Einheit Deutschlands war 'ne linke Forderung!

Empathie f.Einheit! Als ob die Gleichung gelte: gespalten=links; Begeisterung für Einheit = rechts...

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3, 8 Millionen Bürger der SBZ/DDR haben zwischen 1947 und 1989 ihr Land verlassen, 600.000 sind zurückgekehrt. Unterm Strich hat jeder 5. DDR-Bürger seiner Heimat - vor der Mauer etwas gefahrloser als später, aber immer mit Verlust von Hausstand, Freundeskreis, Beruf, immer mit Familientrennung und Abschiedsschmerz, den Rücken gekehrt.
Jahrelang waren es die Linken in Deutschland, die die Teilung aufzuhalten versuchten. Und es war Bundeskanzler Adenauer, der als erster die brutale Gleichung äußerte. "Lieber das halbe Deutschland ganz, als das ganze Deutschland halb."
Der dies schreibt, hat seine westdeutsche Kindheit unter diesen Bedingungen erlebt. Mein Vater wurde im Jahr meiner Geburt, 1950, in kürzester Zeit aus dem Pfarramt an der traditionell linken St. Martini- Gemeinde in Bremen entfernt, weil er sich gegen die Remilitarisierung engagierte. Und dies "obwohl auch Kommunisten beteiligt waren".
Die Bewegung gegen die Wiederaufrüstung war zugleich eine Bewegung gegen die Teilung Deutschlands. Denn es war klar: mit einer eigenen - gar in die Westallianz integrierten Armee des westdeutschen Teilstaates wäre die Spaltung gesiegelt.
Martin Niemöller und nach ihm auch der aus dem Adenauer-Kabinett zurückgetretene Innenminister Gustav Heinemann schlugen eine Befragung des Volkes vor.
Auch wenn wir heute wissen, dass die Volks-Befragung gegen die Remilitarisierung massiv von der KPD beeinflusst und gesteuert wurde und mit Millionenbeträgen aus der DDR finanziert, so ändert diese (teilweise) Fremdsteuerung aus dem anderen deutschen Staat nichts an der Brisanz ihres Ergebnisses. Sie erbrachte 5 917 683 Ja-Stimmen von 6 267 302 befragten Bürgern. Darüber hinaus registrierte der ,,Hauptausschuss" 9781 Polizeieinsätze gegen die Befragungsaktion, 7331 Festnahmen und die Einleitung von über 1000 Gerichtsverfahren. Schliesslich ist das erste Todes-Opfer politischer Polizeiwillkür zu beklagen, der junge Eisenbahner Philipp Müller, der auf der Friedenskarawane in Essen unter Polizeikugeln starb.
Jahre später wurde mein Vater im so genannten "Düsseldorfer Prozess" zusammen mit 6 Mitangeklagten aus dem "Hauptausschuss für Volksbefragung" zu mehrmonatiger Haftstrafe verurteilt, weil damals die politische Strafjustiz der BRD argumentierte, das Eintreten für die Einheit Deutschlands laufe auf eine sozialistische Gesellschaftsordnung und damit nach Deutung der Bundestaatsanwaltschaftuf die Beseitigung der freiheitlich-rechtlichen Grundordnung der BRD hinaus.
Der Gedanke der Einheit Deutschlands spiegelte sich auch in der ersten Verfassung der DDR wider. Artikel 1, Abs.1 lautete:" Deutschland ist eine unteilbare demokratische Republik; sie baut sich auf den deutschen Ländern auf."
Erst Jahre später reagierte die SED auf den Alleinvertretungsanspruvh der westdeutschen "Hallstein-Doktrin" ihrerseits mit Abgrenzungen. Statt " Deutschland" wurde im Laufe der 60Jahre und später immer häufiger das Kürzel des ostdeutschen Teilstaates gesetzt.
Während also noch in der unmittelbaren Nachkriegszeit, die Einheit Deutschlands als Bedrohung der Vorherrschaftsinteressen der Adenauer-Regierung angesehen wurde, wandelte sich die Situation vor allem durch das Auseinanderklaffen der wirtschaftlichen und sozialpolitischen Potenzen beider deutscher Staaten. Im Laufe der Jahre ( v.a. bis zum Mauerbau) flüchten mehr als 20% der Bevölkerung der SBZ/DDR in den Westen und beeinflussten ebenso, wie die nach Adenauers Moskau-Besuch freigelassenen 50.000 Kriegs- und politischen Gefangenen aus Sibirischen Gulags die antikommunistische Grundhaltung "als Staatsdoktrin" im westlichen Teilstaat.
Aber auch aus rein sicherheitspolitischen Gründen war für die SED nach der Entscheidung, das Recht auf Freizügigkeit ( nach Westen) für ihre Bürgerinnen abzuschaffen, die "Abgrenzungpolitik" auf einmal scheinbar existenzsichernd ( aber wie historisch bewiesen wurde: existenzbedrohend) geworden.
Nun wurde es für die Vertreter der kapitalistischen Wirtschaftsordnung ("des rheinischen Kapitalismus) immer leichter, die Formel von der Einheit der Nation zu missbrauchen als Strategie zum Ende des DDR-"Experiment".
Dieses wurde bekanntlich nicht durch Einmarsch von Truppen der Bundeswehr, sondern Implosion des autoritären Staatssozialismus verursacht, komplettiert durch die ersten freien Wahlen, in denen sich das Volk der DDR nach 40 Jahren politische "Beeinflussung" durch die SED mehrheitlich dafür entschied, Kanzler Kohls Versprechungen von den "blühenden Landschaften" mehr zu vertrauen, als all jenen, die einen dritten Weg einer demokratisierten DDR befürworteten.
Der Jubel bei der Öffnung der Mauer war für Millionen echt, genauso wie die nachdenklichen Töne, dass damit ein eigenständiger Weg für eine demokratischere DDR wohl unmöglich wurde.
Aber der widernatürliche Riss - durch die mindestens jede 5. deutsche Familie getrennt wurde- war überwunden, ein ungerechtes Wirtschaftssystem dagegen noch lange nicht.
Im Gegenteil und umgekehrt, gerade weil mit Mauer, Stacheldraht und Todesschüssen der Sozialismus sowohl östlich der Mauer als auch seine Ideen westlich der Mauer auf Jahrzehnte diskreditiert wurden, deshalb ist die Mauer einer der wichtigsten Stolpersteine und Hemmschuhe für eine fortschrittliche Entwicklung in Mitteleuropa geworden.
Daran alles muss ich heute denken. Am Tag der deutschen Einheit. Dass die Einheit vollzogen wurde, freut mich.
Dass der Begriff " Sozialismus" auf diesem Wege so bis zur Unkenntlichkeit verunstaltet, missbraucht und mit negativen Erinnerungen besetzt ist, macht mich traurig und wütend. An der Notwendigkeit und Berechtigung, sich für eine solidarische, ökologische und friedlichen Zukunft dieses wieder-vereinten Landes ändert es nichts.

Der Text erschien zuerst auf www.oberhof.blog.de

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Geschrieben von

MathisOberhof

Autor des Buches : REFUGEES WELCOME - Geschichte einer gelungenen Integration - So können Sie Flüchtlingen helfen - Ein Mutmachbuch", verh., 3 Söhne,

MathisOberhof

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