Rami Hassans Blick ist auf die kahlen Berge gerichtet, die die Umgebung seines kleinen Dorfes im Süden des Libanon dominieren. Der junge Oberstufenlehrer schaut auf ein kleines Wäldchen und verstreute Dörfer: Von 1986 bis 2000 kämpfte die Hisbollah von der Spitze dieses Berges aus gegen die israelische Armee – ein einsamer Vorposten, umgeben von feindlichen Stellungen.
Heute befindet sich auf dem Gelände des ehemaligen Stützpunktes ein „Museum des Widerstands“, mit einer Ausstellung über den seit mehr als zwei Jahrzehnten tobenden Konflikt zwischen der zur politischen Partei gewordenen libanesischen Schiitengruppe und dem Staat Israel.
Während Hassan an der Brüstung des gepflasterten Hügels lehnt – ein kleiner Platz, knapp 1.000 Meter über dem Meeresspiegel, der den gesamten Komplex überragt –, lächelt er und weicht der Frage nach den Kosten der 60.000 Quadratmeter umfassenden Anlage aus: „Es war ein Projekt, das mit Blut bezahlt wurde“, sagt der Mann, der in seiner Freizeit als Pressesprecher des Museums tätig ist. Er verweist auf die 1.714 Kämpfer der Hisbollah (oder die Märtyrer, wie er sie lieber nennt), die im Krieg ihr Leben ließen. Die weiße Treppe, die auf den Hügel führt, soll deren Aufstieg als heilige Krieger in den Himmel symbolisieren.
Die Anlage, 2010 nach dreijähriger Bauzeit eröffnet, hat mehrere Tausend Besucher pro Woche. Sie verfügt über einen Konferenzsaal und einen großen Parkplatz. Ein Restaurant und ein Hotel sind noch in Planung. Neben der Teilnahme an einer Führung durch die Bunker und Gänge, die von den Kämpfern der Hisbollah während des Krieges benutzt wurden, kann man die Installation „Der Abgrund“ besichtigen: In einem runden Krater werden während des Krieges von 2006 erbeutete israelische Panzer mit verbogenen Kanonenrohren und andere erbeutete militärische Geräte präsentiert. Es gibt einen großen Friedhof mit Gräbern, die israelischen Soldaten zugeordnet sind, um die „Niederlage“ Israels zu versinnbildlichen.
Kino, Malerei, Theater
Mleeta, so der Name des Widerstandsmuseums, steht für eine neue Strategie der Hisbollah, ihre Version der Geschichte des langwierigen Konflikts zu vermitteln. Nach dem Rückzug der israelischen Armee aus dem Süden des Landes im Jahr 2000 entwickelte man diese neue Taktik. „Damals hielten unsere Führer ein Museum für ein wirkungsvolles Mittel“, erklärt Hassan. „Wir wollten einen Ort, der für sich selbst sprechen kann“, ergänzt der Bildhauer Ali Abu Haidar, einer von 50 Künstlern und Architekten, die Mleeta geschaffen haben. Es ist das bislang größte Projekt eines Programms, das alle Kunstformen umfasst (Film, Musik, Malerei und Theater) und das für die religiösen und politischen Ansichten der Organisation werben soll.
„Wir versuchen, eine militärisch-künstlerische Gemeinschaft zu schaffen“, erklärt Hassan Badreddine. Er leitet das vor drei Jahren gegründete Kunstkomitee Resalat, das eng mit der Hisbollah verbunden ist. Resalat engagiert sich in der grafischen Kunst und Videoproduktion. Es gibt Filme über Familien, die unter der israelischen Besatzung leiden, und Dokumentationen über die südliche schiitische Vorstadt von Beirut, die von den Israelis während des Krieges sehr schwer bombardiert wurde. Der 22-jährige Charbel Barakat erinnert sich noch daran. „Alles war dem Erdboden gleichgemacht. Überall roch es nach Verwesung. Ich war glücklich, dass wir die Israelis besiegt hatten und gleichzeitig traurig über den Tod und die Zerstörung.“ Barakat ist einer der beiden Gründer des Beiruter Grafikdesignstudios für Catchy Arts, bei dem Resalat manchmal Arbeiten in Auftrag gibt, aber er ist alles andere als ein gewöhnlicher schiitischer Hisbollah-Unterstützer.
Barakat ist Christ und stammt aus Marjayoun, einer Stadt, in der sich früher das Hauptquartier der Südlibanesischen Armee (SLA) befand – der mit den Israelis verbündeten Miliz, die von 1982 bis 2000 Teile des Libanon kontrollierte. Die gemeinsame Erfahrung der israelischen Besatzung habe Christen und Schiiten zusammengeschweißt, sagt Barakat, zumindest im Süden des Libanon. „Ich bin Christ, aber ich teile die Ziele des Widerstandes“, erklärt er und zeigt eine Reihe von mit Koranversen verzierten Märtyrerporträts, die sein Studio für die Hisbollah angefertigt hat. „Mit dieser Art von Kunst sollen die Köpfe der Menschen gewonnen werden. Der Widerstand hat eine militärische wie auch eine psychologische Seite.“
In einem Land, das immer noch schwer an seiner Vergangenheit trägt, kommt das nicht immer gut an: Christliche, schiitische, sunnitische, drusische und palästinensische Milizen waren an den Gewaltexzessen während des Bürgerkrieges zwischen 1976 und 1990 ebenso beteiligt wie die Armeen Israels und Syriens. Die Versöhnung zwischen den verschiedenen Gruppen ist schwierig. Und das Ansehen, das die Hisbollah sich durch das Überstehen des israelischen Angriffs 2006 in der arabischen Welt erworben hat, ist im vergangenen Jahr stark geschwunden, als die Organisation ihrem strategischen Partner, dem Regime Assads, die Treue hielt, obwohl der syrische Präsident äußerst brutal gegen die eigene Bevölkerung vorging. „Egal, was wir machen, es wird immer einen Teil der Bevölkerung geben, der uns nicht versteht – allein, weil wir die Hisbollah sind“, sagt Badreddine vom Kunstkomitee Resalat nur.
Die Organisation weiß, dass sie in einer politisch polarisierten Umgebung agiert, und versucht, das spielerisch aufzugreifen. Der Drehbuchautor Ghassan el Haji etwa macht sich in seinen Sketchen über Probleme der libanesischen Gesellschaft lustig: den Mangel an Solidarität zwischen den Bevölkerungsgruppen, das Gezänk zwischen den Parteien, die Untersuchung der Ermordung des ehemaligen Premierministers Rafik Hariri, die Unterstützung Saudi-Arabiens für die Sunniten und die der Iraner für die Hisbollah. „Wir versuchen, uns auch über uns selbst lustig zu machen“, sagt Haji und redet dann gleich von seinem nächsten Projekt, einem Film über die Ursprünge al-Qaidas, in dem auch die anfängliche Unterstützung Saudi-Arabiens und des Westens für Bin Ladens Organisation thematisiert werden soll.
„Ich habe nicht vor, die Meinung von irgendjemandem infragezustellen, ich möchte lediglich Fakten präsentieren“, betont Haji. Er hat viele Jahre in Großbritannien verbracht und sei, wie er sagt, froh über die jüngsten „Veränderungen in der angelsächsischen Haltung“ gegenüber dem Nahen Osten und dem Konflikt zwischen Israel und der Hisbollah. Deren kulturelle Offensive geht mit einer „arabischeren Haltung“ der Kunst gegenüber einher. Das ist in einem Land, in dem sich viele Menschen noch immer als „Phönizier“ verstehen, nicht selbstverständlich.
Der Violinist Ali Hassan sitzt in einem leeren Klassenzimmer des Beiruter Konservatoriums, der 33-Jährige trägt Bart und stammt ursprünglich aus Baalbek – dem Geburtsort der Hisbollah. Er habe die Ideen der Gruppe bis 2006 nicht geteilt, erklärt er. „Während des Krieges haben die Künstler viel verloren, vor allem die Hoffnung. Die meisten gingen ins Ausland und kehrten nie zurück.“
Hassan spielte damals im berühmten West-Eastern-Divan-Orchestra von Daniel Barenboim und Edward Said – es besteht aus israelischen und arabischen Musikern.
Hilfe aus dem Iran
Hassan entschloss sich aber unmittelbar nach dem Ausbruch des Konfliktes, gemeinsam mit sechs anderen libanesischen Musikern auszutreten. „Die ersten beiden Jahre spielte ich gerne im Orchester, aber dann konnte ich nicht so tun, als sei zwischen Israel und dem Libanon nichts vorgefallen”, sagt er. Damals verließ er auch das Orchester des Konservatoriums aus Protest gegen ein zu westlich orientiertes Programm, das der arabischen Musik zu wenig Beachtung schenke. „Es wird Zeit, dass die Muslime sich für ihre Kultur einsetzen und zeigen, dass sie Teil dieses Landes sind”, sagt er. „An den Universitäten sind alle Spitzenposten mit Leuten besetzt, die vollkommen in der westlichen Kultur verankert sind. Selbst im Konservatorium wurden die Arbeiten vieler libanesischer Musiker vom Lehrplan genommen.“
Hassan glaubt, dass die Hisbollah es schaffen kann, die Gesellschaft in einem tief gespaltenen Land zusammenzuhalten. Die Hinwendung der Organisation zur Kunst wäre allerdings nicht ohne die Hilfe ihres alten Verbündeten Iran möglich gewesen. Wenige Monate nach der Eröffnung des Museums 2010 wurde in Teheran das erste „Internationale Kunstfestival des Widerstands“ veranstaltet, natürlich auch mit Teilnehmern von Mleeta.
Im gleichen Jahr hat der Iran einer südlibanesischen Grenzstadt einen Freizeitpark finanziert, der auf einem Hügel direkt an der „Blauen Linie“ liegt, die die Grenze zwischen Israel und dem Libanon markiert. Mit zahlreichen Plattformen ausgestattet, auf denen man grillen kann, einem Nachbau des Jerusalemer Felsendoms mit Wachtürmen und einem Freizeitgelände, ist der Park an den Wochenenden Ausflugsziel Dutzender Familien, die hier ihr Mittagessen genießen, während sie auf ein israelisches Dorf hinabblicken, das auf der anderen Seite der Grenze liegt, und die dort vorbeifahrenden israelischen Polizei-Patrouillen beobachten.
Ihr Engagement in Sachen Kunst dürfte der Hisbollah im Ausland allerdings kaum Ansehen verschaffen, zumindest nicht im Westen. Obwohl viele Touristen, die das Mleeta besuchen, aus dem Westen kommen, ist die Kluft zwischen den jeweiligen Interpretationen der Geschichte zu groß. Der „Abgrund“ ist dafür das beste Beispiel: Ein israelischer Panzer steht vor einer golden gestrichenen Wand, an der sein Kanonenrohr zertrümmert wurde. Die Wand ist mit der Unterschrift des ehemaligen Militärkommandanten der Hisbollah, Imad Mughniyeh, versehen, der 2008 in Damaskus durch einen Bombenanschlag getötet wurde. Einer wie er wird an diesem Ort als Architekt des Widerstandes gegen Israel verehrt. Im Westen gilt er als Terrorist, der während des Libanonkrieges in den Achtzigern unter anderem für die Entführung und Ermordung von Hunderten von Ausländern verantwortlich war.
Die westlichen Mächte sind hier durch ihre koloniale Vergangenheit, unglückliche Interventionen in der Region und das Unvermögen, dem Krieg im Libanon ein Ende zu bereiten, diskreditiert. Ein libanesischer Besucher in Mleeta sagt es ganz unverblümt: „Hisbollah hat das für uns getan, was die Vereinten Nationen in vielen Jahren nicht erreicht haben.“
Übersetzung aus dem Englischen: Holger Hutt
Matteo Fagotto lebt als freier Journalist in Beirut und schreibt vor allem Reportagen über den Mittleren Osten und Afrika. Die Fotografin Matilde Gattoni reist in Kriegsgebiete, widmet sich sozialen und ökologischen Themen. Sie veröffentlichte ein Buch über Usbekistan
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