Gottesdienstübung

Glauben Der Dokumentarfilm „Pfarrer“ spielt am evangelischen Predigerseminar in Wittenberg. Ein katholischer Regens hat ihn für uns geschaut – und ist ihm gewogen
Ausgabe 15/2014

Leuchtende Kerzen, flatternde Gewänder, Gebete und Gesänge holen hinein in eine Welt hinter dicken Mauern, in die Welt der (evangelischen) Kirche, in Lebens- und Ausbildungssituationen des Predigerseminars in Wittenberg. Spotähnlich werden diese in unterschiedlichen Stimmungen beleuchtet. Der Segen, die Predigt – das sind Elemente des Gottesdienstes, die hier geprobt, erlernt und persönlich erforscht werden. Schon die ersten Bilder wollen das alles miteinander verbinden. Die Gesänge und die Sprache eines Abendlobs mit den Herausforderungen des Dienstes und der Freizeit der jungen Ordinationskandidatinnen und -kandidaten.

Christoph, Lars, Björn, Ulrike und Almut sind in Pfarrer Teilnehmer des Kurses. Sie wollen und sollen sich ein Jahr hindurch auf den Dienst in der Gemeinde vorbereiten. Doch schon das Eingangszitat von Martin Luther („Zwei Dinge muss jeder Mensch allein schaffen: seinen Glauben und sein Sterben“) deutet auf ein „schwereres“ und tiefgründiges Projekt hin.

Bald wird klar – die Fragen nach dem Dienst und der Verkündigung sind nicht nur rein „technischer“ Art. Es muss vielmehr Resonanz und Grund im Inneren des Menschen gefunden werden. Die Fragen nach Glauben und Sterben, Sinn und Hoffnung sind keine bloßen Predigtübungen, sondern existenzielle Fragen.

Im Wechsel der Szenen und Bilder von Natur, Stadt und Haus, von Pflanzen, Gebäuden und Menschen nehmen die Filmemacher Stefan Kolbe und Chris Wright die Kandidaten ins Scheinwerferlicht. Was bringt das Predigerseminar? Warum bin ich hier? So technisch und faktisch, wie die Ausbildung mit Gesangs- und Sprechtraining, mit Textanalyse und Gottesdienstübung ist, kommen erst einfache Antworten: Pfarrer werden, Erlebtes weitergeben, das hinter der Welt und dem Leben Stehende als tragenden Gedanken verkünden.

Und so beten und studieren und feiern sie: Gottesdienst, Andacht und Abendmahl. Einem „Fremden“ etwas davon zu erklären, scheint unmöglich. Gemeinschaft untereinander und mit Gott, ohne dazuzugehören? Verwandlung von Elementen und Menschen, ohne dass man etwas davon merkt?

Wie auf dem Mond

Wie eine Kunstwelt jenseits der normalen Welt scheinen diese Momente, diese Stunden, Tage und Wochen im Predigerseminar zu sein, die schön, aber manchmal vielleicht zu nachdenklich gefilmt sind. Es gelingt gut, die einzelnen Charaktere in ihrer Perspektive auf die Welt zu zeigen. Wie auf dem Mond, von den Familien getrennt, erleben die Frauen und Männer dieses Jahr und ihr Hoffen und Suchen. Die Auseinandersetzung mit dem Evangelium führt in Anwesenheit der beiden nichtglaubenden Filmer zur Testsituation. Ist mein Glaube eine intime Sache oder nicht?

Evangelium wird in Pfarrer, was es tatsächlich ist, zur Begegnung, zum Gespräch, zur Kommunikation des Glaubens in der Welt. Damit tauchen neue Fragen auf: Tauge ich dafür, tatsächlich Pfarrer zu sein, Glaubensüberzeugungen am „Fließband produzieren“ zu müssen? Ist das Wahrheit oder Wahnsinn?

Die Antworten stecken im Detail und werden in gemeinsamen Gesprächen entwickelt. Der Film hilft bei der Suche nach den Antworten und findet sie im Glauben, in der Begegnung. Glauben ist hier auch die Erfahrung von Freude und von Lust; ist das Jubeln vor einem Gott, der durch das Leben trägt. Da erscheint Ulrikes Krankheit zwar als Frage, auf die es keine Antwort gibt, die aber perfekt ist als Einstieg in die Seniorenseelsorge. Da ist der Tod eine offene Frage nach dem Dahinter, aber gleichzeitig auch nach dem „Mache ich hier alles richtig, wie ich es macheß“ Alles hat einen Sinn, auch wenn wir es nicht verstehen. Das löst Krisen aus bei denen, die sich damit befassen. Sodass sich auch die Filmemacher fragen: Was ist das mit der Religion, mit dieser Lehre von Gott?

Am Ende von Pfarrer steht der Jubel: „Lobet und preiset ihr Völker den Herrn.“ Wieder eine Sing-, eine Ausdrucksübung, diesmal aber mit der Freude verbunden, in eine neue Aufgabe zu gehen – als Pfarrer oder auch auf anderen Wegen. In dieser Freude tanzt sogar das Filmteam. Ob aus regie- oder kameratechnischen Gründen oder aus anderen kann sich jeder selber überlegen, der sich in diesen feinfühligen Dokumentarfilm hineinziehen lässt.

Pfarrer von S. Kolbe, C. Wright, D 2014, 90 Min.

Matthias Goy ist als Regens in der Ausbildungsbegleitung der Priesterkandidaten im Erzbistum Berlin tätig. Er ist seit 2004 Priester der katholischen Kirche

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