Kaum eine Woche ist seit den blutigen Anschlägen von Paris vergangen. Mindestens 132 Menschen verloren dort ihr Leben. Bis zu den fast reflexartig vorgetragenen Forderungen nach neuen Überwachungsmaßnahmen und intensiveren Kontrollen vergingen kaum Stunden.
So beabsichtigt David Cameron, die britischen Geheimdienste massiv aufzustocken, 1900 neue Stellen zu schaffen. Die Ausgaben für die Sicherheit an britischen Flughäfen sollen gar verdoppelt werden. Und Deutschland? Der stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (GdP), Jörg Radek, warb schon am Tag nach den Anschlägen für eine längere Speicherfrist von Verbindungsdaten. „Das eng gefasste Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung muss überdacht werden“, so Radek ge
für eine längere Speicherfrist von Verbindungsdaten. „Das eng gefasste Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung muss überdacht werden“, so Radek gegenüber der Rheinischen Post. Dabei wurde das umstrittene Gesetz über eine Speicherung von zehn Wochen von Bundestag und Bundesrat erst vor wenigen Tagen verabschiedet. Doch laut Radek „können damit möglicherweise zukünftige Terroranschläge verhindert werden, weil wir so an Informationen über die Terroristen kommen, an die wir sonst nicht gelangen.“Doch der Erfolg einer strengeren Überwachung ist äußerst zweifelhaft. Der Anschlag auf den Marathon von Boston im April 2013, der Angriff auf die Redaktion von Charlie Hebdo in Paris im Januar 2015, nun die simultanen Anschläge der vergangenen Woche – das gesamte Arsenal der westlichen Geheimdienste war in der Vergangenheit immer wieder nicht in der Lage, Anschläge wirksam zu verhindern. Einen möglichen Grund, warum die Terrorpläne von Paris nicht rechtzeitig entdeckt wurden, benannte der belgische Innenminister, als er auf die vielfältigen Kommunikationskanäle der Terroristen hinwies, etwa die Nutzung von Spielekonsolen. „Die Playstation 4 ist noch schwerer zu tracken als WhatsApp“, sagte Jambon. Eine derartige Konsole wurde auch bei den Festnahmen von Terror-Verdächtigen im Brüsseler Stadtteil Molenbeek sichergestellt.Über die PS4 können Nutzer im Internet per Chat direkt und verschlüsselt miteinander kommunizieren. Selbst Telefonate sind über ein angeschlossenes Headset möglich, ob in einem Online-Spiel oder auch über die Plattform des Gerätes selbst – perfekt geeignete Methoden, um sich über weite Distanzen auszutauschen. „Spielekonsolen und auch Spiele mit einem Onlinemodus bieten eine Viezahl an Möglichkeiten, um mit anderen zu kommunizieren. Das ist aus meiner Sicht vielen Menschen gar nicht so bewusst“, sagt Thomas Gabriel Rüdiger, Kriminologe an der Fachhochschule der Polizei des Landes Brandenburg. Das gilt auch für Terroristen. "Spielekonsolen aber auch Onlinespiele als Plattformen für Kriminelle zu sehen, ist in den sicherheitspolitischen Debatten bisher kaum präsent“, so Rüdiger. „Anders als Smartphones sind sie bisher nicht im Fokus der Ermittlungen“, sagt auch Marko Rogge vom IT-Dienstleister Conturn. Neu ist das Phänomen allerdings nicht. Schon im Jahr 2008 warnte der EU-Koordinator für die Terrorismusbekämpfung Gilles de Kerchove vor terroristischen Aktivitäten in virtuellen Welten. Durch die Snowden-Dokumente wurde 2013 öffentlich, dass die NSA seit Jahren Online-Spiele überwacht. Doch bei allen Anstrengungen, die westliche Geheimdienste unternehmen, haben sie noch immer erhebliche Schwierigkeiten mit der Kommunikation in den Spiele-Netzwerken. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Kommunikation technisch sicherer sein soll“, so Rüdiger. Auch an der hohen Zahl an Nutzern, bei der Playstation-Systeme, immerhin 110 Millionen Menschen, liege es nicht. „Ich könnte mir vorstellen, dass im sicherheitspolitischen Denken eine Tendenz zur Verharmlosung von virtuellen Spielewelten existiert“, sagt Rüdiger. Dabei werden Online-Spiele nicht nur zur Kommunikation, sondern auch zum Geldtransfer genutzt. Die Transparenz fehlt jedoch auch hier: „Das Ausmaß der Geldwäsche über virtuellen Welten lässt sich kaum abschätzen. Niemand kann sagen, in welcher Weise, durch wen und an wen Gelder in diesem Bereich tatsächlich fließen."IT-Forensiker Rogge sieht das Problem nicht in einer Verharmlosung der Spielkonsolen durch Verantwortliche: „Es ist unglaublich schwierig aus der Menge an Informationen, das relevante herauszufiltern“, so Rogge. „Ohne konkrete Anhaltspunkte auf die Person besteht keine Chance, die Kommunikation zu entdecken. Wenn ich die Spielernamen keinen Terroristen zuordnen kann, habe ich auch keine Chance die relevanten Metadaten abzugreifen.“ Dass die Sicherheitsdienste in den USA und Großbritannien massive Probleme mit der Entschlüsselung der Kommunikation in den Spielewelten haben, wird auch an der erneuerten Kritik an Edward Snowden deutlich. Wieder warfen ihm US-Kommentatoren vor, mit seinen Leaks im Jahr 2013 Terroristen gewarnt und gestärkt zu haben. Es habe eine Verlagerung der Kommunikation stattgefunden. Eine solche Verlagerung, einen Trend gerade zur virtuellen Spielerwelt, erkennt Rogge nicht: „Jedes kriminelle System sucht sich immer wieder neue Wege, um zu kommunizieren. Die Ermittlungsbehörden sind in der Regel immer einen Schritt dahinter.“ Ein Teufelskreis.Schon heute geben Geheimdienste jährlich viele Milliarden zur Überwachung von Kommunikationssystemen aus. Doch was nützt das, wenn Terroristen den Geheimdiensten immer einen Schritt voraus sind? Was bleibt, ist, dass bei allen nun laut werdenden Forderungen nach noch mehr Kontrolle zugunsten trügerischer Sicherheit ein immer größerer Teil von Privatsphäre und individueller Freiheit geopfert wird. Dieser Deal erscheint aber gerade dann mehr als fragwürdig, wenn Terroristen ohnehin immer wieder neue Kommunikationswege finden, die augenscheinlich von keiner noch so progressiven Überwachung erfasst werden. Dass sich so alle Anschläge verhindern lassen, bleibt eine Illusion.
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