Für den Rest bleibt nur der Rest

Gammelfleischskandal Verschärfte Kontrollen und Strafen verfehlen das Problem

Wenn das Haus lichterloh brennt oder, wie in diesem Fall, das Fleisch schon bis zum Himmel stinkt, stehen immer auch Feuerwehrleute bereit, um ihre trockenen Schläuche auf politische Brände zu richten. Mehr Kompetenzen auf Bundesebene werden jetzt gefordert, mehr und unangekündigte Kontrollen und selbstverständlich auch höhere Strafen. Das Bundesland Hessen will eine Sondereinheit einrichten und der Freistaat Bayern sogar eine "Task Force".

Dieser Aktivismus ist weder neu noch hilfreich. In den vergangenen Jahren wurden immer mehr Zuständigkeiten der Lebensmittelsicherheit von oben nach unten delegiert. Die Kontrollen in Schlachtereien und bei Fleischhändlern obliegen seit 2004 den Landkreisen und kreisfreien Städten. Hier sind Interessenskonflikte in der Verwaltungsstruktur angelegt: Von den Lebensmittelprüfern und Veterinären wird verlangt, notfalls Betriebe zu schließen, die vor Ort unter Umständen die größten Arbeitgeber und besten Gewerbesteuerzahler sind.

Die immer häufiger auftretenden Lebensmittelskandale zeigen auch, dass die viel beschworene Entbürokratisierung nicht dazu führt, die Verwaltung für die Bürger durchschaubarer und kontrollierbarer zu machen. Möglich, dass das geplante verbesserte Verbraucherinformationsgesetz, das derzeit beim Bundesrat liegt, die schlimmsten Auswüchse verhindert. Wenn Unternehmen befürchten müssen, dass die Behörden über "Unregelmäßigkeiten" öffentlich informieren, wird das möglicherweise Konsequenzen für die Lebensmittelhygiene haben; zumindest können die Verbraucher dann mit Boykott reagieren.

Doch die Aufsicht über die Nahrungsmittelproduktion wird problematisch bleiben. Nachdem das Gammelfleisch einige Tage durch die Presse gedreht worden war, drängte Horst Seehofer auf "bundesweit einheitliche Standards", die zu erreichen er nicht ruhen werde. Solche Standards gibt es zwar längst, doch irgendetwas muss ein Minister für Verbraucherschutz der Öffentlichkeit ja anbieten können. Ob Seehofer - nach dem Wildfleischsalmonellen im Januar und dem Kühlhaus-Skandal im November vergangenen Jahres - das bayrische Gammelfleisch politisch übersteht, bleibt abzuwarten, denn es mehren sich die Zeichen, dass er die Aufklärung der Vorgänge behindert hat.

Keine Hinweise gibt es allerdings darauf, weshalb sein möglicher Nachfolger besser in der Lage sein sollte, die Gesundheit der Verbraucher zu schützen. Dass die Zustände bei Tiefkühlkost Gruber und anderswo überhaupt publik wurden, ist kein Verdienst der Verbraucherschutzministerien. Ohne anonyme Hinweisgeber wären über hundert Tonnen Ekelfleisch - teilweise seit vier Jahren nicht mehr zum Verzehr geeignet! - in Schnellimbissen in und außerhalb Deutschlands und über globale Lieferketten vielleicht sogar auch in Hongkong gegessen worden.

Die Kriminalpolizei München und die bayrische Landesregierung haben nun eine "Dönermafia" als Schuldigen ausgemacht. Doch der Fleischhändler, der die verdorbene Ware mit gefälschten Etiketten versah, ist in einem sicher kein Einzelfall: Die Fleischpreise sind in Deutschland auf ein Niveau gesunken, auf dem es fast unmöglich wird, geltende Vorschriften einzuhalten. Das Wirtschaftsministerium will nun ein Gesetz verschärfen, das verbietet, Lebensmittel unter dem Einkaufspreis zu veräußern.

Ein vielsagender Vorschlag. Hinter dem, wie es aus dem Ministerium heißt, "ruinösen Preiswettbewerb unter den Zwischenhändlern" steht eine steigende Nachfrage nach billigsten Fleisch- und Wurstprodukten. Das Argument, Qualität habe eben ihren Preis, geht vorbei an der Lebensrealität vieler Menschen, die sich Bioprodukte nicht leisten können. Wer arm ist, findet Geiz nicht geil, sondern überlebensnotwendig. Konsumentenrechte und Verbraucherministerien haben dazu geführt, dass sich in deutschen Supermärkten ein Substandard etabliert hat: Wer gesunde Lebensmittel haben will, zahlt mehr, und für den Rest bleibt eben der Rest.


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