New Globals in Florenz

Massenprotest Berlusconis Saat der Angst ging nicht auf

Die von der römischen Regierung geschürte Hysterie vor dem Europäischen Sozialforum in Italien hatte unter anderem einen paranoiden Aufruf der Journalistin Oriana Fallaci (Autorin des anti-islamischen Bestsellers Die Wut und der Stolz) zur Folge: Zum Zeichen "der Trauer über die moralische Vergewaltigung der Stadt" sollten die Läden in Florenz geschlossen bleiben wie "1922, als Mussolinis Faschisten zum Marsch auf Rom aufbrachen", hatte sie gefordert. Doch am vergangenen Wochenende suchte man an Restaurants und Geschäften der Innenstadt vergebens nach den von Fallaci angemahnten Hinweisschildern "Wegen Trauerfall geschlossen".

Eine Gleichsetzung Hunderttausender Globalisierungskritiker mit dem Faschismus war nicht nur ein ungeheuerlicher Affront, sie wollte offenbar auch keinem so recht einleuchten. Ein Teil der Florentiner Kaufleute sympathisierte hingegen ganz offen mit den Demonstranten. Sogar im Schaufenster einer luxuriösen Modeboutique an der Arno-Promenade prangte ein Schild mit dem Motto des Forums "Un´altro mondo è possibile!" (Eine andere Welt ist möglich). Nein, die Bürger der toskanischen Kapitale haben sich nicht verunsichern lassen; sie haben sich unter die Demonstranten gemischt, sich auf den Balkonen und an den Fenstern ihrer Wohnungen gedrängt, um eigene Spruchbänder gegen einen Krieg im Irak zu schwenken, und die Vorbeiziehenden als Zeichen der Solidarität mit Getränken versorgt. Florenz spiegelte das erstarkende Selbstbewusstsein einer jungen, optimistischen Bewegung, die ihr Recht auf Mitbestimmung fordert - nicht nur in Italien, sondern überall. Die Saat der Angst, mit der Berlusconis Rechtspopulisten das Forum der new globals diskreditieren wollten, ist nicht aufgegangen. Zweifellos war das auch den lokalen Ordnungskräften zu verdanken. Das mit den Begriffen "Dialog, Toleranz, Vertrauen und Verantwortung" operierende Polizeikonzept, entworfen in bewusster Abgrenzung zur Abschreckungsdoktrin von Genua während des G 8-Gipfels 2001, hat sich in Florenz glänzend bewährt. Die verbalen Steißbeintrommler in Rom sahen sich einmal mehr Lügen gestraft: Für Schläger war in Florenz kein Platz - auf keiner Seite.

Die Wut Hunderttausender angesichts einer Globalisierung, die das Faustrecht zum moralischen Grundprinzip erhebt - und ein erneuter Golfkrieg wird als eklatantes Symptom dieser Hybris gesehen - ist zu groß geworden, um still und demütig vor dem hysterischen Alarmismus und der selbstgewissen Arroganz der Regierenden zu kapitulieren. In Italien, wo ein milliardenschwerer Premier unverhohlen und unbehindert den Eigennutz einer kleinen Schar skrupelloser Geschäftemacher zum Gemeinnutz erklärt hat, ist diese Wut vielleicht stärker als im übrigen Europa.

Aber den italienischen Globalisierungskritikern ist es eben auch gelungen, endgültig den toten Winkel der vermeintlich verantwortungslosen Neinsager zu verlassen, den ihnen die neue Rechte und die etablierte Linke unisono zugewiesen hatten. Neben Romano Prodi erklärten auch Italiens Präsident Carlo Ciampi und der christdemokratische Parlamentsvorsitzende Pierferdinando Casini nach Florenz, man müsse sich wohl doch seriöser und konstruktiver mit der Forderung nach einer "anderen Globalisierung" beschäftigen.

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