Epidemien, menschengemacht

Massentierhaltung Tierschützer protestieren seit jeher gegen den fabrikmäßigen Umgang mit Tieren. Über die ökologischen und gesundheitlichen Auswirkungen wird seltener gesprochen

Die Dimensionen sind geradezu grotesk. Vor zwei Jahren ergossen sich in dem kleinen Ort Dixon, Kalifornien, plötzlich 4,9 Millionen Liter Exkremente über Privatgrundstücke in einen Bach und schließlich in ein Naturschutzgebiet. Eine wahre Flut aus wasserverdünnten Kuhfladen und Urin überschwemmte die Gegend, weil eine Abwasserpumpe in der nahegelegenen Molkerei Heritage Diary versagt hatte. 6.000 Kühe werden in der riesigen Milchfabrik gehalten. Dieser Unfall hatte ernsthafte Folgen. Noch wochenlang mussten die Bewohner von Dixon von außerhalb mit Wasser versorgt werden. Weil eine Kuh im Durchschnitt 23 Mal soviel Exkremente produziert wie ein Mensch, entspricht die Abwassermenge aus der Heritage Diary etwa der einer Stadt mit 138.000 Menschen. Eiweiß und Harnstoff zersetzen sich und werden zu Ammoniak, das Grundwasser und Erdreich in der Umgebung belastet.

Die Molkerei bei Dixon ist durchaus kein extremes Beispiel. Nicht weit entfernt im kalifornischen Central Valley sitzen die großen amerikanischen Geflügelfarmen. Hier wird vom lebenden Huhn bis zum Endprodukt alles produziert, in den Anlagen sind Zehntausende Hühner eingesperrt. Seit den achtziger Jahren wurde mit der Grünen Revolution, der Industrialisierung der Landwirtschaft, auch die Fleischerzeugung umgewälzt, intensiviert und räumlich zusammengefasst. Zur Fleischerzeugung werden Schweine, Kühe und besonders Geflügel in so genannten factory farms zusammengepfercht, Nutztiere sind Produktionsmittel im wahrsten Sinne des Wortes. Damit verändert sich auch ihre Gestalt: Hennen werden die Schnäbel abgezwickt, damit sie keine anderen Hühner verletzen, Kühen die Schwänze gekappt, weil die oft die Melkanlagen behindern. Der Fachausdruck für solche Anlagen ist Confined Animal Feeding Operations (CAFO).

Besonders in Schwellenländern wie Mexiko, China oder den Philippinen ist die Fleischerzeugung explosionsartig angewachsen. Heute wird beispielsweise in den Philippinen fünf Mal soviel Geflügelfleisch produziert wie 1980. Durch Wirtschaftswachstum und relativen Wohlstand ändern sich die Ernährungsgewohnheiten an der Peripherie, immer mehr Menschen können und wollen sich nun Fleisch leisten. In einem Bericht der Weltbank mit dem Titel Entwicklung des Viehbestandes von 2001 treffen die Autoren folgende Prognose: "Der weltweite Fleischbedarf wird voraussichtlich von 209 Millionen Tonnen (1997) auf 327 Millionen Tonnen im Jahr 2020 anwachsen (56 Prozent). Im selben Zeitraum wird der Konsum von Milch von 422 Millionen Tonnen auf 648 Millionen steigen (54 Prozent)."

Undenkbar, dass Viehwirtschaft in dieser Größenordnung von Kleinbauern betrieben wird. Zwar existieren sie in Asien und Afrika, oft unter elenden Verhältnissen, weiterhin, aber ihre Höfe und Ställe liegen in unmittelbarer Nähe riesiger Freiluftweiden, den so genannten feedlots. Gerade hier zeigt die Globalisierung der Viehzucht eine ihrer potenziell katastrophalen Seiten, denn das Zusammenspiel von Kleinbauern und industrieller Massentierhaltung bietet Seuchen wie BSE, SARS oder der Vogelgrippe einen idealen Nährboden. Für Earl Brown, Virologe an der Universität Ottawa, ist deren Entstehung daher keine Überraschung: "Die Intensivhaltung von Hühnern bietet ein ideales Umfeld für die Heranzüchtung hochgradig ansteckender Vogelgrippeviren."

Die Viehzucht in agrarindustriellen Großanlagen ist der Grund, warum heute mehr neue Zoonosen entstehen - Krankheiten, die von Tieren auf Menschen überspringen - und sich zu tödlichen Epidemien ausweiten können. Dazu gehören SARS und die Vogelgrippe, aber auch der Ebola- und der Nipah-Virus (der zu Hirnentzündungen führt). Massentierhaltung befördert nicht nur, dass neue Krankheiten entstehen, sondern auch, dass Medikamente nicht mehr wirken, denn um Krankheiten unter den gestressten und geschwächten Tieren vorzubeugen, werden dem Tierfutter Psychopharmaka und Antibiotika zugesetzt. Das hat unmittelbare Auswirkungen auf den Menschen. Ein Zusammenhang zwischen Hormonen im Lebensmittelfleisch und der Zunahme von Infertilität wird diskutiert, sicher ist er bei Antibiotikaresistenzen. Im März stellte sich in einer Untersuchung in den Niederlanden heraus, dass auch Schweine Bakterien, die gegen das Antibiotikum Methicillin resistent sind, übertragen können.

Kein Zufall, dass ein Großteil der jedes Jahr neu entstehenden Influenzaerreger aus der südchinesischen Provinz Guangdong stammt. Die Region mit ungefähr 80 Millionen Einwohnern und 700 Millionen Hühnern bietet eine ideale Virenökologie: große Bevölkerungsdichte und eine gewaltige Tierpopulation, enger Kontakt zwischen Mensch und Tier und dazu zahlreiche chronische Atemwegserkrankungen und Immunstörungen, vor allem unter den Armen, die die Industrialisierung im Zeitraffer erleben. Die neuen Viren überspringen die Gattungsgrenze zunächst in den kleinen Bauerhöfen, wo die Menschen eng mit ihren Tieren zusammenleben. Aber erst in den feedlots mutieren sie zu resistenten und widerstandsfähigen Krankheitserregern. Von dort verbreiten sie sich in die ganze Welt. Earl Brown weist darauf hin, dass Hühner seit Beginn der Menschheitsgeschichte domestiziert wurden, ohne dass jemals vergleichbare Epidemien entstanden: "Die Vogelgrippe ist eine Krankheit, die völlig menschengemacht ist."

Die chinesischen Epidemiologen Zhihong, Shuyi und Zhu malen in ihrer letzten Veröffentlichung ein pessimistisches Bild: "Heute sind Zoonosen eine besondere Gefahr, weil sie plötzlich entstehen, sich rasch ausbreiten und hochansteckend sind." Weltweite Handels- und Reisewege sorgen dafür, dass sie längst nicht mehr auf ihre Entstehungsregion begrenzt bleiben. Damit steigt das Risiko einer Pandemie. Lakonisch heißt es weiter: "Das Risiko einer Epidemie ließe sich verringern, wenn das factory farming eingeschränkt würde. Aber die Welt scheint für diesen Tausch nicht bereit zu sein."


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