Ursula von der Leyen öffnete Tür und Tor

Gastbeitrag Laut Matthias Höhn von der Linkspartei hat der Bundestag-Untersuchungsausschuss zur Berateraffäre im Verteidigungsministerium gezeigt: Alle Vorwürfe waren berechtigt
Ursula von der Leyen öffnete Tür und Tor

Foto: Sean Gallup/Getty Images)

Guter Rat ist teuer: Für mehr als eine Milliarde Euro hatte die Bundesregierung im vergangenen Jahr Beratungs- und Unterstützungsleistungen geordert, verteilt auf über 900 laufende Verträge in den Ministerien. Schon vor diesem Hintergrund wird das Versprechen an Steuerzahlerinnen und Steuerzahler immer brüchiger, die Auslagerung öffentlicher Aufgaben an Private käme sie günstiger. Galt doch lange in der Politik Stellenabbau im öffentlichen Dienst als oberste Haushaltsmaxime. Heute sehen wir, jedes Ministerium scheint auf die Unterstützung aus der Privatwirtschaft angewiesen zu sein. Im sensiblen Bereich der Regierungsgeschäfte ist dies für Die Linke Grund genug, kritisch auf die Berater-Praxis zu schauen, erst recht, wenn es um Sicherheitsfragen und Rüstungsprojekte geht.

Im Sommer 2018 berichtete der Bundesrechnungshof über Rechtsverstöße im Verteidigungsministerium: bei Auftragsvergaben an externe Firmen wurde massenhaft das Vergaberecht umgangen oder bewusst verletzt. Daraufhin setzten Die Linke, FDP und Bündnisgrüne einen Untersuchungsausschuss durch. Nach rund anderthalb Jahren Arbeit steht fest: Alle Vorwürfe waren berechtigt. Und noch mehr kam ans Licht. Die langen Nächte der Zeugenbefragungen im Untersuchungsausschuss lieferten tiefe Einblicke in die Amtsstuben von Berlin, Bonn und Koblenz: Selbstgewiss, ja fordernd traten die Beraterinnen und Berater dort auf. Denn sie wussten, ihr Einsatz war ausdrücklich gewollt und zwar von ganz oben. Und die Beamtinnen und Beamten aus dem Ministerium waren sich kaum einer Schuld bewusst. Nur selten widersprachen einzelne Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter offen der offiziellen Linie des Hauses.

Ex-Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen öffnete in ihrer Amtszeit Tür und Tor für externe Berater. Die von ihr begonnenen Reformen in der Bundeswehr, die so genannten Trendwenden bei Finanzen, Personal und Material bedeuteten vor allem eins: Höhere Ausgaben im deutschen Verteidigungs- und Rüstungsetat. Als ihre Staatssekretärin verpflichtete von der Leyen ihre Wunschkandidatin Katrin Suder, ehemalige Direktorin der bekannten Beratungsfirma McKinsey. Genau mit diesem privatwirtschaftlichen Hintergrund sollte Suder frischen Wind, neue Verfahren und Effizienz in die Bundeswehr bringen.

Vom frischen Wind profitierten vor allem ehemalige Kollegen und Freunde. Man kannte und man schätzte sich. Es ging um millionenschwere Verträge für militärische Großprojekte, die das Bundesverteidigungsministerium mit Beratern geschlossen hat, vor allem bei Firmen wie Accenture und eben McKinsey. Die beteiligten Männer und Frauen waren nicht nur kollegial über die Arbeit verbunden. Sie teilten Privates: Die Gäste zur Taufe seiner Kinder am Wochenende hätte einer der Berater ebenso auch für Montagmorgen zur Dienstbesprechung im Verteidigungsministerium einladen können.

Was nicht passt, wird passend gemacht

Der Untersuchungsausschuss im Bundestag hat weiter zahlreiche Rechtsbrüche nachgewiesen: Verstöße gegen das Vergaberecht, freie Hand bei der Vertragsgestaltung sowie satte Verdienste für im Ministerium bestens vernetzte Berater. Dabei fehlte es nicht immer an Regeln, sondern zuerst am Willen, sie einzuhalten. Unpassende Rahmenverträge wurden als passend interpretiert, um schneller und ohne Ausschreibung zu den gewünschten Abschlüssen zu kommen. Verträge wurden an Unterauftragnehmer weitergereicht – über viele hat das Ministerium bis heute keinen Überblick. Einzelne Berater nutzten amtliche E-Mailsignaturen oder wechselten direkt auf einen Verwaltungsposten. Sie bahnten Treffen mit Entscheidungsträgern an, bauten Druck auf diejenigen auf, die in der Verwaltung bremsten und mahnten. Höhere Honorarsätze als eigentlich festgelegt wurden abgeschöpft, indem man z.B. die Stunden eines Projektleiters mit dem Satz eines IT-Spezialisten abrechnete.

Gerade im Digital-Bereich offenbarten die Zeugenbefragungen weitere Schwachstellen in der öffentlichen Verwaltung. Während die Beraterfirmen weltweit Spezialistinnen und Spezialisten für ihre Aufträge zusammenziehen, fehlt es der öffentlichen Hand an Fachkräften für solche Sonderprojekte. Für Big Data-Projekte würden die Ministerien weiterhin auf private Vermittler angewiesen sein, da waren sich Zeugen im Untersuchungsausschuss ganz sicher. Und ließen zudem wissen, dass solche externen Kräfte ebenso unentbehrlich für andere NATO-Partner wären. Im Vergleich mit den USA würden die Ausgaben Deutschlands für private Unterstützungsleistungen geradezu bescheiden ausfallen.

Infolge des Untersuchungsausschusses und einer ausführlichen und kritischen Begleitung durch die Medien sind bereits Änderungen durchgesetzt und Projekte abgebrochen worden. Einige Verfahrensgrundsätze im Ministerium wurden geändert. Die Privatisierung der Heeresinstandsetzungswerke, die großen Reparaturbetriebe der Bundeswehr, ist durch die neue Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer zu Recht, jedoch viel zu spät gestoppt worden. Der Schaden beläuft sich allein bei diesem Projekt auf mindestens 31 Millionen Euro.

Die Folgen der Privatisierung

Das Fazit des Untersuchungsausschusses fällt erwartungsgemäß unterschiedlich aus. Sowohl die Koalitionsfraktionen als auch die Opposition haben ihre Berichte vorgelegt. Die Linke hatte gemeinsam mit FDP und Bündnisgrünen den Untersuchungsausschuss im Januar 2019 durchgesetzt, und nun vor dessen Abschluss auch ein Sondervotum gemeinsam verfasst. Die Koalitionsfraktionen verlagern die Verantwortung für die Missstände in die Bürokratie des Hauses, zumindest die SPD dürfte das intern anders sehen. Denn wer im Ausschuss zugehört hat, weiß, der Einsatz der privaten Berater war ausdrücklich Teil der politischen Reform-Strategie. Berater sollten schalten und walten, mit allen halbwegs vertretbaren Mitteln. Die Linke sieht ganz klar die politische Verantwortung der Hausspitze, von der Leyen und Suder hatten die Berater ins Haus geholt und ihnen Rückendeckung gegeben. Ursula von der Leyen hätte mit dieser Bilanz niemals in die EU befördert werden dürfen.

Übergreifend lässt sich sicherlich festhalten: Die finanziellen Versprechen der Privatisierungsbefürworter haben sich nicht erfüllt, auch nicht im Bundesverteidigungsministerium – im Gegenteil. Rüstungsprojekte werden weiter um Jahre verspätet ausgeliefert und werden häufig um Milliarden Euro teurer als dies im Bundestag zu Beginn eines Projekts versprochen wurde. Das Beschaffungswesen bei der Bundeswehr blieb auch unter Suder und von der Leyen teuer und zäh. Und dennoch wurden Millionen für diese Beratung aus dem Fenster geworfen. Grund genug für Die Linke, den Einsatz externer Beraterfirmen kritisch zu hinterfragen und die Stärkung der öffentlichen Hand anzumahnen. Besonders im hochsensiblen Terrain der Sicherheitspolitik stellt sich zudem die Frage, inwieweit es privaten Anbietern erlaubt sein sollte, Regierungshandeln und Entscheidungen zu beeinflussen. Für die Zukunft muss für die Bundesregierung und ihre Behörden wieder gelten: Staat vor Privat.

Matthias Höhn ist Mitglied des Bundestags, Obmann der Fraktion DIE LINKE im Untersuchungsausschuss Berateraffäre und sicherheitspolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE

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