Sturm aufs digitale Buffet

Online Der Markt für Lieferdienste explodiert. Unter Gastronomen wird es viele Verlierer geben
Ausgabe 25/2016

Der Mann zieht die Blicke auf sich. Er steht mitten in einem Bio-Burger-Lokal in Berlin-Prenzlauer Berg und trägt eine dunkle Radlerhose, Funktionshemd und Fahrradhelm. Mit den jungen, hippen Gästen teilt er in diesem Moment nur das Alter. Er ist Fahrradkurier des Online-Lieferdienstes Deliveroo. „Sicher, solch ein Bild ist für die Gäste nicht schön“, sagt Karl Maria Kinsky, Inhaber des Burger-Restaurants Black Cat. „Deswegen haben wir den Kurieren eine Wartezone im Küchenbereich geschaffen.“

Wer in diesen Monaten in deutschen Großstädten ein Restaurant besucht, kommt an den Fahrradboten der diversen Lieferdienste kaum vorbei. Sein Umsatz habe sich durch das Liefersegment um 15 Prozent erhöht, sagt Kinsky. „Allerdings ist der Marketingeffekt viel wichtiger. Wer bei uns online bestellt, steht mit einem Fuß schon in der Tür.“

Das Konzept, mit Essensbestellungen über das Internet Geld zu verdienen, ist alt. Pizza-Lieferdienste, die ihre Bestellungen auch online entgegen nehmen, gibt es schon lange, ebenso Online-Plattformen, hinter denen große Unternehmen stehen. Etwa Lieferando, Teil der niederländischen Firma Takeaway, Lieferheld und pizza.de, die inzwischen zur schwedischen Firma Delivery Hero gehören. Die Idee ist einfach: Die Plattformen vermitteln Bestellungen an Restaurants, die auf der Seite gelistet sind und in der Nähe des Kunden liegen. Die Auslieferung ist Sache der Gastronomen. In der Vergangenheit galten sie oft als schnelle Fast-Food-Lösung.

Ein 90-Milliarden-Markt?

Nun hat die Start-up-Szene das Geschäft mit den Lieferungen für sich entdeckt. Smartphones machen eine Bestellung per App noch einfacher und könnten einen Massenmarkt entstehen lassen. Darauf wetten Unternehmen wie Rocket Internet. Die deutsche Start-up-Schmiede sieht gar einen 90-Milliarden-Euro-Markt bis zum Jahr 2019 – jetzt gerät der Markt in Bewegung. Risikokapitalgeber investieren seit einiger Zeit Millionen in Start-ups, um sich zu positionieren.

Bereits im vergangenen Jahr betrafen mit Delivery Hero, HelloFresh und Foodpanda drei der fünf größten Investitionen von Wagniskapital hierzulande Lieferdienste für Essen. Vom Herbst an will Amazon auf dem deutschen Markt mitmischen. Mit Amazon Fresh will der Internetgigant die Lieferung frischer Lebensmittel anbieten.

Seit kurzem sind Start-ups auch im Premium-Segment aktiv, liefern aus gehobenen Restaurants und angesagten Imbissläden. Das Start-up stellt die Boten, die Restaurants kümmern sich lediglich um das Essen. Neben einigen kleinen Anbietern bestimmen vor allem zwei Namen das Bild: Deliveroo und Foodora. Mit Gutscheinen und Aktionen fluten sie den Markt und pflastern die Werbeflächen deutscher Großstädte mit Bannern. Es ist ein Kampf um die Marktführerschaft. Beide Start-ups wachsen schnell. Foodora, vor kurzem von Rocket Internet an Delivery Hero weitergereicht, nennt ein Bestellwachstum von 30 Prozent im Monat.

Wie viel Profit aber bei den Restaurants ankommt, ist fraglich. Zur Höhe der Provision pro Bestellung und der Gebühren, die für die Listung auf der Plattform anfallen, wollen sich die Start-ups nicht mehr äußern. 2015 jedoch bekundeten Deliveroo und Foodora, Provisionen in Höhe von 30 Prozent anzupeilen. Bestellt ein Kunde also im Wert von 18 Euro, erhält das Start-up allein 5,40 Euro Provision. Ein enges Geschäft für Gastronomen, ein lukratives für die Start-ups. „Ob 15 Prozent bei herkömmlichen Lieferdiensten oder 25 Prozent und mehr im Premium-Segment: Das sind völlig verrückte Zahlen. Die Start-ups gehen an der Stelle über Leichen“, sagt ein Branchenkenner, der anonym bleiben möchte.

Black-Cat-Inhaber Kinsky sagt: „Die Start-ups versuchen, einen exklusiv zu binden. Darauf haben wir uns nicht eingelassen. Das Black Cat sei bei Foodora, Deliveroo und Resto-in gelistet, liege auch deutlich unter den viel zitierten 30 Prozent Provision. Andere Gastronomen verhandeln schlechter. Nicht alle haben die Marktmacht eines Szenerestaurants. Manche sollen Provisionen von bis zu 35 Prozent zugestimmt haben.

Die Kuriere sind Teil des Systems. Max Gebhardt, der eigentlich anders heißt, ist einer von ihnen. Zusammen mit rund 400 weiteren Kurieren fährt er in Berlin für Foodora. Er sagt: „Mit dem Lohn bin ich nicht gerade zufrieden. Gemessen an dem Stress, den wir haben, ist die Bezahlung von neun Euro die Stunde nicht wirklich gut.“ Viele wie Gebhardt haben gerade ihr Studium abgeschlossen oder verdienen sich nebenher etwas dazu. Für andere ist es ein Vollzeitjob. Handelt es sich dabei um eine Festanstellung, dann gehen vom geringen Lohn noch Sozialversicherungsbeiträge und Steuern ab.

Schon länger beobachtet Ingrid Hartges, Hauptgeschäftsführerin des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga), den Markt. Sie wählt ihre Worte vorsichtig: „Das Liefersegment kann für beide Seiten durchaus eine Win-win-Situation sein.“ Deutliche Umsatzzuwächse seien entscheidend. Doch Probleme sieht auch sie: „Die Branche ist sehr arbeitsintensiv, die Personalkosten sind hoch und die Gewinnmargen oftmals gering.“ Immerhin gebe es sechs Mal mehr Beschäftigte als im Lebensmitteleinzelhandel. „Im Lieferservice-Segment muss man hochgradig professionell arbeiten, damit es sich rechnet.“ Gerade die Höhe der Provisionen betrachtet sie daher kritisch: „Die Zusatzkosten müssen in der Gesamtkalkulation berücksichtigt werden. Mit Blick auf die Preissensibilität der Kunden und die Wettbewerbssituation sind Provisionen von 15 Prozent oder mehr eine große Herausforderung“, sagt Hartges.

Unter den Gastronomen wird es nicht nur Gewinner geben. Einen Einblick bietet der Franchisegeber Call a Pizza. Mit seinen knapp 100 deutschen Standorten war das Unternehmen lange bei pizza.de gelistet, erwirtschaftete so 50 Prozent seines Umsatzes. Als Delivery Hero im August 2014 die Plattform pizza.de übernahm, kühlte sich das Geschäftsverhältnis rasch ab. „Es lag schlicht an den Provisionen“, sagt Call-a-Pizza-Geschäftsführer Thomas Wilde. Vor der Übernahme fiel pro Bestellung eine Provision von 36 Cent an. Bald stand eine wesentlich höhere Forderung im Raum. Gastronomen, die sich auf Provisionen von 15 Prozent oder mehr einließen, sparten sich dann meist eine eigene Webseite und Marketing – im Gegensatz zu Wilde. „Es kann nicht sein, dass die Online-Plattform als reiner Dienstleister einen derart hohen Anteil vom Bruttoumsatz erhält“, sagt er.

Wie bei den Hotels

Delivery Hero ist mittlerweile in 35 Staaten aktiv und wird mit drei Milliarden Dollar bewertet. 2015 übernahm Rocket Internet knapp 40 Prozent der Anteile. Monatelang zogen sich im Frühjahr 2015 die Verhandlungen zwischen Call a Pizza und den neuen Eigentümern von pizza.de hin. Call a Pizza wurde währenddessen auf der Bestellplattform immer weiter heruntergestuft und auch aus den Bewertungsranglisten herausgenommen. „Es ist klar, dass man versuchte, uns zu erpressen“, sagt Wilde. Letztlich verschwand Call a Pizza ganz von der Plattform, wofür pizza.de nicht bezahlte Rechnungen ins Feld führte. „Davon wurde nach den Verhandlungen allerdings kein Cent mehr gefordert.“ Kurzzeitig sei der Umsatz dann tatsächlich stark eingebrochen. Doch in Lieferando fand Call a Pizza schnell einen neuen Partner. „Nun zahlen wir nur minimal mehr als vor der Übernahme von pizza.de, der Preis ist fair und angemessen“, sagt Wilde.

„Die unternehmerische Kalkulationsfreiheit ist das höchste Gut“, betont Dehoga-Vertreterin Hartges. Dass jedoch gewisse Abhängigkeiten der Gastronomen gegenüber den Lieferdiensten entstehen, glaubt auch sie. Die Listung im Online-Portal erinnere an die Preisvergleichsseiten in der Hotelbranche, die prozentual ähnlich hohe Provisionen beziehen würden. „Wenn die Marktmacht eines Lieferanten sehr groß ist, ist es schwer, sich dem zu entziehen“, sagt Hartges.

Ob Foodora oder Deliveroo: Branchenbeobachter sind sich einig, dass der Markt überschaubarer wird und sich auf Dauer auch im Premium-Segment nur ein Start-up durchsetzen wird. „Derzeit ist so viel Bewegung im Markt, dass ich gespannt bin, wo wir in zwei Jahren stehen“, sagt Hartges. „Nachhaltig kann diese Entwicklung allerdings nur werden, wenn sich für Gastronomen wie für die Online-Lieferdienste langfristig positive Effekte einstellen.“ Thomas Wilde formuliert es anders: „Es wird unter den Gastronomen viele Verlierer geben.“

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Geschrieben von

Matthias Jauch

Freier Journalist, Berlin|Hamburg, unter anderem beim Freitag, twittert unter @MatthiasJauch

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