Das Mittagessen kommt mit 30 Stundenkilometern in der pinken Thermobox. Moritz Weger* trägt sie auf dem Rücken, während er auf seinem Mountainbike durch die Kölner Innenstadt rast. Der Kurier des Lieferservices Foodora weiß, dass ein Teil seines Gehalts davon abhängt. Kaum hat er geliefert, vibriert sein Handy, zeigt den nächsten Auftrag an. „Im Verlauf einer Schicht kann man von einem Ende der Stadt zum anderen geschickt werden“, sagt er. Dutzende Kilometer legt Weger, 32, so täglich zurück. Der Algorithmus einer Smartphone-App soll für eine permanente Auslastung sorgen. Das Problem: Von den neun bis zehn Euro pro Stunde, die Foodora ihm erfolgsabhängig zahlt, trage er Reparatur- und Verschleißkosten. Ein Drittel seines Gehalts will er so im Winter investiert haben. „Als ich diese Missstände einmal gegenüber Vorgesetzten ansprach, wurde mir tatsächlich die Kündigung nahegelegt“, sagt er. „Im Grunde wird man vom Unternehmen ausgenutzt.“
* Namen geändert
Die Arbeit, die Weger verrichtet, auch die Kritik, die er übt, ist kein Einzelfall. Rund 3.500 Kuriere beschäftigen die Premium-Lieferdienste Foodora und Deliveroo hierzulande. Dass es sich um einen lukrativen Markt handeln muss, sieht man im Straßenbild deutscher Großstädte, aus dem die Boten mit ihren Lieferboxen kaum noch wegzudenken sind. Sie befördern Gerichte aus gehobenen Restaurants und angesagten Imbissen direkt an die Wohnungstür oder zum Arbeitsplatz des Kunden. Die Start-ups vermitteln die Bestellungen und übernehmen die Lieferung.
Fünf Euro für zwei Stunden
Foodora und Deliveroo sind keine kleinen Akteure: Hinter den Unternehmen stehen finanzstarke Investoren. Foodora gehört zum Lieferdienstnetzwerk Delivery Hero, das gerade den bislang größten Börsengang des Jahres hinlegte. Wie das britische Deliveroo weist es eine milliardenschwere Bewertung auf. Die Beschäftigungsverhältnisse der Fahrer sind unterschiedlich: Viele sind festangestellt, als Mini- oder Midi-Jobber oder in Vollzeit, andere, wie 40 Prozent der Deliveroo-Kuriere, arbeiten als Freelancer. Branchenkenner rechnen längst damit, dass nur eines der Unternehmen am Premium-Markt bestehen wird. Viele Millionen Euro steckten die beiden Konkurrenten in den letzten Jahren in Merchandising und Werbung. Doch als größter Kostenfaktor gelten die Kuriere. Ihre optimale Auslastung und die Optimierung ihrer Routen treiben die Start-ups immer weiter voran. Der Kampf um den lukrativen Markt wird vor allem auf dem Rücken der Boten ausgetragen.
Erstmals in Deutschland führte die Unzufriedenheit der Kuriere zum Protest. Rund 80 Fahrer von Deliveroo und Foodora beteiligten sich Mitte Mai an einer Kundgebung in Berlin, mit der die Freie Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union (FAU) auf deren Arbeitsbedingungen aufmerksam machen wollte. Bei einer Demonstration Ende Juni warfen Kuriere alte Schläuche und Fahrradmäntel vor die Zentrale von Deliveroo. Ein Sprecher der Gewerkschaft kann im Gespräch nicht verhehlen, dass die Vorbilder in Italien und Großbritannien liegen, wo schon 2016 Kuriere der Lieferdienste protestierten. In Österreich kam es bereits zur Gründung eines Betriebsrates.
Viele der Kuriere, die in Berlin demonstrieren, organisieren sich über die FAU. Stefan Ahlhaus*, 30, ist einer von ihnen. Seit Jahresbeginn fährt er für Deliveroo, sieht es als Übergangsjob nach dem gerade beendeten Informatikstudium. Als Freelancer bekomme er fünf Euro pro Lieferung. „Das bedeutet auch, dass ich manchmal nur fünf Euro in zwei Stunden verdiene“, sagt er. Dazu kommen die Verschleißkosten am Rad, am Handy und die unbezahlte Schichtplanung über ein Online-Tool. Zwar gebe es eine Unfallversicherung. Allerdings: „Ohne Eigeninitiative erfährt man von Deliveroo kaum etwas. Informationen gibt es vor allem dazu, wie wir das Essen transportieren sollen oder wie die Box sauber bleibt“, so Ahlhaus. „Im Grunde werden alle Risiken auf uns abgewälzt“, sagt er. Das Unternehmen kann auf Anfrage keine Mängel bei den Arbeitsbedingungen erkennen, spricht von „gut bezahlten Kooperationsmöglichkeiten“, von Austauschgesprächen und davon, dass Selbstständige im Durchschnitt 16,50 Euro verdienten. Auch Benzinkosten erstatte Deliveroo. Foodora verweist darauf, „schon seit letztem Jahr“ zu prüfen, inwieweit Arbeitskosten für „Betriebsmittel“ anteilig übernommen werden könnten. 84 Prozent der Fahrer seien mindestens zufrieden mit ihrem Job.
Doch Kritik erreicht die Start-ups mittlerweile auch von Gewerkschaften: „Wir beobachten eine belastende, stressreiche Tätigkeit, die an Selbstausbeutung grenzt“, sagt Verdi-Pressesprecher Jan Jurczyk. Vertraglich werde durch eine niedrige Zahl zugesicherter Arbeitsstunden und die Möglichkeit von Überstunden Flexibilität erzeugt. Auch die Befristungen seien zu bemängeln. „Den Arbeitgebern scheint wenig daran gelegen, langfristige Arbeitsbeziehungen einzugehen oder Verantwortung für die Mitarbeiter zu übernehmen.“ Schließlich seien längst nicht alle Fahrer Studenten, die nur etwas hinzuverdienen wollen, für viele sei die Tätigkeit die einzige Einnahmequelle. Jurczyk ist überzeugt, dass es anders ginge: „Wir reden nicht von kapitalschwachen Jungunternehmern. Hinter den Unternehmen stehen finanzstarke Investoren, die durchaus die Mittel hätten, bessere Bedingungen für die Fahrer zu bieten.“
Betriebsrat für Foodora
Auch in Köln passiert in diesen Tagen etwas Einmaliges. Rund zehn Foodora-Fahrer wählten dort einen Betriebsrat, begleitet von der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG). Es ist die erste Gründung in einem der beiden Unternehmen. Die Gewerkschaft betreut die Fahrer seit einigen Monaten, organisiert rechtliche Schulungen und steht auch mit Foodora in Kontakt. Die Wahl des Betriebsrates verlief ohne Störungen. NGG-Mitarbeiter Mohamed Boudih sieht in der Gründung dennoch „eine heikle Mission“. Boudih sagt: „Normalerweise ist es schwer, befristete Mitarbeiter für einen Betriebsrat zu gewinnen.“ In der Regel hätten diese Angst, dass die Beschäftigung nicht verlängert wird. Und die Foodora-Fahrer in Köln seien im Grunde alle befristet angestellt. „Dass die Fahrer sich dennoch aus der Deckung wagen, zeigt, wie prekär die Arbeitsbedingungen sind“, so Boudih.
Immer mehr der insgesamt 220 Fahrer von Foodora in Köln kamen im Jahr 2016 auf die Gewerkschaft zu, Dutzende würden derzeit betreut. In der Regel würden diese nur neun Euro pro Stunde verdienen – minimal über dem gesetzlichen Mindestlohn von 8,84 Euro. Bisher habe sich das Unternehmen „kooperativ gegeben“. Doch er sagt auch: „Diese Arbeitsbedingungen sind kein Zufall, sondern vom Unternehmen gewollt. Sie sind Teil des Geschäftsmodells. Und ein Betriebsrat, der vernünftig seine Arbeit macht, gefährdet dieses Geschäftsmodell.“ Boudih sagt, für ihn werde es daher interessant zu sehen, wie sich das Unternehmen nach der Gründung in Köln verhält, ob es etwa die befristeten Fahrer schlicht nicht weiter beschäftigt. Gibt es dennoch Grund für Optimismus? Erfahrungsgemäß würden sich gerade nach der Gründung eines Betriebsrates noch weitere Mitarbeiter aus der Deckung wagen, so Boudih. Und er sagt auch : „Das wird eine Signalwirkung haben, auch auf andere Städte und ihre Fahrer.“
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