WAS FÜR EIN SCHÖNER SONNTAG! Gauck, Semprun, und Buchenwald

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Lieber Herr Bundespräsident,

„Was für ein schöner Sonntag!“… war gestern.

Millionen in diesem Land genossen die ersten Sonnenstrahlen, holten Fahrrad oder Motorrad raus, machten den ersten Frühjahrsspaziergang oder richteten den Garten her.

Vom Eise befreit und endlich Sonne.

Gut 1200 Politiker und Politikerinnen und andere Prominente kamen an diesem Tag auch zusammen, um nun Sie als unser 11. Staatsoberhaupt zu wählen, den ersten Kandidaten, der von (außer der LINKEN) allen Bundestagsparteien gemeinsam nominiert war.

Was für ein schöner Sonntag! Diesen Titel des auf- und anrührenden und vielleicht wichtigsten Buches von Jorge Semprun haben sie gleich mehrmals in ihrer ersten Rede nach der Wahl zitiert. Leider haben sie diesen so wichtigen Zeugen des „Jahrhunderts der Extreme“ (Eric Hobsbawn) als Autor nicht genannt.

Ich bin mir unsicher, ob sie es nicht wussten oder nicht wollte. Was ich in beiden Fällen sehr bedauerlich fände.

Jorge Semprun, saß wie Stephane Hessel, wie Willi Bleicher, der legendäre IG-Metall-Führer aus Baden-Württemberg, wie Rudolf Breitscheid, Edouard Daladier und Leon Blum, Elie Wiesel und Eugen Kogon, wie Dietrich Bonhoeffer und Ernst Thälmann im KZ Buchenwald ein.

Aus dieser Zeit berichtet Sempruns Abrechnung mit faschistischer wie stalinistischer Barbarei.

Wie auch Leon Blum lässt Semprun Goethe, die Stätte monströser deutscher Barbarei in Buchenwald, besuchen.

Aber im KZ lernt der Kommunist Semprun auch als Beauftragter der illegalen Lagerleitung, die von Kommunisten beherrscht wird, die Mechanismen der Unmenschlichkeit kennen, die zwei Genossen der Lagerleitung konsequenterweise nach der Befreiung als Angehörige der DDR-Volkspolizei in der Welt des Zwangsverbleiben lassen, um unter stalinistischen Vorzeichen die Grausamkeiten fortzuführen, die die Nazis ihnen aufgezwungen hatten.

Auch an der Person des Mithäftlings Josef Frank, der später in den widerlichen tschechoslowakischen Slansky-Prozessen als sogenannter „Agent“ von den eigenen Genossen hingerichtet wird, arbeitet Semprun sich ab, um schließlich ein eigenes Kapitel jenen sowjetischen KZ-Insassen zu widmen, die nach der Befreiung von ihren sowjetischen genossen sofort nach Sibirien gebracht wurden, wo viele den Tod fanden, weil sie im Kampf mit den Faschisten nicht den Tod gesucht hatten, und schon deshalb Verräter sein mussten.

Das Buch zeigt einen Jorge Semprun „nicht als ausgeklügelt Buch, sondern ein Mensch in seinem Widerspruch.“ (C.F.Meyer).

Sie selbst dagegen beschreiben in ihrer Autobiografie „Winter im Sommer – Frühling im Herbst“ auf Seite 41, dass nach der willkürlichen Verhaftung Ihres Vaters, dem Geheimprozess vor dem Sowjetischen Militärtribunal Schwerin und der Verbannung in ein sibirisches Gulag - alles ohne die geringste Information an die Familie, ihre Mutter die „Pflicht zur unbedingten Loyalität gegenüber der Familie“ verlangte, die „auch die kleinste Form der Fraternisierung mit dem System aus“ ausschloss. Das kulminiert in ihrer Jugenderinnerung: „Dafür lebte ich in dem moralisch komfortablen Bewusstsein: Wir sind die Anständigen.“

Die neostalinistische JUNGE WELT hat sich in ihrer Ausgabe vom 17.3.2012 nicht geschämt, das grausige Erlebnis ihres Vaters, der erst 1956 durch Adenauers Moskau-Besuch frei kam, zu verteidigen, bzw. zu verharmlosen, wenn sie schreibt:

(Gauck) „selbst kokettiert damit, dass er »Antikommunist« sei, weil ein sowjetisches Militärtribunal 1951 seinen Vater ins Gefängnis steckte – es wird aber gar nicht erst hinterfragt, was Vater Gauck als hoher Nazioffizier angestellt hat. Dass er zu 25 Jahren Haft verurteilt wurde, lässt jedenfalls auf ein Kriegsverbrechen schließen – die Gerichtsakten sind zurzeit allerdings nicht zugänglich.“

Das ist aus dreierlei Hinsicht infam: Erstens war 25 Jahre Haft das Urteil, das fast alle 40.000 durch sowjetische Militärtribunale (SMT) verurteilte Bürgerinnen und Bürger der SBZ/DDR erhielten, wenn sie nicht unter die 2300 Unglücklichen fielen, denen gleich ein Todesurteil ausgesprochen wurde, zweitens wurde 99% aller SMT-Urteile, die mit Spionage begründet wurden, nach 1990 vom russischen Generalstaatsanwalt als unbegründet aufgehoben und drittens: Aus der Geheimhaltung der Gerichtsakten durch die Nachfolger der Sowjetischen Rechtbeuger, einen Schuld-Beweis abzuleiten, dazu gehört schon ein gewaltig Maß an Menschenverachtung:

Und trotzdem:

Das Unrecht, das ihrem Vater zugefügt wurde, macht Sie – ich vermute, das sehen sie auch so – nicht automatisch zu einem „Anständigen“.

So wie das Unrecht, dass von Nazis zu gefügt wurde, nicht automatisch zu einem anständigen Antifaschisten machte, wie Jorge Semprun in seinem Buch „Was für ein schöner Sonntag“ nachweist.

Leider erwecken ihre Reden mitunter diesen Eindruck der Einseitigkeit.

Am Sonntag sprachen sie zwar - als sie ihre eigene Wahl durch 12 Hundert Wahlmänner und Wahlfrauen mit der ersten freien Volkskammerwahl durch knapp 12 Millionen Menschen verglichen - von den „Diktatoren der DDR“. Jene die Buchenwald und Auschwitz schufen, haben sie nicht erwähnt. Eines der Millionen Opfer, den Autor den Satzes „Was für ein schöner Sonntag!“, Jorge Semprun, auch nicht. Er hätte es verdient. Ich bitte sie ernsthaft, in Zukunft auch diesen Teil der deutschen und europäischen Geschichte mit zu denken.

Als Angehöriger der gleichen christlichen Glaubensgemeinschaft - sie als protestantischer Pfarrer, ich als Sohn eines evangelischen Pfarrers, sollte uns das Wort Jesus Christus' aus Matthäus 25, Vers 40 verbinden: "Was ihr getan habt einem unter diesen meinen geringsten Brüdern und Schwestern, das habt ihr mir getan."

Eintreten für die Entrechteten UND die Hungernden, das war für den, der unserer Religion seinen Namen gab, nie umstritten.

Mit freundlichen Grüßen
Mathis Oberhof
Wandlitz

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Geschrieben von

MathisOberhof

Autor des Buches : REFUGEES WELCOME - Geschichte einer gelungenen Integration - So können Sie Flüchtlingen helfen - Ein Mutmachbuch", verh., 3 Söhne,

MathisOberhof

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