Das ultramoderne Brasilia hat den Architekten Oscar Niemeyer berühmt gemacht. Das barocke Potsdam hat ihn bloß reicher gemacht. Vor einiger Zeit erhielt Niemeyer von der Stadt den Auftrag, ein Spaßbad zu projektieren. Eingesandt hatte der Künstler einen Entwurf, der an eine futuristische Mondkolonie und daran erinnerte, wie man sich derartige Etablissements in den fünfziger Jahren vorstellte. Das gefiel nicht allen. Der Streit darüber, ob man dem Potsdamer Stadtbild diese Moderne antun sollte, ist jäh beendet worden: Das Wirtschaftsministerium zerriss den Plan, gleich mehrere Förderbedingungen seien nicht erfüllt, hieß es. Kein Geld, kein Bad, kein Spaß. Dafür blieb eine Mondlandschaft zurück, die schon mal für vier Millionen aufgerissen und nach Blindgängern durchsucht worden war.
Oscar Niemeyer ist über 90, er hat als Honorar eine knappe Million überwiesen bekommen und kann gönnerhaft drüberstehen. Potsdam kann das schon lange. Über Nebensächlichkeiten spricht Oberbürgermeister Jakobs (SPD) ohnehin nicht gern. Zum Beispiel über die gescheiterte Bewerbung als Kulturhauptstadt Europas. Schließlich hat die stolze Perle an der Havel mit ihren 16 Schlössern oder schlossähnlichen Gebäuden vor allem Erfolge aufzuweisen. Sie erstrahlt in altem Glanz. Am Wasser und unweit von Berlin liegt Potsdam inmitten sanfter Hügel und genießt sich selbst. Vor 17 Jahren hat ein wahrer Wettlauf von Privatpersonen, Unternehmen, Banken, Verbänden oder Stiftungen eingesetzt, um dieser Perle mit ungeheurem finanziellen Aufwand wieder die angemessene Fassung zu geben.
Millionen Touristen würdigen das Ergebnis. Während Hotels im Land Brandenburg als Pleiteaspiranten gelten, sind sie in Potsdam Selbstläufer. Die Arbeitslosigkeit ist hier seit der Wende nur halb so groß wie im Landesdurchschnitt. Nirgends gibt es Institute in solcher Dichte. Oracle hat sein Deutschlandzentrum in Potsdam errichtet, VW sein Designzentrum. Selbst die Studenten der Stadt gelten als die reichsten in ganz Ostdeutschland. Das neue Theater macht architektonisch der Oper in Sydney Konkurrenz. Das Stadtschloss soll demnächst als Landtagshort wieder erstehen, was Abermillionen und die Verlegung gerade renovierter Straßen und Brücken kostet.
In der Tat, es hat den Anschein, als liege diese Stadt auf einem anderen Stern und keineswegs in Ostdeutschland. Bevölkerungszuwachs, Gewerbesteuer-Explosion, ausgeglichener Haushalt, viele junge Frauen und eine Art Babyboom. Vorbildlich, ja akribisch rekonstruierte schöne Häuser, die darüber hinaus vermietet sind. Man fragt sich: Was hat dieses schillernde Gemeinwesen mit dem verschuldeten, notorisch schwächelnden Brandenburg zu tun? Bis einem aufgeht, dass es durchaus einen Zusammenhang gibt und - nüchtern gesehen - beide, Stadt und Land, ihre überlieferten Positionen wieder eingenommen haben: Brandenburg als fast flächendeckend Industrie freie, ländliche Region - seine Hauptstadt als preußisch-deutsche Puppenstube, als Beamten- und Militärstadt, in der Preußens Glanz das Gloria heute noch erahnen lässt. Schiere 33.000 Besucher ließen sich vor einigen Tagen die nun schon traditionelle Schlössernacht im Sanssouci-Park gefallen und begaben sich erneut auf die Suche nach dem "Geist des Ortes", wie feinsinnige Ästheten einen großen Unbekannten nennen.
Viele kleine Mauern
Die Mauer fiel. Und alle, alle kamen. Günter Jauch und Wolfgang Joop, Friede Springer, Volker Schlöndorff, Ex-Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye, Berlins Innensenator Körting. Ministerpräsident Platzeck weiß zu berichten: "Immer kommt jemand und fragt, ob ich nicht doch noch einen Geheimtipp kenne, eine Villa, eine günstige Wohnung, ein besonderes Haus oder ein Grundstück am Wasser."
Die neuen Reichen aus dem Westen bemächtigten sich Potsdams edelster Teile und formten dort ihre Kolonien. Ausgesprochen gern sammelten sie sich am Heiligen und am Griebnitzsee. Am Ufer des Letzteren verlief bis 1990 die Grenze zum Westteil Berlins, und die Wende vermachte den Potsdamern einen handfesten Gewinn in der neuen Grenzenlosigkeit. Der Postenweg der DDR-Grenzer am Griebnitzsee wurde einer der schönsten Spazierpfade der Stadt. Und der umstrittenste. Denn einige der neuen reichen Anrainer wollen inzwischen bei ihrem Zugang zum Wasser nicht länger irgendwelchen flanierenden Hinzen oder Kunzen begegnen. Sie kämpfen darum, dass der zu DDR-Zeiten für die Öffentlichkeit verbotene Weg erneut verboten wird. Bislang hielt die Stadtverwaltung stand. Ließ Kieshaufen wegräumen, die den Weg versperrten. Untersagte Behinderungen der Radfahrer und Jogger. Inzwischen säumen den Uferweg punktuell Wehranlagen aus Beton und Drahtverhau, welche die Architekten der einstigen Grenzanlagen vor Neid erblassen lassen könnten. Das Ganze ist ein unbezahlbares Symbol für Ostdeutschland schlechthin. Die große Mauer ist gefallen, die vielen kleinen erheben sich.
Nicht nur Brandenburg ist zweigeteilt, auch Potsdam. Wo hier die Grenze verläuft, erläuterte vor einigen Jahren ganz jovial ein höherer Beamter der Landesregierung: "Die Brandenburger - das sind hier die Schreiber." Natürlich kommt es zu solcherart Offenbarungen nicht häufig, man kennt die Regeln der geltenden spezifischen Verlogenheit. Jeder weiß, dass der Mann völlig Recht hat. Aber das ist noch längst kein Grund, es auszusprechen, jedenfalls nicht in der Öffentlichkeit.
Die Prominenten geben bei jeder sich bietenden Gelegenheit vor, Potsdam zu lieben. Tatsächlich lieben sie vor allem sich selbst und suchen den passenden Hintergrund, der ihre Exklusivität so recht erstrahlen lässt. Die Idee, die Sanssouci-Parks mit Eintrittsgeld zu belegen, findet bei vielen Bessergestellten Anklang. Warum sollte das Geld nicht bestimmen, wem Potsdams Schönheiten gehören? Vorerst bleibt es bei Automaten, die einen freiwilligen Obolus schlucken, doch zieht die Parkpolizei die Zügel schon mal an, beseelt von neuem Preußengeist: Wege im Park sind nicht länger Radwege, Wiesen keine Liegewiesen, die Parkufer keine Badeanstalt.
Der Zusammenbruch der Industrie in Potsdam wie der Teltower und Stahnsdorfer Umgebung nach 1990 ließ die Alteingesessenen oft in ihren Plattenbauten Waldstadt, Stern, Schlaatz, Drewitz und Zentrum Ost verharren. Daraus wurden rasch die Refugien der Arbeitslosen. Aus den Villengegenden sind diese Leute längst verdrängt. Modemacher Joop, dessen ästhetischer Sinn durch die alten Neubauviertel beleidigt wird, sagte der Süddeutschen Zeitung, angesichts dieser Gebäude möchte man al-Qaida anrufen. So spricht ein Neu-Potsdamer von den alten. Bertolt Brecht ersann - bezogen auf Typen wie Joop - den Fisch Fasch mit seinem schneeweißen Asch. Selbstverständlich hat Joop das nur so zum Spaß gesagt, dass er die - immerhin bewohnten - Häuser am liebsten wegsprengen ließe.
Unbeirrt geht das Lämmerhüpfen von Politik und Medien um die Neu-Potsdamer Promis trotzdem weiter. Als Wolfgang Joop seinerzeit ein neues Parfum effektvoll präsentieren wollte, schloss ihm die Landesregierung dafür gar historische Gebäude im Sanssouci-Park auf. Sie nahm in Kauf, dass die spitzen Hacken der edlen Damen das historische Parkett ruinierten, wo es die versehentlich herabrieselnde Zigarrenasche noch nicht getan hatte. Die Frage, warum dann nicht gleich jedes Autohaus seine Gebrauchtwagen im Neuen Palais vorführen sollte, überging die Staatskanzlei geflissentlich. Aber Joop wäre nicht er selbst, wenn er sich nicht auf seine Weise revanchiert hätte. Fisch Fasch schloss seine Edel-Boutique in der Potsdamer Innenstadt, sein Geschäftsführer teilte mit, die Potsdamer seien eben noch nicht reif für diese Art Kleidung.
Weiche nie von Gottes Wegen
Längst vorbei ist die Zeit, in der Heinrich Heine schrieb, in Potsdam gebe es nichts außer Himmel und Soldaten. Das Militär bestimmt das Stadtbild nicht mehr. Lange ist es her, dass an Sonntagen blutjunge, verängstigte Rotarmisten in Paradeuniform von ihren Zugführern durch die Parks geführt wurden. Das letzte Andenken an die Russen, eine Lenin-Skulptur in der Schopenhauerstraße, ist vor zwei Jahren von einem Investor abgeschraubt worden. Dass es sich um ein Werk handelte, welches in der Denkmalliste Potsdams aufgeführt ist, tat nichts zur Sache.
Die Bundeswehr nutzt heute nur wenige der alten Potsdamer Kasernen. Das große Kommando, das die Auslandseinsätze bis in die Weltgeltung hinein koordiniert, findet sich einige Kilometer außerhalb der Stadt. Anfang der neunziger Jahre brachen Unbekannte in den dortigen Kasernen ein, setzten die Wächter fest, luden in aller Ruhe die Bewaffnung einer kompletten Kompanie auf einen Lkw und fuhren davon. Nie wieder hat man von ihnen etwas gesehen oder nur gehört.
Dafür hört man in Potsdam anderes. Die Fallschirmspringer der einstigen Iserlohn-Kaserne hatten nach der Wende in Potsdam einen Nachbau des Glockenspiels der Garnisonskirche neben jenem Platz aufgestellt, an dem die Ruine der Kirche 1968 gesprengt worden war. Seit 1994 ertönt nun wieder: "Üb´ immer Treu´ und Redlichkeit, bis an das kühle Grab. Und weiche nie um einen Deut von Gottes Wegen ab." Der Wind trägt die musikalische Sendung in den nebenstehenden Landesrechnungshof, dessen Vizepräsident seit drei Jahren wegen eines Betrugsvorwurfs vom Dienst suspendiert ist. Preußische Tugenden haben die Nachwende-Ministerpräsidenten von den Brandenburgern verlangt: Bescheidenheit, Pflichterfüllung, Treue. Von denen, die nach der Wende zusehen mussten, wo sie blieben.
Gegenüber den rund 4.000 Bediensteten im höheren und hohen Staatsdienst, die aus den alten Bundesländern stammen und selbstredend mehrheitlich auf Gottes Wegen wandeln, wurde diese Forderungen nicht erhoben. Die hätten darüber schallend gelacht.
Sie konnten in Potsdam zum Teil binnen dreier Jahre Karrieren hinlegen, zu denen sie im Westen Jahrzehnte benötigt hätten. Sie genossen neben ihren 100-Prozent-Gehältern Buschzulagen, Zulagenzuschläge, zeitweilig noch extra Ministerialzulagen, Beamtenkindergeld, Umzugsbeihilfen, gestützte Essensangebote in neuen Gourmettempeln, das Recht auf den blauen Montag - das ganze Sonnensystem an Vorrechten, mit denen der deutsche Staat diejenigen verwöhnt, denen er den sicheren, hoch bezahlten Arbeitsplatz im öffentlichen Dienst garantiert. Dazu gehörte auch Trennungsgeld, ohne das es nicht zumutbar gewesen wäre, ins westsibirische Potsdam zu ziehen.
In den zurückliegenden Jahren freilich erschütterte ein einmaliger Skandal die Landeshauptstadt, als sich herausstellte, dass Trennungsgelder flächendeckend rechtswidrig gezahlt wurden: im hohen und höchsten Verwaltungsbereich, an Politiker, Wissenschaftler, Juristen. Im Sog der Affäre wurde ein Justiz-Staatssekretär wegen Betrugs verurteilt, musste der Präsident des Landesverfassungsgerichts zurücktreten, zahlten Gerichtspräsidenten, Staatssekretäre und Minister mehr oder weniger klammheimlich Trennungsgeld zurück. Über 1.000 Verdachtsfälle waren zu prüfen. Unter dem Eindruck dieses Geistes von Potsdam sprach Ministerpräsident Platzeck von einem "Anspruchsdenken, bei dem einem die Spucke wegbleibt". Ein unabhängiger Bericht sprach von Betrugswillen und Kameraderie. Treu´ und Redlichkeit waren vorübergehend unter die Räder gekommen.
Halten wir uns mit diesen Verirrungen einer Übergangsperiode nicht weiter auf, sondern lieber daran fest: Das einzig Böse, was dieser Stadt in ihrer gesamten Geschichte zustieß, waren die DDR-Jahre. Das ist ein wichtiger Eckpfeiler für den "Geist des Ortes". Zehn Jahre nach der Wende hat der Bildhauer Wieland Förster mit seiner Nike ´89 ein Urteil über das einschneidende Ereignis und die Folgen abgegeben. Was der Künstler uns mit dieser Freiheitsgöttin sagen wollte, die von einer Stele neben der Glienicker Agenten-Austausch-Brücke grüßt, bleibt nicht verborgen. Jedenfalls nicht jemandem, der Augen hat zu sehen. Diese Freiheitsgöttin ist praktisch kopflos, hat anstelle von Armen nur Stümpfe, dazu Flügelchen, mit denen sie sich keine zwei Zentimeter erheben könnte - dafür aber ein ungeheures Geschlechtsteil.
So ist es, nur wer hat, gehört zur Crème. "Nur wer im Wohlstand lebt, lebt angenehm" (Brecht). Pro Tag öffnen in Potsdam gefühlte zwei bis drei neue Genusstempelchen, wo die Reichen und Schönen, die Verbeamteten und die Erfolgreichen sich anspruchslosen Zerstreuungen hingeben. Auf dem Grab von König Friedrich stapeln sich derweil die Kartoffeln. Man bekommt eine Ahnung davon, warum es der König vorzog, mit seinen Hunden zu ruhen. Beziehungsweise bei.
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