Eine neue Fehlerkultur

Thüringen Stephan Kramer sollte für Rot-Rot-Grün den Verfassungsschutz reparieren. Jetzt fliegen die Fetzen
Ausgabe 49/2017

Das Büro von Stephan Kramer will nicht so recht in die Umgebung passen. Bilder, die Glanz vermitteln sollen, hängen an der Wand, von Schmidt, Kohl und Merkel, Richard von Weizsäcker, Frank-Walter Steinmeier und dem Papst, teils mit Kramer. Dessen Büro liegt in einem tristen Plattenbau an Erfurts Stadtrand, Sitz des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz. Kramer ist dessen Chef. Er spricht vorsichtig und mit ernstem Gesicht von einer „angespannten Sicherheitslage“, Rechtsextremismus und Salafismus, der Bedrohung durch „Gefährder“. Das Wort „Gefechtslage“ fällt. Der 49-jährige Reserveoffizier der Marine nutzt es gerne, es scheint, als spreche er auch über jene Faktoren, die ihn seiner Sicht nach an einer Reform des Dienstes hindern.

Als Thüringens rot-rot-grüne Landesregierung ihn Ende 2015 zum Chef des Verfassungsschutzes machte, garantierte das bundesweite Aufmerksamkeit (der Freitag 49/2015). Kramer war bis 2014 fast zehn Jahre lang Generalsekretär des Zentralrats der Juden gewesen. Nun sollte er jene Behörde leiten, deren scharfer Kritiker er war und die in der NSU-Affäre ein miserables Bild abgegeben hatte, nicht zuletzt wegen ihres skandalumwitterten, zwischen 1994 und 2000 amtierenden Chefs Helmut Roewer und diverser V-Leute im engsten Umfeld des NSU. Bei der NSU-Aufarbeitung war von Sabotage die Rede.

Kramer trat mit großen Zielen an. Der Sozialpädagoge wollte die Analysefähigkeit des Dienstes stärken, neues Personal aus Wissenschaft und Kultur einstellen, eine Annäherung des Dienstes an die Zivilgesellschaft erreichen. Noch im Frühjahr 2016 sprach er von der „Strahlkraft“, die er zusammen mit seinen Mitarbeitern über die Grenzen Thüringens hinaus entfalten wolle. Sein Verfassungsschutz sollte „zum Vorbild für andere Bundesländer werden“.

Freund schroffer Ansagen

Zwei Jahre später ist die Euphorie verflogen. Kramer kämpft nun mit immensen Widerständen, vor allem aus der Landtagsfraktion der Linken. Letztere stellt mit Bodo Ramelow zwar den Ministerpräsidenten, der Kramer ins Amt lotste. Doch viele in der Partei wollen den Verfassungsschutz gänzlich abschaffen. Gerade erst im Amt, musste Kramer harsche Kritik einstecken, als er mehr Rechte beim Zugriff auf die digitale Kommunikation forderte und kundtat, er wolle sehr wohl V-Leute anwerben. Deren Abschaltung hatte Rot-Rot-Grün 2015 umgesetzt und nur als Ausnahme für begründete Terror-Einzelfälle vorgesehen.

Als Mann der klaren Worte ist Kramer schon lange bekannt, etwa vom Streit um den Holocaust-Leugner Richard Williamson her. 2009 hatte der damalige Bundestagspräsident Norbert Lammert Kritik an Papst Benedikt wegen dessen Umgang mit Williamson als überzogen bezeichnet, woraufhin ihn Kramer einen „Erfüllungsgehilfen des Papstes“ nannte, „der offensichtlich lieber Holocaust-Leugnern und Antisemiten die Hände schüttelt“. Ob zutreffend oder nicht, das Präsidium des Zentralrats der Juden distanzierte sich von Kramer, dieser musste sich entschuldigen.

Kramer sah sich stets als „Freund der deutlichen Aussprache“. Nun sitzt er mit gefalteten Händen an seinem Schreibtisch in Erfurt und sagt: „Ich habe anfangs sicher unterschätzt, wie sensibel das Thema V-Leute in Thüringen ist.“ Natürlich sei der Einsatz von V-Leuten ein risikobehaftetes Mittel, dem durch Rot-Rot-Grün enge Grenzen gesetzt seien, ein zwingender Terrorismusbezug etwa. „Wer sich aber gerade mit der rechtsextremen Szene in Thüringen auseinandersetzt, kann sich nicht zurücklehnen und sagen, wir bräuchten keine Informationen.“

In der Linken sorgt das für Widerstand: „Kramer muss sich bewusst machen, dass es gewichtige Gründe gab und gibt, dass die Regierungsparteien den Ausstieg aus dem V-Leute-System verabredeten, und dass der Koalitionsvertrag für das Regierungshandeln die Grundlage bildet“, sagt der innenpolitische Sprecher der Fraktion, Steffen Dittes. Selbst für die Abwehr der Vorbereitung terroristischer Anschläge gäbe es rechtsstaatliche Instrumente, die transparent und rechtsstaatlich überprüfbar seien.

Feindbild: Links

Der im Oktober vorgelegte Verfassungsschutzbericht 2016 ist einer der jüngsten Streitpunkte. Zwar sei eine neue Einordnung und Ausrichtung vorgenommen worden, der Bericht erkenne die Gefahren im Rechtsextremismus und Salafismus. „Das ist auch das Ergebnis der Arbeit Kramers“, sagt Dittes. Aber: „Analytisch und qualitativ weist der Bericht gravierende Mängel auf. Wenn der Verfassungsschutz ein Frühwarnsystem sein will, braucht es aber Analyse.“ Der Bericht thematisiere Angriffe auf Wohnung und Büro der AfD-Abgeordneten Wiebke Muhsal. Angriffe auf Büros anderer, auch Mordaufrufe gegen die Linken-Abgeordnete Katharina König-Preuss fehlten. „Es bleibt völlig offen, warum hier eine Priorisierung vorgenommen wird“, sagt diese. „Das Feindbild der letzten Jahre ist trotz wahrnehmbarer Besserungen immer noch herauszulesen.“

Kramer leugnet den Nachholbedarf nicht. Seine Behörde muss sich mit einer stetig wachsenden Zahl rechter Gewalttaten auseinandersetzen. Rechte Kameradschaften, „Identitäre“, allein 550 „Reichsbürger“ und 170 Salafisten vermutet der Dienst in Thüringen, dazu Gefährder „im unteren zweistelligen Bereich“, so Kramer. „Für den Ausbau von Analyse und Fachwissen braucht es mehr Personal.“ 13 neue zu den rund 100 bestehenden Stellen habe er voriges Jahr gefordert. Das Innenministerium lehnte ab. „Leider fehlt hier auch der politische Wille, etwas zu verändern“, sagt Kramer. „Der Verfassungsschutz wird im Grunde kaputtgespart“, sagt Wolfgang Fiedler, CDU-Innenexperte in Thüringen.

Für Aufregung sorgt immer wieder die Außendarstellung Kramers. Dass er keine Behördenmikrobe sei, wäre doch eine Einstellungsvoraussetzung gewesen, sagt er selbst. „Um diesen Dienst zukunftsfähig zu machen, ist Öffentlichkeitsarbeit notwendig, auch um auf Defizite und Notwendigkeiten im Umbau hinzuweisen. Es muss etwas passieren.“ Und weiter: „Mir wird gerne Selbstdarstellung unterstellt. Dabei geht es mir darum, zu informieren und Transparenz herzustellen.“

Bei der Linken heißt es dagegen: „Die Außendarstellung ist eine Katastrophe. Da bekommen wir regelmäßig Gänsehaut. Wir freuen uns über jedes Interview, das einigermaßen okay ist“, sagt ein Mitglied der Landtagsfraktion, das anonym bleiben will. Der innenpolitische Sprecher Dittes meint: „Kramer versteht sich als politischer und öffentlicher Akteur, dazu in zivilgesellschaftlicher Funktion. Mit dem Amt als Präsident des Verfassungsschutzes stellt sich das aber als unvereinbar dar.“

Am umstrittensten ist Kramers Aktivität auf Twitter. Regelmäßig kommentiert er politische Entwicklungen. „Populismus ersetzt kein Konzept und erst recht keine konsequente Abschiebung! Leistungen für Asylbewerber verringern“, twitterte Kramer Anfang September. „Souveränität und klare Kante sind gefragt! Chapeau Heiko Maas. Maas hält AfD-Programm für grundgesetzwidrig“, wenige Tage später. „Manchmal fragen wir uns, ob Herr Kramer seinen Account als Arbeitsinstrument des Verfassungsschutzes versteht“, kritisiert Dittes.

Jüngst im November löste Kramer einen regelrechten Schlagabtausch aus, als er eine Schlagzeile der Welt, wonach 30.000 abgelehnte Asylbewerber nicht auffindbar seien, zitierte und kommentierte: „Kontinuierlicher Vollzug des geltenden Rechts statt Aktionismus.“ Die Zahlen, zuerst von der Bild lanciert, hatten sich da bereits als falsch entpuppt. Auf Katharina König-Preuss’ Vorwurf, er verbreite Fake News, antwortet Kramer: „Immer gleich persönlich werden ... was anderes können Sie nicht! Habe fakenews gerade bemerkt und eine Nachricht dazu retweetet …“ Vorübergehend blockierte er die Linken-Abgeordnete in seinem Twitter-Profil.

„In seiner Position hat er eine besondere Verantwortung, mit Informationen umzugehen. Der kommt er schlicht nicht nach“, sagt König-Preuss. „Sein Verständnis von Transparenz des Verfassungsschutzes scheint sich auf seine Twitter-Aktivitäten zu beschränken. Doch es wird nicht deutlich, welche Einordnungen er trifft und für wen.“ Selbst wenn er Forderungen als Privatperson stelle, bedeuteten sie immer eine Stärkung des Verfassungsschutzes. Gerne erkenne er dort terroristische Gefahren – „weil sie den Einsatz von V-Leuten möglich machen würden“, sagt sie. „Die Grenzen sind nicht klar gezogen.“

Am Schreibtisch im achten Stock der Behörde zählt Stephan Kramer seine Zwischenerfolge auf. Transparenz und Offenlegung von Informationen, wo immer es möglich sei, etwa. „Das Haus hat eine andere Fehlerkultur und eine Neuorientierung erhalten.“ Zudem arbeite es nun mit zivilgesellschaftlichen Akteuren zusammen.

Bei Letzteren sieht man das etwas anders, zumindest bei der „Mobilen Beratung in Thüringen“, die über die Aktivitäten Rechtsextremer aufklärt. „Für uns ist der Verfassungsschutz in seiner Existenz nicht diskutabel, ganz gleich, wer ihm vorsteht“, sagt deren Vorsitzender Sandro Witt. „Die Frage einer Zusammenarbeit kann sich uns gar nicht stellen. Der Verfassungsschutz sollte aufgelöst werden und das Geld lieber in die Stärkung der Zivilgesellschaft, in Jugendarbeit und Beratungen gegen rechts investiert werden.“ Und: „Chef des Verfassungsschutzes, den Titel wird man auch um 22.30 Uhr beim Bier nicht los.“

Kramer gibt sich unbeirrt: „Ich gehöre nicht zu denen, die aufgeben. Ich werde weiterkämpfen.“

Der digitale Freitag

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Geschrieben von

Matthias Jauch

Freier Journalist, Berlin|Hamburg, unter anderem beim Freitag, twittert unter @MatthiasJauch

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