.„Wieso, weshalb, warum, wer nicht fragt bleibt dumm.“ Der Spruch aus einem Lied der Serie Sesamstraße richtet sich an Kinder im Vorschulalter. Auslandskorrespondenten waren wohl nicht gemeint.
Vielleicht ist der Kampfbegriff „Putinversteher“ instinktiv gar nicht mal so falsch gewählt. Vielleicht ist es sogar entlarvend, wenn sich jemand, indem er das „Verstehen“ als Vorwurf benutzt, sich selbst zum Nicht-Versteher oder Falsch-Versteher macht und damit zugibt, dass er einen Sachverhalt nicht erklären kann. Wer aber etwas nicht erklären kann, ist ein schlechter Ankläger. Eine Anklage, die dem Beschuldigten kein Motiv nachweisen kann, steht auf tönernen Füßen.
Es gibt grundsätzlich zwei (vereinfachte) Modelle, mit denen man die Ukraine-Krise erklären kann. A: USA (plus EU) ist der Aggressor und Putin reagiert. B: Russland ist der Aggressor und der Westen reagiert.
Dem Fall A liegt eine stringente und durch Fakten gut untermauerte Theorie zugrunde. Um es stichwortartig zusammen zu fassen: Export der West-Demokratie, Erhalt der Leitwährung Dollar, Verhinderung von Blöcken, die der einzigen Weltmacht USA Konkurrenz machen könnten, Kontrolle über Rohstoffe.
Diese imperialen, wirtschaftlichen und ideologischen Interessen der USA bzw. des Westens bzw. westlicher Konzerne sind zudem keine Spekulation oder Erfindungen russischer Propagandisten, sondern werden auch ganz offen von US-Strategen vorgetragen. Schon der Titel eines der Bücher des Präsidentenberaters Brzezinski sagt fast alles: „Die einzige Weltmacht: Amerikas Strategie der Vorherrschaft“ (The Grand Chessboard: American Primacy and its Geostrategic Imperatives“). Weltmacht, Geostrategie und Europa als Schachbrett. Die Ukraine in der Schlüsselrolle. Das ist doch mal auf den Punkt gebracht.
Betrachtet man die Ukraine-Krise unter dieser Voraussetzung lässt sich auch Putins Handeln erklären. Man muss sein Vorgehen nicht immer und überall gutheißen, aber man versteht wieso, weshalb, warum. Und nicht nur das Gewesene lässt sich mit der Theorie A erklären, sondern auch das, was uns als nächstes erwartet, lässt sich mit ziemlicher Genauigkeit vorhersagen. Und was passieren soll, passiert.
Das im Westen vorherrschende Narrativ ist allerdings auf B fixiert. Putin sei der aggressive Akteur und dem edelmütigen Westen gehe es ausschließlich darum, Putin zu stoppen und damit den Frieden zu bewahren. Allein, eine stringente Theorie für B gibt es nicht. Die Erklärungsansätze sind erstens widersprüchlich, zweitens grob gestrickt und drittens mit Fakten kaum unterlegt. Die Putin-Nichtversteher präsentieren die folgenden Erklärungsmodelle:
Variante 1: Putin träumt von einem großrussischem Reich
Ein Blick auf die Landkarte könnte helfen. Russland ist schon jetzt ein großes Reich. Ein paar Quadratmeter mehr oder weniger machen da nicht viel. Außerdem glauben das die Putin-Nichtversteher selbst nicht. Katja Gloger widerspricht diesem Erklärungsmodell beispielsweise explizit im Stern. Es gehe nicht um territoriale Expansion, schreibt sie im März.
Variante 2: Putin ist ein autokratischer Herrscher, vielleicht sogar homophob
An dem miesen Image Putins bastelt die Propaganda ja schon seit Jahrzehnten. Wie oft wurde Schröder für sein „lupenreiner Demokrat“ verspottet. Aber mal angenommen, Putin ist ein schlechter Mensch und jemand, der autokratisch herrscht – kann man daraus die „Bedrohung für den Weltfrieden“ ableiten? Ist ein Gesetz, dass Schwulen das Leben schwer macht, ein Indiz für Imperialismus, während gleichzeitig Killerkommandos per Drohne, bei denen der Kollateralschaden auf 90 Prozent geschätzt wird, als unbemannte Friedenstauben gedeutet werden können? Die Frage kann wohl jeder selbst beantworten.
Variante 3: Putin ist Hitler
Streng genommen ist das keine Erklärung, sondern ein Vergleich. Aber es beinhaltet direkt zwei Ansätze. Erstens: Putin ist ein bestialischer Irrer. Das ist die Variante für die einfachen Gemüter. Wenn Putin irrational handelt muss man auch nicht weiter nach dem Wieso, Weshalb, Warum fragen. Das ist dann eben so und gut ist. Problem nur: Selbst Kinder im Vorschulalter könnten da ihre Zweifel haben. Zweitens: Putin will wie Hitler neuen Lebensraum für die Russen erschließen. Nun ja, wieder einmal hilft der Blick auf die Landkarte.
Variante 4: Putin, der kalte Krieger
Der kalte Krieg ist zurück, allein es fehlt der Kommunismus. Das Kalte-Krieger-Argument setzt auf Emotion und tatsächlich mag es in der Westukraine berechtigte Ressentiments geben gegen die „Altlasten“ aus dem Sowjet-Zeitalter. Für eine Theorie des Imperialismus taugt es dennoch nicht. Denn Russland ist zwar westskeptisch und will seine – wie auch immer zu bewertenden – russischen Werte bewahren, aber eben durch Abschottung gegenüber dem Westen, nicht weil es meint, dass die Welt am russischen Wesen genesen soll. Russland ist tendenziell vielleicht nationalistisch, aber es gibt eben nicht die Ideologie, die das Ende der Geschichte und für alle Manna verspricht, wenn sie denn nur erst mal die Welt erobert habe. So war der Kommunismus gestrickt, so ist die westliche Wertedemokratie gestrickt. Putin kann man viel vorwerfen, dass er alle Welt zum Russentum bekehren will, eher nicht.
Variante 5: Nichts genaues weiß man nicht
Viele Anklagen gegen Putin werden als Fragen formuliert. „Was will Putin?“ „Ist Putin noch zu stoppen?“ Warum, weshalb, wieso wird nicht nur nicht beantwortet, sondern das Nichtvorhandensein einer Erklärung wird zum Argument verdreht. Nach dem Motto: Wenn man keine Erklärungen hat, ist eben alles möglich – auch, dass der Russe vor der Tür steht.
Interessanterweise können sich die Putin-Nichtversteher kaum auf eine gemeinsame Theorie einigen. Allen gemein ist jedoch, dass das Argument russische wirtschaftliche Interessen eine untergeordnete bis gar keine Rolle spielt. Na klar, Rohstoffe gibt es ja genug. Rationale Erklärungen, warum Russland ein Krieg nutzen würde, warum Russland eine instabile Ukraine nutzen würde, gibt es nicht. Letztendlich sind es vermeintlich dunkle egomanische Gründe, die die Putin-Nichtversteher da walten sehen, fast schon eine Art verschwörungstheoretisches Konstrukt. Konzentration immer auf Putin, weil man in eine Person eher verschwörische Gedanken hinein interpretieren kann. So als würde nicht auch Lawrow eine Rolle spielen, als würden nur Putins und nicht die Interessen des Landes vertreten.
Aber dass Putin der Aggressor sei, ist das Fundament aller Berichterstattung und allen Expertentums und aller Politik.
Dabei ist es ganz leicht, wenn man sich vom herrschenden Narrativ löst. Nicht so, dass Putin ein Heiliger wäre, aber die Krim war nicht Expansionsdrang, sondern die Verteidigung russischer Interessen als Antwort auf westlichen Expansionsdrang. Fraglich die Methode, aber aus Versteher Sicht logische Konsequenz. Hätte Putin die Krim nicht abgesichert, hätten die edlen Maidan-Freiheitskämpfer, bestehend aus Banderas und CIA-unterstützten Söldnern höchstwahrscheinlich auch auf der Krim mit Streichhölzern gespielt. Und wenn sie nun – trotz Verträgen – den Abzug der russischen Militärs gefordert hätten? Ist der Gedanke so abwegig, der Westen hätte solche Forderungen als legitimen Volkswillen anerkennen können? Hat der Westen nicht schon in Kiew und auch früher gezeigt, dass er sehr auslegungsaffin ist, was Demokratie betrifft, und auch mal den vermeintlichen Volkswillen über die ukrainische Verfassung stellt? Hätte Putin solch einem Westen wirklich trauen sollen?
Russland handelt absolut rational. Obama übrigens auch. Obama verstehen heißt aber nicht, seine Politik rechtfertigen. Ganz im Gegenteil.
Kommentare 10
|| Ist ein Gesetz, dass Schwulen das Leben schwer macht, ein Indiz für Imperialismus (...) ? ||
Nein nein. Im Gegentum. Gesetze, die Schwulen das Le(s)ben leicht machen, sind Imperialismus. Gibt's gute Bücher zu, wie ich lerne.
Meines Erachtens ist das der Versuch, auch gegen Putin eine Art Psychokrieg zu inszenieren. Der Mainstream legt Fundamente für eine Haßkampagne, die ja gegen Saddam Hussein, Gaddafi, Anwar el Saddat etc. mit großem Erfolg zu militärischen Einsätzen und failed states geführt hat. Nein, bei Saddat läuft es offenbar nicht so geschmeidig.
Dass dir der saure Würfelhusten die Speiseröhre hochkriecht, weil ich einen Satz herauspicke, der meine jämmerliche Existenz ganz unmittelbar betrifft, nehme ich zur Kenntnis, du Lieber.
Super Artikel.
Als ergänzende Erklärung würde mir vielleicht noch Projektion einfallen. Die sogenannten Experten und Freiheitsmissionare haben ja auch schon mal was von Begriffen aus der bösen "Verschwörungstheorie" wie "false-flag-operations", "geopolitik" etc. gehört, können diese aber nicht sinnvoll in ihre eigenen wertefixierten Erzählungen integrieren und projizieren sie deshalb auf Putin und die Russen.
Die eigene, jämmerliche Existens. in den Mittelpunkt zu stellen erscheint mir als vulgär.
Das betrifft mich ebenso wie dich....., Schätzchen.
klar, nur mit dem Unterschied, dass es Janto nicht tut.
Ganz im Gegensatz zu Putin, wenn er sich selbst und durch andere feiern lässt.
Schnuckelchen, ich kann nicht erkennen, durch Verneinung Mos friedfertiger Frage und durch Verweis auf eine Buchempfehlung meine Existenz in den Mittelpunkt gestellt zu haben. Deine Wahrnehmung verzerrt sich zusehends. Komm mal klar.
Kommt mal zurück zum Thema. Der persönliche Streit wird ab sofort eingeklappt.
Werden sie jemals begreifen, das mir jede an mich gerichtete Äußerung mir zuwider ist?
nee, wozu? Solange Sie sich äußern, müssen Sie mit einer Reaktion rechnen......
Du hast das Thema Homosexualität angesprochen und zum Politikum stilisiert, ich habe Bezug genommen. Was ist falsch..?
Aber klapp ruhig, spricht für sich. Kuntz beendet die Diskussion und Springstein dreht jetzt völlig am Rad. Besser demontieren kann ich das sogenannte Putinverstehen sowieso nicht.
Janto, lies mal: Der persönliche Streit wird eingeklappt. Darunter fällt dein erster Kommentar nicht. Auch wenn der Hinweis auf das Buch eher in dem Blog angebracht wäre, auf den du dich beziehst.
Zweitens hast du, wenn du behauptest, ich hätte Homosexualität zum Politikum stilisiert, nichts verstanden. Es ist ein Politikum, aber keins, aus dem man geostrategische Absichten ableiten kann.
Am Rad drehen viele. Irgendwie, irgendwo, irgendwann. Und Putin verstehen ist keine Sekte. Folglich kann es sich auch nicht demontieren. Da musst du dir schon die Mühe machen und jeden einzelnen demontieren. Das würde natürlich erfordern, auf die sachliche Ebene zu wechseln. Und damit scheinst du dich gerade schwer zu tun.
Gelbe Karte. Und insgesamt wäre eine gemäßigtere Diskussion sehr wünschenswert.
wenn Verständnis zum political correcten Verhängnis wird dann steht nicht nur augenscheinlich das Denken an sich zu Disposition , sondern der Fachismus auch für der Tür.
Vielen Dank für diesedistanzierte und abstrakte Betrachtung zur Lage der kapitalfundamentalistischen "Leere". Nur so kann den Strategen der prpagandistischen und faschistoiden "Wahrhet" noch der Finger gezeigt werden.
@ JANTO BAN und alle Transatlantik-Versteher
Ach Leute, hättet ihr kommentiert: Lieber MO, trefflich vorgebracht, aber ist nicht schon alles gesagt? Und muß man nicht auch ein bißchen mehr die andere, unsere westliche Seite verstehen? Dann hätte ich gedacht, das sehe ich nicht so, aber meinetwegen bringt diese Sicht ein, und es stimmt ja, es sind alle Argumente auf dem Tisch, jetzt müssen wir uns das Wenige überlegen, was wir tun können. Und ich hätte nicht zur Feder greifen müssen. So aber stellt sich mir die Frage, was wollt ihr eigentlich? Die Debatte so emotionalisieren, daß sie jegliche Außenwirkung verliert? Hier mein Vorschlag zur Güte, um auszuloten, ob es noch einen gemeinsamen Nenner gibt.
Die Ukraine ist und bleibt voraussichtlich noch lange ein Hauptthema der Weltpolitik, das Elend in unserem europäischen Haus und das größere Elend vor unserer europäischen Haustür. Hoffentlich hat nicht endgültig das große Sterben begonnen. Ich verstehe ja die Community-Mehrheit, die meint, man müsse der nicht monolithischen, aber doch erschreckend einseitigen bis bösartigen Propaganda der Mainstream-Medien entschieden entgegentreten. Aber man sollte dabei nicht übertreiben. Ich verstehe also auch die Mehrheitskritiker, die von einer linken schwarz-weiß-Zeichnung genervt sind. Aber man sollte dabei ebenfalls nicht übertreiben. Putin ist weder Engel noch Teufel, am ehesten ein machtbewußter Opportunist, der auf der Mehrheitsmeinung einer rückständigen Zivilisation schwimmt (vor ein paar Jahrzehnten ging es in unserer Zivilisation den Schwulen ähnlich wie heute in Russland), Putin ist ein Opportunist wie unsere Angela (nur entschieden konservativer), was heute in der Ukraine passiert, wurde nicht nur weise vom Kreml vorausgesehen, sondern ist auch ein wenig self-fulfilling prophecy.
Die Amerikaner andrerseits sind keine Teufel, die westlichen Demokraturen vielleicht den außerwestlichen Diktatien vorzuziehen. Aber man sollte nicht die Maßstäbe verlieren. Die böse Annexion der Krim hat meines Wissens kein einziges Todesopfer gefordert. Für die hunderttausende Toten im Irak, in Syrien (Libyen ist zum Glück dünner besiedelt) steht die amerikanische, englische, französische Administration in der Verantwortungshierarchie ziemlich weit oben. Demokratie und Menschenrechte fordern, verbrannte Erde, Elend und Hass hinterlassen. Da ist es dann doch ein bißchen lächerlich, den Schurken in Moskau zu orten.
Können wir uns nicht darauf einigen, daß wir 1. auf extreme Freund-Feind-Zuordnungen verzichten, die Maidan-Führung so wenig dämonisieren wie Putin, auch sie muß verstanden werden. Da sehen wir dann doch mehrheitlich wohl eher Bekloppte und emotional Entgleiste als brutale Faschisten. Wenn wir abrüsten wollen, dann auf allen Seiten (auch in der Community). 2. Fehler zunächst einmal bei „uns“, in der Politik des Westens suchen, nicht bei den Anderen. Dann ist eine etwas unausgewogen selbstkritische Haltung (die Putin Putin sein läßt) durchaus berechtigt, schließlich wollen wir Einfluß auf die Politik nehmen, d.h. zuallererst, am ehesten erfolgversprechend, Einfluß auf unsere Repräsentanten. Die müssten den Kiewer Konfrontationskurs ausbremsen, ohne Gewähr, aber mit der Hoffnung, daß die Gegenseite das auch tut. Da mit politischer Vernunft unserer Regierung nicht zu rechnen ist, könnte man 3. auf eine alte Idee von Oskar Lafontaine zurückgreifen, die nie realistischer war als heute. Deutschland und andere europäische Länder sollten sich einvernehmlich, mit Handschlag, von den lieben Verbündeten der Nato verabschieden, da diese Organisation schon lange nicht mehr in unserem Interesse handelt. Verbunden mit der Forderung nach deutlicher Reduzierung der Rüstungsausgaben würde das Sympathien in der Bevölkerung bringen und den Beifall von rechtsradikalen Irrläufern akzeptabel machen, man bedenke, welchen Beifall wir mit der Anerkennung der militärischen Kumpanei in Kauf nehmen müssen.
Wer die Punkte 1. und 2. unterschreiben kann, sollte sich an einer produktiven Diskussion über Einschätzungen und das Machbare einbringen. Wer die Zustimmung aus tiefstem Herzen verweigern muß, sollte ein eigenes Diskussionsforum eröffnen, denn eine Verständigung ist so gut wie ausgeschlossen. Wir müssen uns nicht einig sein, aufs Angiften sollten wir verzichten können.
"Variante 5: Nichts genaues weiß man nicht
Viele Anklagen gegen Putin werden als Fragen formuliert. „Was will Putin?“ „Ist Putin noch zu stoppen?“ Warum, weshalb, wieso wird nicht nur nicht beantwortet, sondern das Nichtvorhandensein einer Erklärung wird zum Argument verdreht. Nach dem Motto: Wenn man keine Erklärungen hat, ist eben alles möglich – auch, dass der Russe vor der Tür steht."
Und jetzt sind wir 3 Wochen weiter und die selbsternannten Putinerklärer haben immer noch keine Erklärung! Wie erklären sie sich ihre Meinung selbst?
Noch im persönlichen Gespräch gestern habe ich auf meine Frage die Antwort bekommen: Putin ist gefährlich!
Meine Meinung, dass man sich in der Politik keine Kindergartenmanier "mit der/dem rede ich nicht" leisten kann, blieb ohne Echo. Frau Merkels fraglose, kommentarlose Mitlaufpolitik findet man nicht gefährlich. "Nichts" ist ja auch nicht zu erkennen.
und: Frau Merkel ist schlau, sie weiß was sie will.
Punkt.