Die Jahre seit 1990 waren eine einzige Kränkung! An der Regierung waren immer die falschen, und älter geworden ist man auch! Also nichts zu lachen? An Gekicher fehlt es der Republik nicht. Man kann sich dumm und dämlich feixen und wunderbar durchwitzeln. Zu bestimmten Zeiten gehen bestimmte Wörter todsicher - man darf nur nicht zu spät damit kommen oder zu früh.
In der Spaßgesellschaft der DDR wurde 30 Jahre lang bei dem Stichwort »Klopapier« losgewiehert. »Klopapier« war ein optimales Reizwort: Es rührte beim Publikum an den Rudimenten der analen Phase, in der sich bekanntlich im Hirn auch das Lachzentrum ausbildet. Ich würde mir zutrauen, drei Bände mit Scherzen über die Bückware Klopapier und dessen aufreibende Qualität zusammenzustellen (die würden auch heute noch gekauft). Auch wenn das Wort »Parteisekretär« fiel, brach Frohsinn los, obwohl Parteisekretäre keine Mangelware waren.
Solche Kracher gab es auch in den neunziger Jahren, nur viel pluraler: Es ging los mit »Frau Präsidentin«, womit die unglückliche Volkskammerpräside Sabine Bergmann-Pohl getroffen wurde, später dann durfte man als Humorist keinesfalls »die Zähne von Egon« auslassen. »Günter Krause« und »Putzfrau« liefen sagenhaft; bei »Treuhandanstalt« wurden die Leute fidel, und mit »Saumagen« konnte man jeden Text retten. Oder auch mit dem geflügelten Kohl-Wort »Wichtig ist, was hinten rauskommt«. Später dann brauchte man im Kabarett nur »unsere Angela« zu sagen, und insonderheit die Damen kriegten sich nicht wieder ein und mussten auf Toilette. »Bärbel Bohley malt wieder« war viele Monate lang der Bestseller im ostdeutschen Delirantenstadl. Norbert Blüm, der über die Tischkante lugt, Scharping, der seine Frau zwei Tage nach dem Geschlechtsverkehr anruft und stöhnt »Ich komme!« - damit konnte man gar nichts falsch machen. Dann eroberte sich kurzzeitig »Hillu« (Schröder) ein paar Pointen, die aber rasch von Schröders Anzügen und Mänteln verdrängt wurden. »Elchtest« sowie »Peanuts« übten auch einen gewissen Kitzel auf das Lachzentrum der Deutschen aus. Außenpolitisch konnten lediglich Sätze, wie »als Praktikantin sollte man den Mund nicht zu voll nehmen« den hiesigen Humor befruchten.
Was nette Formulierungen betrifft, kam ich regelmäßig zu spät. Mit »Toscana-Fraktion«, »Napoleon von der Saar« oder der »Kaschmir-Kanzler« hatten meistens die Fernseh-Kollegen Siegloch und Deppendorf die Nase vorn. Später gab ich es auf, da mitzuhalten, weil es angeblich unter meiner Würde sei. - Und wo sind wir jetzt? Vor den Theaterferien konnte ein Kabarettist, der mit einem schwarzen Köfferchen auf die Bühne kam, noch Applaus ernten (obwohl es ja um schwarze Kassen geht - aber das Publikum ist eben dämlich). Zu Spielzeitbeginn geht ganz gut »Birgit Breuel« - in verschiedenen Verballhornungen, wie »Breuelpropaganda«.
Vorige Woche rief mich der Redakteur einer im Osten bekannten satirischen Zeitschrift an und schrie durchs Telefon: »Na, worauf hast du denn Wut?« Das sollte sozusagen eine Einladung sein und war eine gute Frage! Worauf ich Wut habe? Die Katze hatte gerade auf den Teppich gekotzt, und der Spritpreis stand bei Zweimarkacht, da will ich den sehen, der nicht wütend ist. »Ja, ja«, sagte der Redakteur »deine Katze interessiert keinen, und die Benzinwut haben wir schon im Heft.«
Zehn Jahre nach Ultimo stülpe ich die Taschen aller meiner Hosen um und suche nach der Wut. Hast du meine Wut gesehen, frage ich meine Lebensbegleiterin. Guck doch da, wo du sie immer hinlegst, antwortet sie. Aber da liegt sie auch nicht. Sie ist wahrscheinlich versunken in dem breiigen Diskurs, der überall in Fladen herabtropft und jede strittige Frage süß und warm umschließt. Das Gemeinwesen ist in einen Zustand geraten, wo Wut so eklig ist wie der CO-Zwei-Ausstoß. Niemandem springt mehr der Draht aus der Mütze. Die schreienden Ungerechtigkeiten sind allesamt auf dem besten, wenn auch langwierigen Weg der Lösung. Die Gesellschaft trottet vor sich hin und versucht, nicht schmerzhaft gegen die politischen Sachzwänge zu stoßen. Alle betonen - wie das unter der Schröderschen Diktatur des Lächelns neuerdings opportun ist - ihre, quasi schon genetisch veranlagte Demokratiefähigkeit und Beteiligungslaune. Alle sind im Prinzip gute Menschen. Stoiber auch? Auch Stoiber! Und Haider eigentlich auch. Wie soll man da noch hassen? Man macht sich ja lächerlich!
Die Dummen sind zwar immer noch nicht alle geworden, die Armen arm geblieben, die Kinder der letzte Rest, die Politiker irgendwie unfähig und die Alten unattraktiv. Von den Nazis ganz zu schweigen. Aber darüber kann man doch keine Satiren schreiben. Folglich wird noch viel mehr gescherzt, gekichert und gejohlt. Und wenn doch mal jemand eine Satire verfasst, fängt er mit dem Tucholsky-Satz an: »Es ist schwer, keine Satire zu schreiben«. Und das sind die Schlimmsten!
Nun die Auflösung. Natürlich bin ich wütend. Ich kann meinen ostdeutschen Zeitgenossen den Verrat nicht verzeihen und den Selbstbetrug, die Selbstaufgabe und das schiefe, devote Grinsen bei der Begegnung mit einer Banane oder einem westdeutschen Machthaber. »Ich kann sie nicht fressen sehen«, hat Monika Maron vor Jahren geschrieben. Oder ich zitiere falsch - dann kann ich sie eben nicht fressen sehen! Nur gut, dass sie als exemplarische Verlierer sagenhaft komisch sind. Sonst würden keine Texte über sie entstehen, sondern man müsste ganz andere Waffen fassen.
Der fürwitzige Leser hat natürlich längst herausgefunden, dass mit »meinen ostdeutschen Zeitgenossen« bei weitem nicht alle gemeint sind. Eigentlich sogar nur ganz wenige. Eigentlich sogar nur einer. Und der Westler? Mit dem bin ich fertig! Und auf meinem Grabstein soll in etwa 50 Jahren stehen: »Zwar liegt er hier - aber angekommen ist er nicht.«
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