Keine Westpakete nach drüben

CDU-Wahlkampf Angela Merkel lässt sich nicht auf Ost umschminken

Kürzlich konnte die CDU nicht an sich halten. Eine ungute Röte trat auf die Gesichter der Ostexperten Althaus und Vaatz: Die Linkspartei! Im Osten drückt "das Milieu" nach oben, wie Wasser nach heftigem Regen über den Gully-Rand. Das Milieu - das sind nicht nur die Unterschichten, die staatlich Alimentierten. Das Milieu ist im Osten die herrschende Kultur der (Klein-) Bürgergesellschaft. Dort heilt man einander bis heute die Wunden, die "die Wende" (der Westen!) in die soziale Psyche und in die Lebensläufe geschlagen hat.

Die vier Westparteien haben dabei nichts verloren und nicht viel zu finden. Hat sich in der CDU/CSU wirklich jemand gewundert, dass die ostdeutschen Wähler, die 2002 Stoiber nicht gewollt haben und nun "nachhaltig" von der SPD enttäuscht sind, nicht bei den Christ-Sozialen anlanden? Es gibt im Osten nur eine Heimat- und Volkspartei. Keinem soll es (noch) schlechter gehen, aber vielen (wenigstens etwas) besser. Das ist von Kohl, Dresden, Weihnachten 1989. Es könnte von der Linkspartei sein.

Beim Geburtstag des CSU-Streitrosses Michael Glos muss es jüngst zugegangen sein, als hätten sich die Gäste beim Krabbencocktail einen Virus eingefangen, der schlagartig zu wirken begann. Schweißausbrüche, Gefuchtel, Rennerei. Die Wahlen werden regelmäßig im Osten verloren, stellte man fest. Und Arnold Vaatz war schon lange nicht mehr so nah am Ohr der großen Vorsitzenden. Er könne "für den Osten" jetzt alles von ihr haben, tönte er.

Und dann kam es, wie es kommt, wenn sich Angela Merkel nicht mehr auf die Quantentheorie verlässt: Sie wurde panisch. Zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen! Zuerst geschah es, als sie verschreckt die angekündigte Mehrwertsteuererhöhung zurückziehen wollte. Und jetzt mit der anfallartigen Hinwendung zum Osten Gleiches tat.

Eine Sonderbehandlung für die Ostler war zunächst angekündigt. Als ob es die nicht schon seit 15 Jahren gäbe! Was Besonderes aber war nicht in Sicht - kein Merkel-Aufgebot "Westpakete in den Osten", keine Mehrwertsteuer-Sonderzone, keine Befreiung von Hartz IV. Nichts was Geld kosten könnte. Gedacht war an Propaganda, an Streicheleinheiten, Angstmache und Drohungen.

Wahrscheinlich hatte Kauder auch vor, Merkels "Ostidentität" heraus zu kramen: Eine von Euch, eine von hier! Das ist jedoch ein äußerst heikles Gebiet, von einem Westdeutschen kaum zu durchdringen. Die Mischung aus Hochachtung und Häme, die Merkel von den Ostdeutschen entgegengebracht wird, ist nicht widersprüchlich, sondern homogen. Mit dieser Mischung können die Ostler leben. Aber ein Motiv, die Dame heftig zu wählen, finden sie darin nicht.

Hochachtung verdient Angela Merkel, weil sie es geschafft hat. Nur wenigen Ostdeutschen gelang es so kompromisslos, sich auf West zu maskieren. Natürlich bleibt sie eine Ostdeutsche, so was verliert sich nicht. Aber ihre Simulation hat sportliche Anerkennung verdient. Alles, was an Ost-Devotionalen noch an ihren weiten Oströcken hing, hat sie beiläufig verloren: den Demokratischen Aufbruch, den guten alten de Maizière, die alten Freunde. Mehr noch: Sie gibt inzwischen den perfekteren Wessi, und das adelt sie zur Leitfigur. "Die hat von Kohl über Schäuble bis Merz immerhin die halbe CDU-Führungsriege hingemeuchelt. So eine brauchen wir", sagt der einstige Kohl-Berater und militante Katholik Basilius Streithofen.

Häme kriegt sie, wenn sie verliert, wenn das Ostige in ihr durchkommt. Deshalb war ihre Frisur lange Gegenstand der Meinungsbildung. Gescheiterte Überläufer verdienen keine Gnade. Vor allem dann nicht, wenn sie uns nicht mitgenommen haben. Hätte sie auf die Schnelle das nette Mädel aus Templin geben sollen, Ostprodukte knabbern, uns ihren Garten zeigen und von schönen Zeiten schwärmen? "Angela Merkel lässt sich nicht auf Ost umschminken", sagt der so genannte Parteienforscher Lösche. Doch, das ginge schon, nur ahnt sie: Zurück nimmt der Osten sie erst dann, wenn sie wirklich am Ende ist. Dafür muss sie noch lange strampeln.


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