Schon in der Koalitionsvereinbarung von 1998 versprach die rotgrüne Koalition ein Informationsfreiheitsgesetz (IFG). Sieben Jahre später ist die Abstimmung im Bundestag erneut verschoben worden. Durch eine gesetzliche Regelung der Auskunftsrechte, wie sie in zahlreichen anderen europäischen Staaten schon existiert, soll das Bürgerrecht auf Information verankert werden. Öffentliche Einrichtungen sind dann verpflichtet, grundsätzlich alle Vorgänge und Akten offen zu legen, die nicht aufgrund von Ausnahmeregelungen weiterhin unter das Amtsgeheimnis fallen. Damit verschiebt sich die Beweislast - nicht mehr die Bürger müssen ihren Wunsch nach bestimmten Informationen begründen, sondern die Behörden, die Auskünfte verweigern.
Von Anfang an sperrte sich die Ministerialbürokratie gegen das IFG. Besonders das Wirtschaftsministerium machte, auch auf Druck des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Bedenken geltend. Widerstand kam außerdem aus dem Verteidigungsministerium. Im Dezember 2000 legte dann das Innenministerium einen Entwurf vor, der allgemein als unzureichend empfunden wurde - kaum überraschend, stand doch das Ministerium unter Otto Schily vor der Aufgabe, die eigene Macht einzuschränken. Der Minister selbst hat mehrmals deutlich Vorbehalte geäußert. Lange passierte bezüglich Informationsfreiheit gar nichts. Die Anschläge vom 11. September 2001 schufen ein politisches Klima, in dem "Sicherheitsbedenken" im Vordergrund standen. Als das ungeliebte Gesetz schließlich zu versanden drohte, schlossen sich verschiedene Journalistenvereinigungen, die Anti-Korruptionsorganisation Transparency International und die Bürgerrechtsgruppe Humanistische Union zusammen und präsentierten einen eigenen Entwurf für ein IFG, den sie im Frühjahr 2004 dem Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse überreichten. "Ohne öffentlichen Druck wäre wahrscheinlich gar nichts passiert", erklärt Manfred Redelfs von der Journalistenorganisation "Netzwerk Recherche".
Im Dezember 2004 wurde zum ersten Mal über das IFG beraten. Ausdrücklich begrüßten es damals Vertreter aller Fraktionen als "eigentlich gute Idee", denn Transparenz, Bekämpfung der Korruption und Bürgerrechte müssen in der Öffentlichkeit natürlich allen Volksvertretern ein Anliegen sein. Aber andererseits dürfe man die Freigiebigkeit bei der Information nicht zu weit treiben, meinten viele. Norbert Geis (CSU) etwa gab zu bedenken, "durch ein generelles Informationsrecht für In- und Ausländer" werde "zu sehr den Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung der Verwaltung gestört".
Für die Befürworter des Gesetzes völlig überraschend, wandten sich im Mai, kurz vor der zweiten Lesung des Gesetzes, auch die gesetzlichen Krankenkassen gegen das Gesetz. Als öffentliche Körperschaften wären auch sie künftig auskunftspflichtig. In einem Brief der "Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Krankenkassen" an den Innenausschuss heißt es: "Nach unserer Auffassung sind die erforderlichen Regelungen zur Transparenz amtlicher Informationen für die Sozialverwaltung bereits ausreichend und umfassend geregelt." Die Krankenkassen fordern für sich eine Ausnahmeregel, sonst sei der Wettbewerb zwischen den Kassen gefährdet. Gesetzliche müssten im Gegensatz zu privaten Kassen ihre Zahlen offen legen. Außerdem könne die Pharmaindustrie auf Daten über Arzneimittelverordnungen zugreifen. Daraufhin verschwand das IFG erstmal von der Tagesordnung, auch wenn der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Dieter Wiefelspütz, die Bedenken der Kassen als unberechtigt zurückwies.
Trotz dieser Verschiebung besteht die Chance, dass das Gesetz nach sieben Jahren verabschiedet werden kann. Die rot-grüne Mehrheit im Bundestag gilt als sicher, die Zustimmung des Bundesrates ist nicht nötig. "Das IFG kann noch vor der Sommerpause verabschiedet werden", hofft Dieter Hüsgen von der Humanistischen Union.
"Eine kleine Kulturrevolution in der deutschen Verwaltung" sei die neue Verordnung, ein Sieg gegen die deutsche obrigkeitsstaatliche Tradition, in der Bürger den Behörden verantwortlich sein sollten und nicht umgekehrt. So sieht es Manfred Redelfs. Aber hält das Gesetz, was es verspricht? Der Rechtsanspruch auf Information, den die Vorlage vorsieht, wird durch eine Liste von Ausnahmen regelrecht durchlöchert. Informationsfreiheit besteht nicht, "wenn das Bekanntwerden der Information nachteilige Auswirkungen haben könnte auf die internationalen Beziehungen", die innere und äußere Sicherheit oder "fiskalische Interessen des Bundes". Die Geheimdienste sind grundsätzlich nicht auskunftspflichtig, die Bundeswehr nur teilweise. Auch die, die lange für Informationsfreiheit gekämpft haben, sind enttäuscht. "Der Gesetzentwurf ist ein Fortschritt, aber er ist wie ein Auto, das nur mit angezogener Handbremse fährt", sagt Redelfs, allerdings meint er auch, das Gesetz sei "besser als gar keines".
Im Gegensatz zu den Bestimmungen in anderen Ländern sind keine Fristen vorgesehen, innerhalb derer die Behörden den Bürgern mitteilen müssen, ob sie Auskunft erteilen oder nicht. In Großbritannien beispielsweise, wo seit Anfang des Jahres ein ähnliches Gesetz in Kraft ist, sind dafür zwei Wochen vorgesehen. In Deutschland dagegen spricht der Gesetzestext nur vage von "unverzüglich". Dieter Hüsgen moniert, dass es dadurch den Antragstellern erschwert werde, gegen Informationssperren gerichtlich vorzugehen, die Ämter können auf Zeit spielen. Besonders eine Regelung könnte dem IFG jede Wirksamkeit nehmen: ein Anspruch auf Information besteht nicht, wenn Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse betroffen sind. In solchen Fällen besteht Informationsfreiheit, "soweit der Betroffene eingewilligt hat". Eine Güterabwägung zwischen dem öffentlichen Interesse und dem betriebswirtschaftlichen eines Unternehmens sind im vorliegenden Entwurf nicht vorgesehen: damit könnte ein Energiekonzern zum Beispiel rechtlich völlig einwandfrei die Herausgabe von Gesundheitsstatistiken rund um ein Kernkraftwerk blockieren.
In anderen Ländern haben schärfere gesetzliche Bestimmungen wenigstens dazu geführt, Politiker und Behörden unter Druck zu setzen. In Großbritannien beispielsweise konnten Eltern, die gegen die Schließung einer Schule protestierten, sich auf den Freedom of Information Act berufen und so Einblick in die tatsächliche Finanzplanung der Schulbehörde erhalten. Die hatte behauptet, die Kosten der kleinen Grundschule in Nordwales seien überdurchschnittlich hoch, die freigegebenen Dokumente belegten das Gegenteil.
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