Mangelnden Optimismus kann man Stephan Kramer bestimmt nicht vorwerfen. „Wenn jemand am tiefsten Punkt angekommen und unbestreitbar im Sumpf steckt, dann ist es der Thüringer Verfassungsschutz nach der NSU-Affäre. Ich sage aber auch: Gerade weil es so schlimm ist, ist das die Chance für einen Neuanfang. Wir versuchen, einen neuen Geist hineinzubekommen.“ Es sind deutliche Worte – vom neuen Chef des Geheimdienstes. In dieser Woche hat der 47-Jährige seine Arbeit begonnen. Es ist eine äußerst ungewöhnliche Personalie: Kramer war jahrelang Generalsekretär des Zentralrats der Juden. Und er hat früher die Abschaffung des Geheimdienstes gefordert. Jetzt will er ihn besser machen.
Beim Gespräch in einem Berliner Café wirkt Kr
; wirkt Kramer entspannt, fast gelöst. Als hätte er die schwierigsten Fragen schon beantwortet. Er spricht zügig, manche Antwort gibt er schon vor dem Ende der Frage. Einige seiner Aussagen sind nicht neu, in den vergangenen Tagen war über ihn einiges in der Presse zu lesen. Er weiß auch, vor welch gewaltigen Herausforderungen er steht.Das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz steht derzeit vor allem für Skandale und Behördenversagen. Erst kam die Behörde jahrelang nicht den Rechtsterroristen vom NSU auf die Spur, obwohl sich diverse V-Leute des Dienstes in ihrem Umfeld aufhielten. Später hielt der Geheimdienst wohl Akten zurück, die zur Aufklärung der Verbrechen beigetragen hätten. Der Untersuchungsausschuss des Landtags sprach sogar von Sabotage. Der Reformbedarf der Behörde ist immens, der Chefposten war fast drei Jahre vakant und wurde in dieser Zeit nur kommissarisch ausgefüllt. Es fand sich niemand, der es machen wollte.„Mit mir selber in Klausur gegangen“Seit Februar hat Kramer Gespräche mit der rot-rot-grünen Landesregierung geführt. Auch aus Gründen der Glaubwürdigkeit habe er sich die Entscheidung nicht leicht gemacht, zudem habe er Sorgen wegen Reaktionen von Freunden und alten Kollegen gehabt. „Ich bin mit mir selber in Klausur gegangen“, erzählt er. „Muss man sich auf diesen Job einlassen, nachdem so eine Katastrophe geschehen ist? Wie gehe ich mit kritischen Äußerungen von Freunden und Kollegen um?“ Nach der Ernennung waren die Reaktionen dann gemischt. Auch das Wort „Verräter“ sei gefallen, sagt er.Tatsächlich war die Ernennung Kramers eine große Überraschung. In der NSU-Debatte galt er als scharfer Kritiker des Verfassungsschutzes, forderte sogar dessen Abschaffung. Wie passt das zu seinem neuen Job? Heute will er darin keinen Widerspruch erkennen. Schließlich sei noch offen, was aus der Behörde wird. Auch eine Auflösung sei möglich.Wie könnte eine Reform der Behörde aussehen, die als inkompetent und schwer durchdringbar gilt? Über das eigene Haus spricht er vorsichtig, wählt seine Worte mit Bedacht. Das Personal? „Dort fehlte es wohl in der Vergangenheit sicherlich auch an der nötigen Sensibilität und an sozial- und kulturwissenschaftlichem Fachwissen.“ Die Aufklärung der NSU-Verbrechen? „Manches sieht sogar nach Sabotage aus.“ Die Zukunft? Er wolle die alten Trampelpfade verlassen, Akteure der Zivilgesellschaft einstellen, etwa Mitarbeiter aus Opferberatungen oder Journalisten. „Meine Vorstellung ist nicht, Blockwarte anzuwerben, sondern das Vertrauen der Bevölkerung zu gewinnen.“ Es ist eine Art Laborversuch für die Reform von Geheimdiensten. „Meine Vorstellung von Verfassungsschutz ist eher eine Art Think-Tank als eine Agentur für Spione.“Ehrgeizig und gut vernetztKann er das durchsetzen? Kramer steht im Ruf, ehrgeizig und politisch gut vernetzt zu sein. Im Jahr 1999 wurde er persönlicher Referent von Ignatz Bubis, dem damaligen Präsidenten des Zentralrats der Juden. Unter dessen Nachfolger Paul Spiegel wurde Kramer Geschäftsführer. Zwischen 2004 und 2014 war er Generalsekretär des Zentralrats. Die Sicherheit jüdischer Gemeinden und die Kommunikation mit Nachrichtendiensten gehörten zu seinen Aufgaben. Aufgaben, die ihn nun qualifizieren. Oder sind es andere Gründe? „Was mich qualifiziert, ist, dass ich gerade nicht aus dem Kreis der Geheimdienste komme. Das ist es, was für einen Neustart jetzt nötig ist.“Markige Worte und klare Positionen waren ihm noch nie fremd. Dem damaligen Bundesbank-Vorstand Thilo Sarrazin warf Kramer im Jahr 2009 eine Nähe zum Nationalsozialismus vor. Er habe „den Eindruck, dass Sarrazin mit seinem Gedankengut Göring, Goebbels und Hitler große Ehre“ erweise. Den Bundestagspräsidenten und CDU-Politiker Norbert Lammert bezeichnete Kramer einmal als „Erfüllungsgehilfen des Papstes, der offensichtlich lieber Holocaust-Leugnern und Antisemiten die Hände schüttelt“. Aussagen, die er nun eingeordnet wissen möchte. Immerhin habe er sie als Generalsekretär eines Verbandes und nicht als Chef einer Behörde getroffen.Auch für Vorgesetzte kann Kramer ein streitbarer Geist sein. Er war gegen ein Verbot der NPD und zerstritt sich darüber mit Dieter Graumann, dem damaligen Präsidenten des Zentralrats der Juden. „Rechtes Gedankengut lässt sich nicht verbieten, sondern nur bekämpfen“, sagte Kramer 2013 auf einer Veranstaltung in Thüringen. Im Januar 2014 schied er, so lautete die offizielle Verlautbarung des Zentralrates, auf eigenen Wunsch aus.Und die Ziele im neuen Amt? „Natürlich wird es einen Schwerpunkt auf dem Rechtsterrorismus geben. Die Gefährdungsschwerpunkte sind ganz objektiv rechts und derzeit nicht vergleichbar mit Gefahren von links.“ Man kann es als Kampfansage an die Thüringer AfD verstehen. „Ich werde sehr genau hinhören, was etwa Björn Höcke sagt.“ Auch seinen Mund will sich Kramer nicht verbieten lassen. „Meine Mitgliedschaft im Club der deutlichen Aussprache werde ich nicht kündigen.“ Alles andere hätte auch überrascht.