Wohllaut des Mütterlichen

Vaterland im Wochenbett Die neue Liebe des Staates zum Kind

Ein Gurren, Schnäbeln, Kuscheln liegt überm schwer vereisten Lande. Nein, es ist nicht das Federvieh, das sich mit einer Zärtlichkeitsoffensive wehrt, zum unwerten Leben erklärt zu werden. Die Politik erzeugt diese gutturalen Laute. Die Melodie geht so: Wie "erfüllend" es sei, sein Dasein vielleicht zwar ohne Arbeit, ja ohne Beschäftigung, jedoch mit Kindern (Plural) unterm heimeligen Dache zu fristen. Und dass Kinderlachen überhaupt das Schönste aller Geräusche sei. Und dass Deutschlands Zukunft nunmehr nicht mehr irgendwo, sondern im Kinde liege. Die brünstige Hinwendung des Staatsapparates zum Kind, hört, liest und spürt man nicht nur. Man meint sie gar zu riechen. Es riecht nach Muttermilch und rechtschaffen ausgefüllten Windeln.

"Kinder sind die wichtigste Zukunftsinvestition", meint Matthias Platzeck. Dieses Bekenntnis zum Kinde, mit dem es zur Adresse einer Aufschwungsphantasie gemacht und zugleich als sozusagen nackte Zahlung im kapitalistischen Kreislauf, als künftige Rentenproduktionsmaschine und Sicherer der Sozialsysteme ins gesellschaftliche Denken eingebracht wird, war schon immer wohlfeil. Ohne Kinder keine Rente, heißt die Drohung ans Volk. Die Herstellung von Kindern im elterlichen Kleinbetrieb ist in diesem Sinne gesellschaftlich so unabweisbar, wie die Verminderung des Ausstoßes von Treibhausgasen. Kinder zu machen, ist das Mindeste, was die Politik vom Bürger verlangen kann. Damit das klappt, ist "Kinderfreundlichkeit" befohlen.

Doch jetzt sind wir in einer neuen Phase. Die Politik wird zur Übermutter. Den Ton hat die Kanzlerin - selbst dauerhaft kinderlos ("es hat sich nicht ergeben") - eingebracht. Auf der Suche nach einer eigenen Ansprechhaltung gegenüber dem Volk - schließlich kann sie nicht wie Konrad Adenauer und nicht wie Walter Ulbricht klingen - hat sie die Ammensprache und den Wohllaut des Mütterlichen für sich entdeckt. Ihre Neujahrsansprache war das mammihafte Genöle an die Gören, doch bitteschön was Rechtes aus sich zu machen: keiner ist zu klein, eine gute Idee für Deutschland zu haben und natürlich, wie jeder Jungpionier und jedes Christenkind, seinen Körper selbstständig sauber zu halten. Sind wir nicht alle eine große Familie?

Als Mutter vom Dienst springt beherzt und stets mit eisernem Lächeln ausgestattet Ursula von der Leyen hinzu. Sie repräsentiert den Programm gewordenen Kindersegen. Sie weiß, was es heißt, morgens siebenmal zu wecken, Stullen zu schmieren, Schulranzen zu kontrollieren und Abschiedsküsschen mit der Nachdrücklichkeit von Klapsen auf den Hinterkopf zu verteilen. Ursula von der Leyen scheint ernsthaft entschlossen, die Frauen und Männer des neuen, des Nach-Schröderschen Deutschland an ihre Funktion als Mütter und Väter zu erinnern und das Vaterland ins Wochenbett zu legen. Steuerlich gesehen, ist seit der Kabinettsklausur von Genshagen sozusagen alles zur Massenniederkunft vorbereitet.

Das Kind - kein Thema eignet sich so gut für vertraulichen Hautkontakt konkurrierender Parteien in einer großen Koalition. Man kann sagen, mit Gongschlag 2006 wird Deutschland von einer großen Koalition des Kindeswohls regiert. Dabei ist neckisches Sich-Übertreffen angesagt. Platzeck erzählte gleich nach Genshagen seiner verblüfften westdeutschen Großtante, der SPD, wie man als Staat beinahe von einem Fünfjahrplan zum anderen "kinderfreundlich" wird. So, nämlich, wie sich die DDR freundlich zum Kinde Matze Platzeck, dem begabtesten Sero-Sammler in der Babelsberger Vorstadt, verhielt. Oder wie man es heute in Skandinavien studieren kann, wo die virtuelle Ministerin für Gebär-, Still-und Aufzuchtangelegenheiten Margot Honecker heißt: Babyjahr, Ehe-Kredit, Stillpass, Mütter(zwangs)beratung, Waschmaschine beim ersten Kind, Frauenkommissionen und Frauenruheräume, Väter in die Mütterrolle, frühes Aufnehmen des Gruppenfeelings (alias "Kollektivgeist") beim gemeinsamen Töpfen.

Alles, was in den Neunzigern als definitiv abscheulich, als Ausfluss eines kollektivistischen Menschenbildes und einer sozialistischen Familienpolitik galt, kehrt mit Angela Merkel, Ursula von der Leyen und Matthias Platzeck nun zurück. Von der Leyen drängelt frühzeitig in die Krippe, dem erstem Glied ihrer "einheitlichen Bildungskette", die wahrscheinlich mit dem Wehrdienst oder dem ersten juristischen Staatsexamen in Regelstudienzeit endet. Vorbei ist es mit altachtundsechziger "pluralen Lebensformen"! Rasch sauber werden für den globalen Wettbewerb - das schaffen die arbeitlosen Mamas nicht mehr allein. Es schließt sich der erste Englisch-Unterricht an. Und bis zur Einberufung in die Schule haben die Eltern ihr Kind mindestens zweimal beim Staat, beim Amtsarzt, vorzustellen, der die "normgerechte" Entwicklung zu einem gesunden Staatsbürger attestiert. Und dann heißt es: ab in die Ganztagsschule und eine allseitig gebildete Persönlichkeit werden!

Was an all dem falsch sein soll? Nichts. Und alles: Vater, Mutter, Kind. Dazwischen hat die Regierung nichts verloren. Die staatliche "Liebe zum Kind" müssen wir uns verbitten. Es sind nicht seine Kinder, sondern unsre. Der Staat - das sind nicht wir.


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