sie …. Aber was soll´s – klug sind sie nicht.

Emmely wurde wegen 1,30 Euro entlassen, aber betrügerische Bankmanager streichen Millionen an Boni ein! Das klingt so wahr, das klingt so wütend! Die Leserbriefspalten waren voll davon, als es Emmely ans Leder ging. Auch Politiker – „nah bei die Leut’“ – brachten Emmely und die Manager zusammen. Oder Emmely und die Krise: Da werden Milliarden verbrannt und eine langjährige Verkäuferin wird … usw. Weitere Varianten: Emmely wird gefeuert – aber Zumwinkel kauft sich frei. Oder, je nach Klasseninteresse: Emmely wird verurteilt – aber Egon Krenz ist frei!

Hängt nicht alles mit allem zusammen, irgendwie? In dem Sinne, dass das Leben ungerecht ist, namentlich das Leben im Kapitalismus. Ja, dass der Kapitalismus in sich eine einzige, schreiende Ungerechtigkeit darstellt, schon weil der mehrfache Sexualverbrecher Schmökel eine Opferrente beziehen kann, während die tapfere Emmely … usw. Und außerdem: Da wird bei uns ein Herr von und zu Guttenberg berufen, während in Dänemark die Monarchie auf dem letzten Loch pfeift!

Stimmt das überhaupt? Und was hat es mit Emily zu tun? Nichts – aber das ist ja das Perfide: Während ich hier in der sozialen Abgesichertheit eines freien Autors einen Satz mit »Herr von und zu Guttenberg« bilden kann, wird Emmely wegen 1,30 Euro in die Arbeitslosigkeit verbannt!

Der „Fall Emmely“ hatte schöne Aspekte. Erstens: Die 1,30, das ist doch eine Bagatelle, dafür stürzt man eine verdiente Mitarbeiterin nicht ins Elend! Und 1,50 Euro? Ab welchem Betrag wird aus dem „ungerechten“, „kaltherzigen“, „zynischen“ Urteil der deutschen Justiz ein gerechtes? Angenommen, Emmely hätte innerhalb eines Jahres 1.000 Euro der Kasse entnommen. Dann wäre doch folgender Satz nicht schlecht: Während wir bei Kaiser’s immer noch 3,49 Euro für 0,7 Liter Mecklenburger Klaren berappen müssen, geht diese Emmely frech mit 1.000 Euro nach Hause! Oder: Die raffinierte Emmely wird bloß arbeitslos – aber der Gen. Krenz musste sitzen! Wahrscheinlich ist es doch das Einfachste, sozusagen rechtspraktikabel, festzulegen, dass eine Kassiererin überhaupt nicht klauen sollte. Auch nicht bis zu 1,29 Euro.

Zweitens: Die Verdachtskündigung, „Mir fiel der Unterschied in der Urteilssprechung zwischen dem ‚Rechtstaat BRD‘ und dem ,Unrechtsstaat der DDR‘ auf. Im ,Rechtstaat BRD‘ muss der Beschuldigte seine Unschuld beweisen, auch bei böswilligen Verleumdungen. Im ‚Unrechtsstaat DDR‘ musste der Staatsanwalt dem Beschuldigten seine Tat beweisen“, schrieb Frau Schmidt dem Neuen Deutschland. Wie es in der DDR war, unter Verdacht zu stehen, darüber soll erzählen, wem es geschehen ist. Im Strafrecht gilt die Unschuldsvermutung. Emmely klagte (war nicht angeklagt) jedoch vor dem Landesarbeitsgericht gegen ihre Kündigung. Das Arbeitsgericht ermittelt nicht selbst, sondern prüft die Schlüssigkeit des erhobenen Verdachts. „Sitzt der Arbeitgeber bei einer Verdachtskündigung von vornherein am längeren Hebel?“, fragt Verdi auf seiner Seite Wissen bewegt und antwortet sich selbst: „Nein!“ Dennoch darf man natürlich formulieren: Für einen Zumwinkel galt die Unschuldsvermutung – für eine Emmely galt sie nicht. Was für ein Sauladen!

Drittens: Die Klassenfrage, Emmely ist offenbar eine linke, solidarische Seele. Sie hat einen Streik mit vorbereitet, vielleicht sogar als „Rädelsführerin“.

Da kommen Pfandbons im Wert von 1,30 Euro gerade recht. Gilt für Kaiser’s Manager die Unschuldsvermutung? Aus Erfahrung – Nein! Wenn sie klug gewesen wären, dann hätten sie …. Aber was soll‘s – klug sind sie nicht. Sie werden büßen, wenn der Tag der Buße kommt. Dann wird es heißen: „Während Kaiser’s die Emmely im Jahre 2008 wegen eines lächerlichen Vorwurfs in die Arbeitslosigkeit entließ, war Emmely jetzt, da das Unternehmen enteignet wird, sogar bereit, Kaiser’s zu verzeihen.“

Matthias Wedel ist Buchautor und Journalist

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden