Gäbe es ein Scherbengericht in Frankfurt an der Oder, dann wäre sein Ausgang im vergangenen Jahr klar gewesen. Jener Grundstücksanlieger, der die Klage gegen den Bau der Chipfabrik eingereicht hatte, wäre zum Feind der Stadt erklärt worden. Und er hätte sie nach demokratischer Abstimmung unbedingt für ein Jahr verlassen müssen. Diesem Kläger bleibt heute die Genugtuung: Den Prozess hat er zwar verloren, aber gesiegt hat er letztlich doch. Eine Chipfabrik wird es nicht geben, weder neben seinem Grundstück noch sonst irgendwo in der Stadt. "Es ist nicht mehr damit zu rechnen, dass das Unternehmen Communicant fortgeführt wird", lautete der entscheidende Satz in einer kurzen Erklärung von Wirtschaftsminister Ulrich Junghanns (CDU). Einen Tag später gaben die Investoren ihm Recht.
Mit einer "stillen Liquidation" geht nun ein, was vor drei Jahren als Wunderwerk Manfred Stolpes lautstark begann. Seither drehten sich eindrucksvoll die Betonmischer, um harte Fakten an der Oder zu schaffen. Ein wahrer Ruck ging durch die Stadt, Roman Herzog hätte seine helle Freude gehabt. Neue Wasserzuleitungen und Straßen setzten sich über Naturschutzbedenken hinweg, für die 1.500 verheißenen Arbeitsplätze fanden schon Bewerbungsverfahren statt. Die vergessene Stadt im Osten witterte die Chance, jenes Zerrbild zu korrigieren, in dem jugendliche Frankfurter Jagd auf Polen und andere Ausländer machen, während ihre Eltern in Rentnerchören die DDR-Nationalhymne singen. Dass sich aus der Vergangenheit des DDR-Halbleiterkombinats doch noch eine Zukunft zusammenbasteln ließe - zum Greifen nah schien dieser Traum. Unter Beteiligung millionenschwerer Scheichs aus dem Emirat Dubai und des US-Weltkonzerns Intel sollte ein "Leuchtturm", ein "wirtschaftlicher Kristallisationspunkt" entstehen. Und so zögerte die Landesregierung nicht, mit 38 Millionen Euro die Betreiberfirma Communicant zu unterstützen. Weitere 38 Millionen waren noch vor zwei Wochen sicher zugesagt.
Zu Recht hat Wirtschaftsminister Junghanns auf das "große Einvernehmen aller Beteiligten" hingewiesen, das am Beginn des Unternehmens gestanden hatte. Aber zwischenzeitlich hat sich mit dem Einbruch der "New Economy" nicht nur der Markt verändert. Auch das Verhältnis zwischen den großen Geldgebern aus dem islamischen Dubai und den Vereinigten Staaten blieb vom Irakkrieg nicht unberührt. Am Ende beschränkten sich die Scheichs aufs Mauern und Belauern. Dubai wollte nur noch die zugesagten Summen überweisen, wenn Staatsgarantien praktisch jedes Risiko ausschließen. Und so ließ sich auch die Bundesregierung Zeit mit ihrer Bürgschaftsbewertung. Die EU legte mit Extra-Forderungen Steine in den Weg. Bundesverkehrsminister Stolpe forderte noch im November die Landesregierung auf, ihre "Hausaufgaben" zu machen. Matthias Platzeck, sein Ziehsohn im Amt, konterte nur mühsam beherrscht, dass man nicht so dastehen würde, wenn unter Stolpe als brandenburgischem Ministerpräsidenten das Fell des Bären nicht verteilt worden sei, bevor er erlegt war.
Jeder kann heute jeden mit Recht beschuldigen. Die entschlossenen Befürworter, also die Frankfurter und die Landesregierung in Potsdam, blieben letztlich einflusslos, hatten kein Gewicht. Wenn das Projekt schief geht, wird es viel teurer, warnte Ministerpräsident Platzeck fünf Minuten vor Zwölf. Communicant-Vorstandschef Abbas Ourmazd soll nun erklären, wie es zum Baustart kommen konnte, ohne dass die Finanzierung gesichert war. Ulrich Junghanns ist erst seit einem Jahr Minister im Bundesland, dieses Scheitern trifft ihn politisch nicht wirklich.
Verantwortung trägt schon eher sein Vorgänger Wolfgang Fürniß. Er, der ehemalige Englischlehrer, führte die entscheidenden Verhandlungen und brachte nach jeder Sitzung frohe Botschaften. Als seine Verhandlungspartner ihm persönlich eine Überweisung von einer Million Dollar zukommen ließen, die Fürniß Kredit nannte, war er allerdings nicht mehr zu halten. Die eigentliche Pointe zeichnete sich vor einem halben Jahr ab. Aus den ansonsten geheimen Verträgen wurde bekannt, dass dem Emirat Dubai der Bau einer "Zwillings-Fabrik" in der eigenen Wüste für den Fall zugestanden wird, dass in Frankfurt ein solches Werk nicht zustande kommt. Anders gesagt: Das in Frankfurt/Oder mit Millionen Steuergeldern entwickelte moderne Verfahren zur Chipproduktion war den Arabern auf einem silbernen Tablett serviert worden. Sie mussten nur das Frankfurter Projekt scheitern lassen. Ebenso ging die Lizenz des Frankfurter Instituts für Halbleiterphysik an den Konzern Intel.
Es gibt also gute Aussichten, dass die Affäre so banal endet, wie man es sich nur denken kann: Die Deutschen wurden schlicht ausgetrickst und zahlen den Kaffee. Nur scheinbar steht das im Einklang mit solider DDR-Tradition. Weil seinerzeit im eigenen Land keine Verwendungsmöglichkeiten bestanden, sorgten hochwertige DDR-Patente anderswo für wirtschaftlichen Aufschwung und Vorsprung. Aber sie wurden wenigstens verkauft.
Was nun bleibt, ist der Rohbau, ein gigantisches Mahnmal dafür, dass der Kapitalismus mit dem Osten Brandenburgs nichts anfangen kann. Ein zweiter sinnentleerter Koloss von den Ausmaßen des Palastes der Republik. Der Wind weht durch die Hallen. Wolken ziehen drüber hin. Frankfurt hatte Hoffnung auf etwas Marktwirtschaft. Diese Hoffnung führt nun die Oder mit sich flussabwärts. Elche und Wölfe sind dort schon gesichtet worden. Bald werden die Bären folgen.
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