Jedes Jahr, so will es die Tradition, hält der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika eine Rede zur Lage der Nation. Dieses Jahr war Joe Biden an der Reihe. „Wir werden Amerika wieder aufbauen“, versprach der US-Präsident, „und so werden wir den wirtschaftlichen Konkurrenzkampf des 21. Jahrhunderts gewinnen, besonders gegen China.“ Als Beleg für eine neue amerikanische Stärke führte Joe Biden die Halbleiterindustrie an: „Intel wird 20 Milliarden Dollar in eine Fabrik in Ohio stecken – Zehntausende neue Arbeitsplätze! Mit einem Verdienst von durchschnittlich 135.000 Dollar im Jahr!“ Dann begrüßte der Präsident den Vorstandsvorsitzenden von Intel, Pat Gelsinger, persönlich: „Pat ist
st heute Abend übrigens auch hier. Steh mal auf, Pat!“ Der Konzernchef erhob sich und nahm lächelnd den aufbrandenden Beifall der Abgeordneten entgegen.Vier Montage später war das Verhältnis zwischen Gelsinger und den Abgeordneten nicht mehr so harmonisch. „Wenn ich mit meiner Arbeit nicht fertig bin, mache ich nicht Feierabend, und ihr solltet das auch nicht!“, sagte er in einem Interview in Richtung Volksvertreter. „Ich und die anderen in der Halbleiterbranche entscheiden über künftige Investitionen. Wenn wir hierzulande einfach nicht konkurrenzfähig genug sind, dann müssen wir nach Asien oder nach Europa gehen.“Worauf Gelsinger damit anspielte: In der Halbleiterbranche eskaliert gerade der Handelskrieg zwischen China und Amerika. Einigen großen Konzernen bringen die geopolitischen Spannungen einen warmen Geldregen ein. Andere müssen mit ansehen, wie große Teile ihres Marktes wegbrechen. Und Europa und besonders Deutschland stehen vor der schwierigen Entscheidung, welcher Einflusssphäre sie sich anschließen sollen.Gelsinger war unzufrieden mit den Kongressabgeordneten, weil diese bis dahin ein neues Gesetz nicht verabschiedet hatten, den „Creating Helpful Incentives to Produce Semiconductors Act“, kurz CHIPS Act. Auch Chuck Schumer, der Fraktionschef der Demokraten im Senat, warnte seine zögernden Parteifreunde: „Wenn wir nicht schnell handeln, könnten wir Zehntausende Jobs an Europa verlieren.“ Die Sorge war unbegründet: Eine Mehrheit der Abgeordneten stimmte zu und fuhr erst danach in die Sommerferien. Nun werden gut 50 Milliarden Dollar Fördergelder in die einheimische Halbeiter-Erzeugung fließen, der größte Teil davon zu Intel, bis zu 30 Milliarden.Chip-Hersteller können sich gerade aussuchen, von wem sie sich beschenken lassen. Spätestens seit die Automobilproduktion wegen des Mangels an Halbleitern stockte, versuchen die Industriestaaten, Produktionskapazitäten innerhalb der eigenen Landesgrenzen aufzubauen. China, Japan, Indien und Korea, Amerika und Europa, sie alle locken mit Subventionen. Nicht nur aus Sorge um die „Versorgungssicherheit“: Aufgrund der zunehmenden geopolitischen Spannungen wächst die Angst, dass gegnerische Mächte ihre Lieferungen als Druckmittel einsetzen könnten.Auch die Europäische Kommission hat einen „Chips Act“ auf den Weg gebracht. „Chips stehen im Zentrum des weltweiten Technologiewettlaufs“, begründete Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Februar die Initiative. Die Zustimmung des Europäischen Parlaments steht noch aus, aber die Mitgliedsländer dürfen bereits jetzt bezuschussen.Dabei geht es um erhebliche Summen, die Halbleiterfertigung ist äußerst aufwendig und teuer. Die Kosten für eine einzige der geplanten Fabriken in den USA kalkuliert Intel auf 20 Milliarden Dollar. Der Konzern wird auch in Italien und in Deutschland neue Produktionsstätten in Betrieb nehmen. Die italienische Regierung hatte sich im Frühjahr bereit erklärt, „bis zu 40 Prozent“ der Investition von insgesamt fünf Milliarden Dollar zu übernehmen. Die Bundesrepublik wiederum wird etwa sieben Milliarden Euro zuschießen, damit Intel für insgesamt 17 Milliarden Euro eine neue Fabrik in Magdeburg baut.Ein Problem dabei: Solche Beihilfen stärken die Empfänger in der Konkurrenz auf dem Weltmarkt – dies veranlasst wiederum andere Regierungen, ihre Unternehmen zu begünstigen. „Wir wollen nur faire Wettbewerbsbedingungen“, formulierte kürzlich Michael Boll, Lobbyist von Infineon, auf einer Veranstaltung der deutschen Industrie- und Handelskammer. Er verwies darauf, dass Japan eine geplante Fabrik von TSMC und Sony sogar zur Hälfte bezahlt. Die Industrieländer haben sich auf ein Subventionsrennen eingelassen, bei dem ein Gewinner bereits feststeht: marktbeherrschende Konzerne wie Intel, Samsung oder die taiwanesische TSMC.Solche Beihilfen kommen durchaus profitablen Unternehmen zugute. Intel beispielsweise erzielte im Jahr 2021 einen Gewinn von knapp 20 Milliarden Dollar. Die Profite flossen allerdings zu einem nennenswerten Teil nicht in die Forschung oder in die Ausweitung der Produktion, sondern in den Kauf eigener Aktien. Die Rückkäufe treiben die Preise nach oben. Das freut Aktionäre und besonders Vorstandsmitglieder, die entsprechend vergütet werden. So kam Intel-CEO Pat Gelsinger im selben Jahr auf einen Verdienst von schlappen 179 Millionen Dollar.Der Intel-CEO sahnt abDeswegen war der CHIPS Act in den USA nicht ganz unumstritten. „Die Unternehmen sollten wenigstens versichern, dass sie keine Aktien zurückkaufen, keine Arbeitsplätze ins Ausland verlagern und sich an Tarifverträge halten werden“, forderte beispielsweise der US-Senator Bernie Sanders vom linken Flügel der Demokratischen Partei. Andere Abgeordnete wehrten sich dagegen, dass auch ausländische Konzerne Beihilfen erhalten werden.In Europa gibt es eine solche Debatte nicht. Umstritten ist lediglich, wie sich die subventionierten Firmen im Fall einer Lieferkrise verhalten sollen. Die EU-Kommission wünscht sich, dass dann die Länder ihrer Produktionsstätten bevorzugt beliefert werden. Außerdem sollen die Unternehmen über ihre Lagerbestände an Halbleitern informieren, um nötigenfalls umzuverteilen. Die Industrie lehnt das ab.Die Regierungen knüpfen ihre Subventionen kaum an Bedingungen – mit einer entscheidenden Ausnahme. Der CHIPS Act verpflichtet die Empfänger, keine Produktionsanlagen in China zu errichten oder zu erweitern, die Chips mit Strukturgrößen von unter 28 Nanometern herstellen. Forschungseinrichtungen dürfen nicht mehr mit chinesischen Universitäten zusammenarbeiten. Die USA machen Ernst mit der „Entkopplung“ von China, wenigstens im Bereich der Mikroelektronik – und sie üben Druck auf ihre Verbündeten aus, mitzuziehen.In keiner Branche ist die internationale Arbeitsteilung so tief und so spezialisiert. Typischerweise findet das Design der Chips in den USA statt, gefertigt wird in Taiwan und Südkorea, und zwar mit Maschinen aus Westeuropa. Eine einzige Firma auf der Welt, ASML aus den Niederlanden, fertigt die Belichter, mit denen die winzigen Strukturgrößen der Hochleistungschips erzeugt werden. Die strategischen Partner von ASML sind die deutschen Unternehmen Trumpf und Zeiss – wiederum bisher die einzigen weltweit, die die Laser und Objektive herstellen können, die für die modernsten Verfahren notwendig sind.Solche Anlagen verkauft ASML ohnehin nicht nach China. Nun wollen die USA, dass die Firma auch Maschinen der älteren Generation nicht mehr dorthin liefert. Ende Mai kam der Handelsbeauftragte der Biden-Regierung, Don Graves, ins niederländische Veldhoven, besuchte die Firma, der er offenbar zusätzliche Aufträge in den USA in Aussicht stellte. Die niederländische Regierung hat bisher über zusätzliche Exportbeschränkungen noch nicht entschieden.ASML hat das Potenzial zum Präzedenzfall: Wird sich Europa der angestrebten ökonomischen Isolation Chinas anschließen? Auch Südkorea wurde laut einheimischen Medien eine Art Ultimatum gestellt. Bis Ende August solle sich das Land entscheiden, ob es sich einem strategischen Bündnis mit dem Namen „Chip 4“ anschließt. Diese Allianz zur Förderung der Halbleiterindustrie umfasst die USA, Japan, Taiwan – und schließt China aus.In der IT-Branche Deutschlands und der Niederlande nennen viele das Vorgehen der USA gegenüber China provokativ. Das Bündnis „Chip 4“ und der CHIPS Act der USA seien eine stärkere Herausforderung als der Besuch Nancy Pelosis in Taiwan. Deren Reise macht zwar gehörig Schlagzeilen. In der Industriepolitik aber werden gerade Tatsachen geschaffen.
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