Albtraum Start-up

Arbeit Junge Internetfirmen kämpfen mit allen Mitteln gegen Gewerkschaften und Mitbestimmung
Ausgabe 17/2016

Tobias Kowalski und David Schlichting* hatten sehr klare Vorstellungen von der Arbeit in einem Start-up. Von Mitbestimmung und Verantwortung, von einer egalitären Arbeitsatmosphäre mit flachen Hierarchien. Aber sprechen sie über ihren ehemaligen Arbeitgeber, das Berliner Start-up GoButler, fällt Monate nach dessen Aus in Deutschland kein positives Wort. „Die Arbeitsatmosphäre war eine Katastrophe“, sagt Schlichting. Klar, es gab viele Überstunden. Das sei in Start-ups normal, vergütet mit Verantwortung und Mitbestimmung. Und bei GoButler? „Kein Einfluss, keine Verantwortung. Die Geschäftsführer zogen alles an sich, erzeugten aber unglaublichen Druck, Misstrauen und Chaos. Da wurden gute Leute geholt und sofort wieder vergrault“, sagt Kowalski.

Bei GoButler, einst eine Investition der Start-up-Schmiede Rocket Internet, konnten sich Kunden Wünsche aller Art erfüllen lassen. Das Team organisierte sonntagabends Zigarettenlieferungen an die Wohnungstür oder recherchierte den günstigsten Flug nach Istanbul. Der Kunde wurde hofiert. Anders die Mitarbeiter. Kowalski erinnert sich an eine Tischtennisplatte im Büro, „die sich aber kaum einer zu benutzen traute.“ Es gab freies Mittag- und Abendessen. „Damit man während der Arbeitszeit nicht das Büro verlässt“, sagt Schlichting. Als es immer schlechter lief, hätten sich Mitarbeiter schadenfroh Links zu negativen Presseberichten geschickt. Der Zusammenhalt hätte schnell nur noch in Bezug auf das gemeinsame Feindbild bestanden: die Geschäftsführer. „Der Job war ein Albtraum“, sagt Kowalski.

„Gerade bei schnell wachsenden Start-ups kann sich das Betriebsklima rasch ändern“, sagt Bert Stach von der Gewerkschaft Verdi. Ein ehemals kleines Start-up fährt Gewinne ein, doch die Gehälter und die Zahl der Urlaubstage wachsen nicht mit. Die Anzahl der Mitarbeiter steigt und mit ihr das Hierarchiegefälle. Die Mitbestimmung dagegen schwindet. Und für Missstände gibt es keinen geeigneten Kommunikationskanal.

„Ob kleines IT-Unternehmen hin oder her, für die Kommunikation und Beseitigung kollektiver Missstände ist ein Betriebsrat das geeignete Mittel“, sagt Stach. Mehr als 80 Prozent der deutschen Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern haben einen Betriebsrat. In klassischen Start-ups hingegen sind sie die Ausnahme – so sehr, dass Verdi nicht einmal eine konkrete Zahl nennen kann.

„Betriebliche Mitbestimmung ist bei vielen Internetfirmen nicht gerne gesehen. Gewerkschaften sind es ebenso wenig“, sagt Stach. Die wenigsten Beschäftigten von Start-ups sind in einer Gewerkschaft organisiert. Für die Mitarbeiter ist all das von Nachteil, gerade in schnell gewachsenen IT-Unternehmen. Und oft scheinen Mängel an Mitbestimmung und die schlechten Arbeitsbedingungen Basis des Erfolgs eines Unternehmens zu sein.

Einfach gefeuert

Ein Beispiel dafür ist der Spiele-Entwickler Goodgame Studios aus Hamburg. Als Michael Schöne* am 25. November 2015 in einen Konferenzraum gebeten wird, brechen seine letzten Minuten im Unternehmen an. Er erhält die Kündigung, ohne Angabe irgendeines Grundes. Mit Jacke, Rucksack und Haustürschlüsseln wird er rasch auf die Straße begleitet. Dort stehen schon 27 weitere Mitarbeiter, auch sie: gekündigt. Unter ihnen sind genau jene 15 Kollegen, die seit Juli an der Bildung eines Betriebsrats gearbeitet hatten und dafür bereits mit Verdi in Kontakt standen. Sie trafen sich in ihrer Freizeit, um unentdeckt zu bleiben.

„Das Management war von vornherein vehement gegen einen Betriebsrat“, sagt Schöne. „Wenn das Thema aufkam, dann sprachen die Chefs vom ‚alten Instrument‘, das langsam mache.“ Sie schürten Angst mit Sätzen wie: „Wir alle sind gegen einen Betriebsrat, weil ihr alle nächstes Jahr noch einen Job haben wollt.“ Keine wagte sich danach noch aus der Deckung. „Es ist klar, dass das Unternehmen mit den Kündigungen den Betriebsrat verhindern wollte.“

Mit heute knapp 1.300 Mitarbeitern ist das 2009 gegründete Unternehmen seiner Gründerphase rasch entwachsen. Seinen Ruf als familiäres Start-up, als Arbeitsplatz mit Swimmingpool im Garten, Freibier nach Feierabend und einer Feel-Good-Managerin bedient es immer noch. Stellenanzeigen versprechen „agile Strukturen“ und „flache Hierarchien“. Die Legende lebt.

„Es gab viele Bereiche im Unternehmen, in denen aufgrund schlechter Arbeitsbedingungen starke Unzufriedenheit herrschte“, sagt Schöne. „In manchen Abteilungen wurde darauf geachtet, wie oft man aufs Klo geht und wie lange man dort bleibt.“ Auch der Lohn war ein Thema: „Die Einführung des Mindestlohns hat bei einigen Kollegen zu Jubelschreien geführt, denn ihre Gehälter lagen darunter“, sagt Schöne. Als in der Abteilung für Qualitätssicherung das Wort „Betriebsrat“ fällt, folgt rasch die Antwort: „Wenn der kommt, machen wir eure Abteilung dicht und lagern sie nach Indien aus.“

Der Druck zeigte Wirkung: Ende Januar organisierte Verdi eine Betriebsversammlung für die Goodgame-Mitarbeiter. Die verängstigte Belegschaft konnte sich nicht einmal zur Wahl des für eine Betriebsratsgründung nötigen Wahlvorstandes durchringen. „Verbriefte Rechte, etwa Kündigungen zu widersprechen, bei Versetzungen oder Gehaltsstruktur mitzureden, bleiben so auf der Strecke“, sagt Stach.

Doch was macht es Gewerkschaften in dieser Branche so schwer, die Mitarbeiter zu erreichen oder die Installation eines Betriebsrates durchzusetzen? Stach meint: „Viele junge Beschäftigte kommen direkt aus dem Studium, manche aus der Schule, und kennen ihre Rechte und ihre Mitbestimmungsmöglichkeiten gegenüber dem Arbeitgeber gar nicht.“ Und dann würden sie bald mit der lauten Propaganda gegen diese „veralteten Instrumente“ konfrontiert. Außerdem spielten die besondere Philosophie und das gehegte familiäre Image, „das Start-ups pflegen und Mitarbeiter gerne nach außen tragen“, eine Rolle. Die Legende von den flachen Hierarchien und dem egalitären Miteinander werde so stark durch das Unternehmen propagiert, dass die Mitarbeiter lange mitziehen. „Meistens bekommt diese Fassade erst in einer wirtschaftlichen Krise erste Risse.“

Die Bildung eines Betriebsrates abzuwürgen ist nur eines von vielen Mitteln, um die Mitbestimmung der Belegschaft klein zu halten. Der Online-Händler Zalando, ebenso ein Rocket-Internet-Zögling, macht es anders: Im August 2015 wechselte das Unternehmen die Rechtsform zugunsten einer europäischen Aktiengesellschaft, kurz SE. Diese Rechtsform gilt Beobachtern als besonders arbeitgeberfreundlich.

So macht es Zalando

„Bei der Verschmelzung von Unternehmen in eine SE existiert keine Garantie, dass deutsche Regelungen zur Unternehmensmitbestimmung in Aufsichtsräten mitgenommen und auf die SE übertragen werden“, sagt Verdi-Sprecherin Eva Völpel. Die entsprechenden Gesetze seien lückenhaft. Verdi fordert daher von der EU, das Einfrieren der Mitbestimmung in einer SE auszuschließen. Außerdem soll die Bundesregierung ausländische Rechtsformen endlich im deutschen Mitbestimmungsgesetz berücksichtigen.

Anders als gesetzlich vorgeschrieben besetzte Zalando den Aufsichtsrat nicht paritätisch, sondern verschaffte der Seite der Kapitaleigner sechs von neun Sitzen. Laut Verdi informierte das Unternehmen zudem seine Mitarbeiter nicht ausreichend: „Wir kritisieren, dass die Wahl des Gremiums, das über die Ausgestaltung der Besetzung des Aufsichtsrates entschieden hat, nicht rechtmäßig erfolgte“, sagt Völpel. „Damit steht letztlich die Frage im Raum, ob bei einer rechtmäßigen Zusammensetzung des Gremiums andere Mitbestimmungsregeln verabschiedet worden wären – eben eine paritätische Besetzung des Aufsichtsrates.“ Verdi hat Klage gegen das Prozedere eingereicht, ein Urteil steht noch aus. Zalando weist ebenso wie GoButler und Goodgame die erhobenen Vorwürfe zurück.

Michael Schöne und Tobias Kowalski haben bisher keinen neuen Job gefunden. Ihren Traum vom Start-up wollen sie nicht aufgeben. David Schlichting wurde schnell wieder fündig. Einen Betriebsrat hat zwar auch sein neuer Arbeitgeber nicht, es gehe aber auch ohne, meint er und ist mit den Bedingungen an seinem neuen Arbeitsplatz zufrieden: „Die Start-up-Kultur, wie man sie kennt, mit Mitbestimmung und Verantwortung, wofür alle gerne mitziehen und Überstunden machen, die gibt es noch“, sagt er. Hoffentlich bleibt seine neue Firma von Krisen verschont.

* Namen geändert

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Matthias Jauch

Freier Journalist, Berlin|Hamburg, unter anderem beim Freitag, twittert unter @MatthiasJauch

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