Letztes Jahr sorgte Parag Khanna mit einem Leitartikel in der New York Times für Aufsehen: „Abschied nehmen von der Hegemonie“ lautete der Titel treffend. Der Autor konstatierte darin, die USA seien bereits von der „einzigen Weltmacht“ zu einer unter anderen abgestiegen.
Khanna ist Realist genug, um seinen Landsleuten zu raten, kein „neues amerikanisches Jahrhundert“ anzustreben, sondern sich mit den neuen Machtzentren zu arrangieren. Militärisch sind sie allen anderen Nationen und Bündnissen noch immer weit überlegen. Trotzdem können sie immer größere Regionen ihres Interessengebietes nicht mehr befrieden – ein unübersehbarer Beleg für ihre „imperiale Überdehnung“. Khanna, Politikwissens
nna, Politikwissenschaftler und Mitarbeiter der „New America Foundation“, einem nicht parteigebunden Thinktank in Washington, versucht in "Der Kampf um die zweite Welt" die große Synthese: Durch den Niedergang der nordamerikanischen Ordnungsmacht sei ein „geopolitischer Markt“ entstanden, den der Autor erklären will.Für Khanna entspricht die zweite Welt der zweiten Liga der Nationen – also dem Rest der Welt mit Ausnahme der drei großen Imperien und den am wenigsten entwickelten Ländern. Die Imperien versuchen, diese „Mittelmächte“ ökonomisch, diplomatisch und militärpolitisch an sich zu binden. Ihre jeweiligen geopolitischen Strategien charakterisiert Khanna – leider ziemlich oberflächlich – als „Konsultation“ (China), „Konsens“ (EU) und „Koalition“ (USA). Europäische Leser dürfen sich wundern, für wie erfolgreich Khanna das weltpolitische Auftreten der EU hält. Geradezu obsessiv kreisen seine Überlegungen aber um die Manöver des asiatischen Imperiums. China setzt sich seiner Ansicht langfristig nach fast überall durch, in Afrika, in Südamerika, im pakistanisch-afghanischen Krisengebiet und an seiner westlichen Grenze, dem Osten Russland.Nach vorne blickenWas ist und zu welchem Zweck betreiben wir Geopolitik? Khanna erklärt es mit einem Vergleich: „Anders als die Geschichtswissenschaft ist die Geopolitik eine Disziplin, die ausdrücklich mit dem Zweck zurückblickt, nach vorne zu blicken. Wenn internationale Beziehungen gleichsam die Meteorologie der laufenden Ereignisse ist, gleicht die Geopolitik der Klimatologie, der grundlegenden Wissenschaft von der Entwicklung der Weltordnung.“ Die Wissenschaften vom Wetter gleichen denen von der Herrschaft, ein schönes Bild: Die Zukunft ist ungewiss und täglich gibt es neue Vorhersagen.Vieles in Der Kampf um die zweite Welt ist interessant, fügt sich aber nicht zu einem Gesamtbild, weil Khanna zu viel will und zu wenig tut: Es fehlt an begrifflicher Schärfe. Kennzeichnend für das „geopolitische Genre“, in das dieses Buch gehört, sind starke Thesen mit historischer Tiefendimension – aber ohne theoretische Grundlage. Die Analytiker beschreiben Werden und Vergehen der Weltreiche und hantieren dabei mit unhinterfragten Begriffen: „Herrschaft“, „die Nation“, der „Weltmarkt“. Deshalb ähneln ihre Prognose noch mehr als der Wettervorhersage der Astrologie.Wissenschaft vom WetterAus diesen Gründen spricht Khanna über die Zukunft, trotz des prognostischen Anspruchs, nur in Andeutungen und hält sich mit Empfehlungen an seine Regierung zurück. Grundsätzlich präferiert er Verhandlungslösungen und langfristige Demokratieförderung statt kurzfristige Bündnisse mit diktatorischen Regimes: „Da die Zweite Welt immer mehr Einfluss auf die Geopolitik und die Globalisierung nimmt, wird die Diplomatie zusehends zu einer Kunst“, lautet der letzte Satz dieses voluminösen Werkes – der den Beamten im US-Außenministerium kaum weiterhelfen wird.Dazu passt, dass Khanna das Verhältnis zwischen USA und China mit paradoxen Wendungen beschreibt, die alles offen lassen: Die beiden Mächte seien „frenemies“ (zusammengezogen aus friends und enemies), die beste amerikanische Strategie sei „congagement“ (containment und engagement) – gleichzeitig zurückdrängen und einbeziehen, wie soll das gehen?Diese begriffliche Unbestimmtheit zeichnet die „New America Foundation“ insgesamt aus. Institutsmitglied Fareed Zakaria riet erst zur Invasion des Iraks und wollte es später, nachdem sie zum Fiasko geraten, immer schon besser gewusst zu haben. Francis Fukuyama (Das Ende der Geschichte) flirtete mit den Neokonservativen und Präsident Bush, hat dann aber 2006 ein Buch mit dem Titel "Was die Rechte falsch gemacht hat" veröffentlicht.Was könnten die außenpolitischen Vordenker ihrer Regierung auch vorschlagen? Die Weltwährung Dollar aufgeben? Die Militärbasen in Asien aufgeben und sich stattdessen auf Südamerika konzentrieren? Soll man gar anstreben, zum Juniorpartner Chinas zu werden, wie es die absteigende Weltmacht Großbritannien einst für die USA wurde? Geopolitiker wie Parag Khanna wissen einfach nicht, wie die USA weiter machen sollen.