Jetzt werden viele in der PDS und viele, die mit ihr sympathisieren oder sie nur wählen, von ihren Kränkungen reden. Vielerlei Kränkungen werden durcheinander wirbeln - die Ermordung Rosa Luxemburgs, die Leichenschändung an der DDR, die Rolle der SPD im Kalten Krieg, das Rentenunrecht ... - Die schlimmste Kränkung aber ist immer die letzte. Die haben ihnen Petra Pau und Gabriele Zimmer zugefügt: Jetzt soll auch noch die - um es mit den Worten der SED-Geschichtsschreibung zu sagen - "Aufhebung der Spaltung der deutschen Arbeiterbewegung", die Gründung der SED, falsch gewesen sein!
Die Spaltung war das Schlimmste, ein Schmerz, tief aus dem 19. Jahrhundert her, ein Versagen, das den Faschismus als Staatsmacht möglich machte. Die "Einigung der Arbeiterklasse" war das Größte - Auferstehung, Erwachen aus dem Koma, Überschreiten der Schwelle zum Goldenen Zeitalter des irgendwann kommenden Sieges. Nur eben, dass keine "Aufhebung" mit der Vereinigung von SPD und KPD in der Ostzone stattgefunden hat, nicht einmal eine "Einigung", nicht der Gewinn neuer Qualitäten linker demokratischer Politik. Sie setzte nicht nur viele Sozialdemokraten ins Unrecht, kriminalisierte sie und schloss sie von politischer Beteiligung aus. Sie führte auch stracks zur Partei neuen - das heißt stalinistischen - Typs, zum Anfang vom Ende.
Natürlich wäre es schön, wenn das nicht die Wahrheit wäre. Aber es ist sie: Vergebens die schmerzhafte Parteidisziplin, die ewige Selbstkritik, der Glaube an die kollektive Weisheit, das anstrengende Pathos, der Kult um die Führung. Vergebens das Leid der Unterwerfung. Vergebens die Jahre. Würde eine Parteivorsitzende einer demokratischen sozialistischen Partei diese Wahrheit heute nicht sehen und sagen, müsste man sie in ihr Dorf zurückschicken. Denn sie gefährdete das offene linke Projekt. Ihr bloße Taktik zu unterstellen, ist einfältig. Für einen kleinen Gewinn - etwa dafür, dass Peter Strieder netter zu Petra Pau ist - nimmt man nicht die Kränkung so vieler Mitstreiter und Wähler in Kauf. Schon gar nicht Gabriele Zimmer, die sich bekanntlich von Koalitions-Visionen nicht um ein Grad erhitzen lässt.
Wenn das, was jetzt die "Entschuldigung" von Pau und Zimmer genannt wird, Taktik gewesen wäre, müssten sie freilich auch in ihre Dörfer zurückgeschickt werden - nach Hellersdorf die eine, die andere nach Hinternah - wegen politischer Naivität. Solche Taktik wäre die Einladung an Schröder, Müntefering und Thierse, sich den kleinen, linken Widerpart doch gleich ganz vom Halse zu schaffen - ein Signal zur Selbstaufgabe. Jeder, der die Sozialdemokraten nicht einfach für dämlich hält, kann sich ausrechnen, dass sie an der Selbstentleibung der PDS kein Interesse haben können, ums Verrecken nicht. Die Reaktion Münteferings auf den Pau/Zimmer-Auftritt - "geht nicht weit genug" - sollte man deshalb nun nicht gleich als diabolische Aufforderung missverstehen, auf einer Schleimspur der SPD entgegenzukriechen. Der Mann benennt einfach den Sachstand, und er benennt ihn kühl: Ihren Parteivorstand konnten Pau und Zimmer offenbar für den Abschied von einer Illusion - die Gründung der SED, diese Gründung, in dieser "revolutionären" Art und Weise sei historisch notwendig, zwangsläufig, mithin "richtig" gewesen - nicht gewinnen. Wahrscheinlich haben sie es nicht einmal versucht. Ihre Partei können sie schon gar nicht dafür gewinnen. Das Fundament einer eigenen linken demokratischen Tradition der vergangenen zehn Jahre ist noch zu schwach, als dass die Mitgliedschaft leichten Herzens auf obsolet gewordene Gewissheiten, auf gruppenpsychologisch stabilisierende Mythen verzichten könnte.
Deshalb sagen Pau und Zimmer, sie hätten keine Bewertung für alle getroffen. Das ist erstens eine Binse für eine Partei mit dem Selbstverständnis der PDS (und die innerparteiliche Demokratie bricht nicht gleich zusammen, wenn ein bis zwei Vorsitzende für sich selber sprechen), und zweitens ist es realistisch. Wer den Gründungsmythos der SED braucht, um sich mit der Staatsmacht anzulegen, soll ihn doch behalten. Zimmer will niemandem seine DDR ausreden - sich selber auch nicht. Die PDS ist nicht in der kommoden Lage, auf gute Leute verzichten zu können, nur weil sie vielleicht (noch?) auf einen sozialistischen Quantensprung der Weltgeschichte hoffen. Sie kann auch nicht auf Leute verzichten, die eigentlich nur Minister werden wollen, was doch auch irgendwie irre ist. Sie verzichtet ja nicht einmal auf einen Querdenker, der meint, eine vornehme Aufgabe dieser Partei sei es, Mitgliedern, die er für Stalinisten hält, den Aufenthalt in diesem Verein zu vergällen!
Zorn erregt vor allem der Satz der Parteivorsitzenden, man erwarte nicht von der SPD, dass sie nun ihrerseits Abbitte leiste. Und was ist mit Ebert, Noske, Scheidemann? Und dem SPD-Ostbüro? Und dem widerlichen Hass auf alles, was DDR war? Was soll damit sein! Das steht eben auch in der Geschichte, und die wird keiner los, sondern kriegt sie irgendwann zurück. Es hat jedoch keinen Sinn, in den Ritualen des Kalten Krieges wechselseitig "schuldig!" zu rufen und Sühne zu fordern. Auf die Dauer wird es unmöglich, über eigenes Versagen zu sprechen, wenn der politische Kontrahent das triumphierend als Schuldeingeständnis beziehungsweise Entschuldigung verbucht. Zimmer sagt nicht mehr und nicht weniger, als: Lassen wir doch diese alten Reflexe! Hören wir doch damit auf! Sie will nicht in dem von André Brie gestarteten PDS-Entschuldigungsmarathon mitlaufen (in dessen Zieleinlauf das absurde Plakat "Keine Entschuldigung für unseren sozialistischen Anspruch!" hing), sondern ihn absagen. Die Partei ist schwach genug, sich das leisten zu können.
Soll sich die PDS überhaupt noch für ihre Vorgängerin verantwortlich fühlen? Sie hat von deren 2,1 Millionen nur noch 95.000 Mitglieder, und die waren nicht alle in der SED. Manche sind sogar neu. Jedenfalls sind sie - wenn sie es denn waren - keine Bonzen mehr und üben, oft qualvoll, seit zehn Jahren ein neues Politikverständnis ein. Was die SED betrifft, ist jetzt eigentlich alles gesagt. Von Petra Pau und Gabriele Zimmer jedenfalls.
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